Bielefeld. Die Bielefelder Juristin Nicole Reese bringt sich mit einem Offenen Brief in die aufgeheizte Stimmung um die „Spaziergänge" gegen Aspekte des Regierungshandelns ein. Sie wirbt um eine Rückkehr zum sachlichen Diskurs statt pauschaler Verurteilung der Demonstranten.
(...). Ich stimme Frau Reese in manchem zu. Die Coronapolitik des ersten Jahres war dilettantisch und von Hysterie geprägt. Und das verallgemeinernde Auftreten des Bündnisses gegen Rechts, vor allem der „lupenreinen" Demokraten wie Antifa-West, findet nicht meinen Beifall. Ja, man sollte differenzieren, zwischen denen mit dem geistigen Aluhut, aktiven Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern und denen, die diesen Rattenfängern aus einer irrationalen Angst heraus ins Netz gehen und die mit einer entsprechenden Ansprache zum Dialog zu bringen wären – wenn sie es denn überhaupt wollten.
Und da ist für mich der grundlegende Denkfehler von Frau Reese aus dem Elfenbeinturm der Theorie: Die große Mehrheit dieser Menschen wollen nicht diskutieren! Sie fühlen die Demokratie bedroht, weil sie nicht einsehen, dass auch in der Demokratie gewisse Regeln zum Schutz anderer gelten müssen. (...). Sie fühlen sich in ihrer Freiheit verletzt, weil sie nicht einsehen, dass zur Freiheit auch Verantwortung gehört. Ich bin auch nicht mit allen Dingen einverstanden, die uns als „Schutzmaßnahme" untergejubelt werden. Aber ich akzeptiere, dass dieser Schutz allen nützen soll.
Nur, wenn selbst Menschen mit entsprechendem Bildungsniveau wissenschaftlich fundierte Daten nur als Fake abtun, Regierungshandeln als Teil einer Diktatur, dann kann man nicht mehr diskutieren. Dann leben diese Menschen in einer Parallelwelt und haben sich selbst ausgegrenzt. Ich kann sie nicht mehr als denkende Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft betrachten (...)! Und eine Politik, die sie um des lieben Friedens willen gewähren lässt, macht sich nicht nur unglaubwürdig, sie macht sich auch sehr schnell lächerlich!
Ulrich Koke 33617 Bielefeld

In ihrem Interview plädiert Frau Reese für mehr Respekt, Toleranz und für die Rückkehr zu einem fairen Dialog zwischen Geimpften, Ungeimpften und auch Impfgegnern. Gleich ob Menschen in Krankenhäusern, Schulen, Pflegeheimen, Betrieben, Restaurants oder auch Wohnprojekten arbeiten und leben, sie werden in den letzten Wochen und Monaten erfahren haben, wie wichtig die Rückkehr zu einem guten Dialog ist.
Allerdings: Ich habe im Interview mit Frau Reese nach Anknüpfungspunkten für einen fairen Dialog vergeblich gesucht. Die Impfpflicht scheint Frau Reese völlig indiskutabel. Nicht, weil sie gesundheitspolitisch falsch sei, sondern weil versprochen worden sei, dass sie nicht komme (...).
Unter den Spaziergängern seien in Bielefeld nur zwei Nazis gesichtet worden – von Rechtspopulismus und Wissenschaftsfeindlichkeit keine Rede. Und wenn man über Instrumentalisierung von Kindern im Rahmen von Demonstrationen rede, dann müsse man ja auch an die „Friday for Future"-Bewegung denken. Ich kann solche Feststellungen nur als offene Provokationen werten.
Ihren Appell zu mehr Dialogbereitschaft richtet Frau Reese auch an „die Medien". Konkret könnte sich also auch die NW angesprochen fühlen. Ich frage: Weshalb ist die ausgezeichnete Rede, die der Rektor der Bielefelder Universität an dem Aktionstag gehalten hat, nicht in der NW abgedruckt worden? Oder die des Krankenpflegers, der ebenfalls auf der Treppe vor dem Rathaus gesprochen hat? Wann lädt die NW zu einem Gespräch mit beiden Seiten ein? Und weshalb stellt die Moderatorin des Interviews, statt einer offenen die folgende Suggestivfrage: „Trägt die Politik die Dinge auf dem Rücken der Exekutive aus?" Reese: „Definitiv. Die Polizei muss ausbaden, was die Politik verbockt." Ist das ein freundliches Gesprächsangebot?
