Bezirksbürgermeisterin: "Autofreie Bielefelder Innenstadt wird es nicht geben"

Frau Hennke, in Mitte gab es bei der letzten Wahl einen großen Umbruch, die Grünen wurden mit 31 Prozent stärkste Partei und stellen mit Ihnen erstmals die Bezirksbürgermeisterin. Für Sie als Neumitglied in der Bezirksvertretung ein Sprung ins kalte Wasser. Haben Sie sich das leichter vorgestellt? Gudrun Hennke: Jein. Ich war schon erstaunt, in wie viele Planungen und Absprachen ich eingebunden war. Aber das Klima in der BZV hat sich eher positiv entwickelt, die Atmosphäre in Zusammenarbeit mit der Verwaltung verbessert. Eine feste Koalition gibt es in Mitte nicht ... Hennke: Deshalb sind bei den Themen Absprachen nötig, teils stimmen die Fraktionen nicht so wie im Rat und sehr unterschiedlich ab. Wenn man das positiv sehen will, bemühen sich alle mehr um eine sachliche Diskussion und darum, die Positionen der Bürger zu sehen. Der Ton ist nicht mehr so rau wie früher. Corona hat 2021 viel überlagert. Wird die Pandemie auch 2022 bremsen? Hennke: Am Anfang war das schon schwierig. Aber wir haben darauf gedrängt, nicht so lang zu debattieren. Das hat zu mehr Disziplin beigetragen. Die Verkehrswende stößt weiter auf viel Kritik. Das bestätigt auch die repräsentative Umfrage der NW ... Hennke: Wenn Sie nur die Mitte-Bürger betrachten, ist die Einschätzung gar nicht so schlecht. Die Bereitschaft, selbst etwas dafür zu tun, ist aber nicht so ausgeprägt. Die Menschen wollen natürlich gut an ihre Ziele kommen. Das Problem ist, dass wir zu wenig Raum für alle Verkehrsteilnehmer haben und bisher das Auto einen privilegierten Platz hatte. Verlust schmerzt immer. Warum ist die Akzeptanz so gering? Hennke: Ein Problem beim Verkehrsversuch ist, dass wir so viele Baustellen haben. Das ist auch so schon für viele ein Hindernis. Ich hoffe, dass das 2022 besser wird. Dann soll der Jahnplatz ja auch fertig werden ... Hennke: Ich gehe davon aus, dass der Umbau im Juni fristgerecht abgeschlossen wird und sich dadurch die Situation für alle deutlich verbessert, auch in anderen Gebieten. Die Autofahrer haben sich mittlerweile etwas daran gewöhnt, dass der Jahnplatz nicht mehr so wie früher befahren werden kann. Mit den neuen, breiteren Radwegen wird es für Radfahrer eine extreme Verbesserung geben. Und wenn es dann noch schöner aussieht, werden auch die kritischen Stimmen nachlassen. Wie kann man die Menschen zum Umstieg bewegen? Hennke: Mit Anreizen für klimafreundliches, gesundheitsförderliches Verhalten. Doch in der Innenstadt müssen die Bedingungen geändert werden, in dem Parkraum in den Straßen reduziert und teurer wird. Dann werden die Parkhäuser besser ausgelastet. Skepsis gibt es da aber vor Ort... Hennke: Umsatzrückgänge in Geschäften führe ich weniger auf den Altstadt-Verkehrsversuch zurück, sondern eher auf Einbußen in Folge von Corona und des verstärkten Online-Geschäfts. Ich kann ja verstehen, wenn man ein Auto hat, ist es bequem, direkt vors Geschäft zu fahren, wenn kein Stau ist und man einen Parkplatz findet. Wenn das nur die machen, die in der Bewegung eingeschränkt sind, würde das vielleicht klappen, aber nicht, wenn es alle wollen. Als Ziel haben Sie formuliert, dass die Innenstadt möglichst autofrei und die Aufenthaltsqualität erhöht wird. Geben die ersten Erfahrungen mit dem Verkehrsversuch in der Altstadt das her? Hennke: Ich sehe noch viele handwerkliche Mängel, etwa die unklare Beschilderung. Doch das wird sich bei der endgültigen Lösung verbessern. Mir war aber auch nicht klar, wie viele zu privaten Grundstücken müssen. Autofreiheit wird man wohl nicht erreichen. Aber wenn wir den Durchgangsverkehr so weit wie möglich verhindern und die Autos in die Parkhäuser lenken, haben wir schon viel gewonnen. Und wenn man die Innenstadt attraktiver macht, kommen die Leute auch. Ich hoffe, dass das City-Management und die Gastronomie kreative Ideen beisteuern. War die Waldhof-Sperrung ein Fehler? Hennke: Wir haben die Auswertung noch nicht. Es war nicht glücklich, das zu machen, als der Jahnplatz gesperrt war. Der Durchgangsverkehr sollte aus dem Waldhof raus. Der Schüler-Bringverkehr ist ein Problem, deshalb die aktuelle Schließung morgens. Ich könnte mir eine Lösung vorstellen, dass ab 