Klaus-Dieter Lenzen 33613 Bielefeld
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Widerwärtig finde ich es, wenn Ärzte, die Impfungen vornehmen, massiv bedroht oder Test-und Impfzentren mutwillig beschädigt werden. Auch Angriffe gegen Polizei, Ordnungs- und Rettungskräfte (nicht nur) bei diesen „Spaziergängen" sind zu verurteilen. Auch wenn behauptet wird – unser Herr Bundeskanzler ist ja auch dieser Meinung –, dass keine Spaltung der Gesellschaft erkennbar ist, so ist doch das Gegenteil der Fall. Daher ist der offene Brief von Frau Reese zu begrüßen und ich hoffe, dass er zum Nachdenken anregt. (...).
Thorsten Greil 33699 Bielefeld
Was Frau Reese hier aussagt, kann ich nur beipflichten. Es wurde allerhöchste Zeit, dass so etwas von einer renommierten Person mal benannt wurde. Die unendliche Hatz, die auf nicht geimpfte Personen ausgeübt wird, ist einer Demokratie unwürdig. Besonders, wenn sie von Personen bürgerlicher, demokratischer Parteien erfolgt. Ich bin geimpft, weil ich es so will. Aber es kann nicht sein, dass wir Menschen stigmatisieren, die das für sich nicht wollen.
Seit Monaten wird der Bevölkerung eingebimst, was für schlimme Menschen Ungeimpfte sind ... das ist grauenvoll und kommt einer Verfolgung gleich. Daran sind auch die Medien beteiligt!
Ich war seit ewigen Zeiten nicht mehr auf einer Demo, aber ich werde dorthin gehen, weil ich das Verhalten der Politik und anderer nicht mehr ertragen kann, weil es nicht demokratisch ist, was aktuell geschieht.
Ich verabscheue alles Braune und Rechte. Aber die zu benutzen, um sie mit Nichtgeimpften in einen Topf werfen, ist für mich nicht in Ordnung. Genauso wenig wie das „Bündnis gegen Rechts" mit seinen pauschalisierenden Verurteilungen. Unsere Demokratie kann nicht einfach das Abstellen, was ihr grad nicht gefällt oder wo sie keine Antworten weiß. Dann schafft sie sich selber ab! (...)
Marion Döll 33659 Bielefeld
Endlich ist in der NW auch mal eine Meinung zu lesen, die einen differenzierteren Blick auf die Impfdebatte und die Coronademonstrationen entwickelt. Respekt und Dialog empfinde ich auch als die zentralen Begriffe, die in diesem Zusammenhang angemahnt werden müssen. Des Weiteren finde ich es entscheidend, die politische Dimension in besonderer Weise zu beachten. Diese ist vielfältiger als die bloße Frage nach rechter oder linker Gesinnung. Frau Reese macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Polizei (wieder mal) missbraucht wird, gesellschaftliche Missstände und offene politische Diskrepanzen auf der Straße zu regulieren.
Zum Thema „Respekt und Dialog": selbst in dieser Zeitung wird unterschieden in „die Geimpften" und „die Ungeimpften". Die Respektlosigkeit gegenüber abweichenden Meinungen, die Ausgrenzung der Anders-Meinenden und das Ende des Dialoges beziehungsweise der Bereitschaft, verschiedene Meinungen als berechtigt anzusehen, ist hiermit dokumentiert. Der Begriff „Dialog" greift übrigens bereits zu kurz, da es nicht nur zwei Meinungen gibt.
Zur politischen Dimension: Die Arbeitsbedingungen auf den Intensivstationen haben sich seit einer Umstellung der Krankenhausfinanzierung derart verschlechtert, dass das Personal die Flucht ergriffen hat. Der Mangel an Intensivbetten durch Fehlen von Fachpersonal ist darauf zurückzuführen, damit auch die drohende Überlastung durch Coronakranke. Dieser Effekt hat sich während der Pandemie exorbitant verstärkt, ohne dass Politik oder Klinikkonzerne (die fleißig Dividenden an Aktionäre abführen) etwas unternommen haben. Auch im Schul- und Kindertagesstättenbereich wurden entlastende und verbessernde Maßnahmen unterlassen (Luftreiniger, finanzielle Besserstellung von Erzieher). Dies zu thematisieren hat zwei Jahre zu keinem Ergebnis geführt.
Ganze Berufszweige sind durch die Pandemie in ihrer Existenz bedroht. Die zunächst ausgezahlten Hilfen sollen aber nicht den Lebensunterhalt von den Betroffenen sichern, obwohl dies absolut notwendig wäre. Sie müssen zurückgezahlt werden. Explodierende Aktiengewinne bei gleichzeitiger Kurzarbeit der Belegschaft, belegen, dass Reichtum durch die Pandemie vermehrt, während Erwerbstätigkeit prekär wird. Dies sind unbearbeitete politische Diskussionen. Die Reduzierung der Diskussion auf Impfung „ja/nein" und Demonstranten „rechts/links" lenkt von den wichtigen politischen Prozessen ab, schafft Konfrontationen, Ausgrenzung und Unfrieden statt konstruktiver gesellschaftlicher Entwicklung.