10 Uhr die Autos da mit weniger als 30 Kilometern pro Stunde durchfahren, damit sie zu den Parkhäusern kommen. Ein Grund für die Sperrung war, dass der Waldhof am Kunsthallenpark anders genutzt wird. Doch dafür fehlen bisher Vorschläge. Das Telekom-Hochhaus und das Haus mit der Löwen-Apotheke werden modernisiert, die Wissenswerkstadt ist in Planung – geht es voran in der Innenstadt? Hennke: Der Jahnplatz wird neu, die Wilhelmstraße zur Fußgängerzone und attraktiver für Außengastronomie und Aktionen. Die Wissenswerk-stadt bringt neues Publikum. Die Pläne sehen vielversprechend aus. Ob das angenommen wird, muss sich zeigen. Schulen klagen über Raumnot. Wer kann auf Hilfe hoffen? Hennke: Das städtische Bauprogramm umfasst bis 2030 sehr viele Sanierungen und Erweiterungsbauten für Schulen, auch in Mitte. Zu erwähnen sind dabei die Hellingskampschule, die Gertrud-Bäumer-Realschule, das Gymnasium am Waldhof und viele andere mehr. Ich kann nur hoffen, dass die Umsetzung dieses ehrgeizigen Programms fristgerecht klappt. Wie geht es mit dem Grünen Würfel auf dem Kesselbrink weiter? Hennke: Es ist gut, dass er jetzt erst einmal bespielt wird, dass da und auf dem Platz was los ist. Die Pächter erfüllen auch die Funktion, ein Auge auf die Situation auf dem Platz zu haben. Eine Entscheidung über den endgültigen Betrieb des Würfels wird es aber erst 2023 geben. Der Kesselbrink bleibt aber wie die &bdquo;Tüte" an der Stadthalle eine Problemzone ... Hennke: Die Probleme sind eher abends und nachts. Man kann mit Polizei und Ordnungsamt aber nicht überall rund um die Uhr sein. Mein Eindruck ist, dass das mit Projekten wie Streetworkern, Drogenhilfe und Quartiersmanagement im Ostmannturmviertel einigermaßen im Griff ist. Wir wollen darauf hinwirken, dass diese Menschen sozial einbezogen werden. Wir wollen sie nicht verdrängen. Die Grundlagen sind gelegt. Der Abriss der Hammer Mühle hat für viel Aufregung gesorgt. Da ist viel schiefgelaufen. Welche Lehren würden Sie daraus ziehen? Hennke: Das war ein Genehmigungsverfahren im Bauamt, die BZV Mitte wurde darüber wie über andere Bauvorhaben lediglich informiert. Darüber wird nicht abgestimmt. Bei der Vorstellung im Mai 2021 war der BZV nicht bewusst, dass es um die Hammer Mühle ging. Das Bauamt muss die Bedeutung bei stadtbildprägenden Gebäuden deutlicher kenntlich und sich mit dem Denkmalschutz mehr Gedanken machen. Was kann man jetzt noch retten? Hennke: Die Neubebauung darf mit der Lutter-Freilegung nicht in Konflikt kommen, die großen Platanen müssen erhalten bleiben. Und es sollte ein Café oder Bistro als Treffpunkt vor Ort entstehen. Das wird sicher keine 70er-Jahre-Gaststätte sein. Auf dem Gelände der früheren Rochdale-Kaserne an der Oldentruper Straße könnten viele Wohnungen entstehen. Wann rechnen Sie damit? Hennke: Hier könnten 600 Wohnungen entstehen. Das wird aber noch Jahre dauern. Im April tagt das Preisgericht im städtebaulichen Wettbewerb. Und der ist Voraussetzung, dass die Stadt das Gelände für Wohnplanungen vom Bund übernehmen kann. Wie geht es im 5. Kanton im Bielefelder Osten weiter? Hennke: Da ist eine Begehung gelaufen mit der Bürgerinitiative. Das ist wohl gut gelaufen. Ich hoffe 2022 auf Entscheidungen. Aber ich bin immer wieder überrascht, wie lange manche Sachen dauern. Im Bielefelder Westen schwelt der Konflikt ums Verkehrskonzept weiter ... Hennke: Immerhin laufen jetzt Gespräche der Beteiligten über das Parkplatzproblem an der Libori-Kirche. Die BZV will eine zusätzliche Bürgerbeteiligung. Mit dem Gutachten zum Verkehrskonzept sind wir nicht zufrieden, da ist vieles zu wenig konkret. Wenn man die Autos in Schleifen durchs Quartier leitet, erzeugt man teils mehr Verkehr. Wir wollen der Verwaltung keinen Blankoscheck geben. Da ist noch einiges zu tun. Der neue Lärmaktionsplan sieht mehr Tempo 30 auch auf wichtigeren Straßen vor ... Hennke: Das entspricht unseren Vorstellungen. Wir lassen das Amt für Verkehr klären, wieweit das möglich ist. Die Entwicklung wird schon in die Richtung gehen, weiträumiger Tempo 30 einzuführen wegen Lärm, Abgasen und mehr Sicherheit. Beim Tempo-30-Verkehrsversuch August-Bebel-Straße höre ich keine negativen Reaktionen.

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