Thomas Strakhof 33619 Bielefeld
Mir macht Sorgen, wie sich die ca. 25 Prozent der Ungeimpften verhalten, wenn ihnen eine Impfpflicht aufgezwungen wird. Sie werden sich doch dann vermutlich nicht um 180 Grad drehen und danach lieb und loyal wieder die etablierten Parteien unterstützen? Sondern sich vielleicht eher noch mehr von der Politik abwenden, frustriert, verärgert sein und schlimmstenfalls Parteien wählen, die kein Mensch will. In meinen Augen sind das 25 Prozent Konfliktpotenzial – und das in einer Zeit, wo wir im Mai Landtagswahlen haben! Ich hoffe, die Politiker berücksichtigen das bei ihren Entscheidungen!"
Sabine Hütwohl 33615 Bielefeld
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Frau Reese suggeriert, die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, sei eine rein persönliche Entscheidung – ohne Auswirkungen auf andere. Das stimmt nicht. Nur weil eine Ansteckung durch eine geimpfte Person nicht ausgeschlossen ist, heißt das nicht, dass die Impfung nur die geimpfte Person schützt. Die Impfung verringert das Ansteckungsrisiko nachweislich, und vor allem schützt sie vor schwerer Erkrankung. Die Impfung leistet damit den entscheidenden Beitrag dazu, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Zitat: „Dass entgegen der Empfehlung der Ständigen Impfkommission in NRW bald 16- und 17-Jährige geimpft sein müssen, um soziale Teilhabe zu erhalten." Warum eine Impfung von 16- und 17-Jährigen der Empfehlung widersprechen soll, bleibt Frau Reeses Geheimnis, denn: Seit August 2021 empfiehlt die STIKO die Covid-19-Impfung allen Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren.
Zitat: „Ich glaube, dass niemand auf diesen Spaziergängen Corona an sich leugnet." Das ist eine Verharmlosung des Meinungsspektrums unter den Demonstranten, unter denen sich – das bestreitet Frau Reese selbst nicht – auch Rechtsextremisten befinden.
Frau Reese nimmt mit ihren Initiativen für sich in Anspruch, die Interessen von Familien und Kindern zu vertreten. Die Interessen der Kinder scheint sie aber vollkommen aus dem Blick verloren zu haben, wenn sie Impfskeptikern das Wort redet. Kein Kind hat ein Interesse daran, dass Erwachsene sich nicht impfen lassen – im Gegenteil!
Johanna Intrup-Dopheide 33647 Bielefeld
Da behauptet also die Bielefelder Juristin Nicole Reese, zwischen den gegen die Corona-Schutzmaßnahmen Demonstrierenden und dem „Bündnis gegen Rechts" vermitteln, zur Deeskalation beitragen zu wollen.
Doch was macht sie während des gesamten Gesprächs? Sie übernimmt die Position der „Spaziergänger" und kritisiert, ja verurteilt das, was die im Bund und den Ländern regierenden Politiker zum Schutz der Bevölkerung auf den Weg gebracht haben. Als Vermittlerin tritt Frau Reese in dem Beitrag jedenfalls nicht auf. Wäre sie es, hätte sie sich zum Beispiel den Hinweis verkniffen, „dass wir eine Steigerung von 400 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Zeitraum bei Suizidversuchen von Jugendlichen sehen". Bei dieser Behauptung handelt es sich lediglich um eine Vermutung, der wissenschaftliche Nachweis eines direkten Zusammenhangs zwischen Corona-Schutzmaßnahmen und Suizidversuchen bei jungen Menschen ist bislang überhaupt nicht erbracht worden (...).
Uwe Tünnermann 32657 Lemgo
Frau Reese ist Juristin, Lehrende an einer Polizei-Hochschule. Ihr Werben für einen sachlichen Diskurs in der Corona-Situation ist zunächst verständlich, steht aber im Widerspruch zu einigen ihrer Aussagen. Ihr unausgewogen verteiltes Verständnis für manche Positionen bei den „Spaziergängen" gepaart mit ihrer speziellen Funktion sind vermutlich die Gründe, warum ihren Äußerungen Aufmerksamkeit widerfährt. Wörtlich sagt sie: „Der Gesetzgeber, in diesem Fall die Regierung, ..." Jeder gutausgebildete Schüler weiß, dass es zwei unterschiedlichere Institutionen nicht geben kann: das Parlament ist die Legislative und die Regierung die Exekutive. (...)
Peter Ueding 33818 Leopoldshöhe
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