Polizeipräsidentin gibt zu: "Wir konnten die Teilnehmer nicht aufhalten"

Bielefeld. Nach dem Lichterspaziergang mit 3.000 Impfgegnern und Kritikern der Corona-Politik, der am Freitagabend aus dem Ruder gelaufen war, hat Polizeipräsidentin Katharina Giere am Montag bei einer Pressekonferenz zusammen mit Oberbürgermeister Pit Clausen eingeräumt, dass die Behörde die Lage zu der Demo falsch eingeschätzt hat: &bdquo;Mit den zur Verfügung stehenden Kräften war es nicht möglich, die Teilnehmer nach Beendigung der Demo aufzuhalten." Wie berichtet, musste der Anmelder des Lichterspaziergangs mit Überschreiten der Teilnehmerzahl von 2.500 Personen (um 18.30 Uhr) seine Demo beenden (gegen 19 Uhr). Denn ab dieser Teilnehmerzahl treten laut Corona-Schutzverordnung automatisch Maskenpflicht und 3G-Zugangsbeschränkung in Kraft. Noch bevor die Behörden erste Kontrollen durchführen konnten, hätten dann große Gruppen von Demonstranten den Kesselbrink verlassen, berichtet Katharina Giere. Lautsprecher-Durchsagen der Polizei erreichten zu wenige Der 43-jährige Anmelder der Demo sah sich nicht mehr imstande, die Menge zusammenzuhalten und beendete daraufhin die Demo: &bdquo;Als sich der Abzug der Demonstranten so verselbstständigt hatte, dass ich sie nicht mehr erreichen konnte, musste ich die Demo beenden. Wir haben einfach nicht mit so vielen Teilnehmern gerechnet", sagt der Organisator von &bdquo;Bielefeld steht auf". Er räumte ein, dass sie als Organisatoren das nächste Mal einen Lautsprecherwagen benötigten. Mit dem Megafon hätten ihn nicht mehr alle Leute hören können. Auch die Polizei hat laut Giere Lautsprecher-Durchsagen gemacht. Aber offenbar ohne Wirkung. Ein Großteil der Abgewanderten hatte das womöglich gar nicht mehr mitbekommen. Einige Gruppen gingen dann gezielt auf Polizeiketten zu. Auf Videos in den sozialen Netzwerken sieht man nach Angaben des antifaschistischen Recherchenetzwerks OWL bekannte Neonazis zwischen Altem und Neuem Rathaus, die mit wilden Gesten die Menge heiß machen wollen. Abwanderung war Verstoß gegen Versammlungsrecht &bdquo;Unsere Beamten konnten die Menge an dieser Stelle nicht aufhalten", sagt Giere. Polizeileitung und Staatsschutz waren von bis zu 2.000 Teilnehmern ausgegangen. &bdquo;Wir hatten bei der Kräfteplanung einen unkalkulierten Verlauf zu wenig eingeplant", räumt sie ein. Um eine Eskalation zu vermeiden, habe die Polizeiführung entschieden, die abgewanderten Gruppen möglichst zusammen zu bringen und dann zu begleiten. So habe man die abgewanderten Demonstranten – trotz des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und die Corona-Auflagen – mit Hilfe von Verstärkungskräften vom Adenauerplatz wieder zurück zum Kesselbrink begleitet: &bdquo;Wir haben sie angesichts des Eskalationspotenzials gehen lassen", erklärt Giere, warum die Behörde hier nicht harte Hand gezeigt habe. Sie sprach deshalb von punktuellen Straftaten, die Demo sei nicht insgesamt aus dem Ruder gelaufen. &bdquo;Oberstes Ziel war der Schutz des Weihnachtsmarktes." Gerade hierhin wollten einige Gruppen vorstoßen. Das zu verhindern sei gelungen, so Giere. Neue Anmeldung liegt noch nicht vor An der Renteistraße, am Jahnplatz und an der Welle hatte es entsprechend auch Gewalttätigkeiten gegeben. Wie berichtet, meldete die Polizei am Ende 14 Strafanzeigen (9-mal Widerstand, 5-mal Beleidigung, 2-mal Körperverletzung) und vier vorläufig Festgenommene. Einer der Festgenommenen und zwei Polizeibeamte wurden dabei leicht verletzt. Dass in der Telegram-Gruppe von &bdquo;Bielefeld steht auf" bereits die nächste Demo angekündigt wird, habe Giere zwar mitbekommen, eine neue Anmeldung liege aber noch nicht vor: &bdquo;Die Polizei wird auch zukünftig gegen jede Form von Gewalttätigkeiten vorgehen. Sollte die Mobilisierung ähnlich groß sein, dann werden wir die Demonstration mit stärkeren Kräften begleiten", kündigte Giere an. Bis zu zehn Rechtsextreme und weitere Gefolgsleute Sie wünsche sich, dass die friedlichen Demo-Teilnehmer sich das nächste Mal eindeutig von den gewalttätigen distanzieren. Laut Staatsschutz seien schätzungsweise 95 Prozent der Teilnehmer nicht rechtsextrem. Die breite Masse habe ihre Meinung am Freitag friedlich vertreten und man könne nicht von einer besonders gewalttätigen Veranstaltung sprechen. Katharine Giere verstehe aber, dass die Vorgänge und die im Netz kursierenden Videos Verstörung auslösen. Sehr wohl sei auch bekannt, dass sich Rechtsextremisten unter die Spaziergänger mischten und diese zu unterwandern versuchten, betont Giere. Dem Staatsschutz sei am Freitag lediglich ein rechtsextremer Verfassungsfeind aufgefallen. Es sei nicht auszuschließen, dass in der Menge weitere unentdeckt blieben. Das antifaschistische Recherchekollektiv nannte bis zu 10 namentlich bekannte Neonazis oder völkische Rechtsextreme aus OWL, die am Freitag vor Ort aufgefallen sind. Einen Teil davon belegen sie mit Fotos. Weitere vermummte Gefolgsleute seien nicht identifizierbar gewesen. Insbesondere zeige ein Video in den sozialen Medien, so die Aktivisten, dass Neonazis und ein Mitglied der Jungen Alternative Bielefeld (AfD-Jugendorganisation) als Gruppe beim Durchbruch durch eine Polizeikette am Alten Rathaus aufgetreten war. Einer der Neonazis soll wild gestikulierend die Menge aufgestachelt haben. Polizeipräsidentin zeigt sich besorgt Wie Katharina Giere weiterhin mitteilte, sei dem Staatsschutz im Telegram-Kanal der Bielefelder Gruppe keine Radikalisierung und auch keine rechte Hetzpropaganda unter den Teilnehmern aufgefallen. Sehr wohl habe es aber an einer Stelle während der Demo rechte Parolen zu hören gegeben. Der Staatsschutz habe die einschlägigen Telegram-Kanäle im Auge, versicherte die Polizeipräsidentin. Allerdings sei es auch für die Polizei unmöglich, alle Untergruppen und Neugründungen im Blick zu behalten. Giere zeigte sich angesichts der Entwicklung in Bielefeld besorgt: &bdquo;Ein Trend, der es darauf anlegt, unsere Regeln zu brechen, der muss beunruhigen." Pit Clausen betont: "Die gefühlte Ausgrenzung ist gewollt" Oberbürgermeister Pit Clausen blies in das gleiche Horn: &bdquo;Wir leben nicht in einer Diktatur, was viele der Demonstranten skandieren." Es sei absurd zu glauben, dass in unserem Land und in unserer Stadt der Volkswille vorsätzlich gebrochen werde. Es gebe demokratische Wahlen und eine unabhängige Justiz. &bdquo;Das Versammlungsrecht ist eine der Säulen unseres Rechtsverständnisses als Demokraten. Deswegen halten wir andere Meinungen auch aus. Aber dann müssen die auch ertragen, wenn wir ihnen sagen: Ihr macht Quatsch. Die kommen hier mit 3.000 Menschen hin und tun so, als gäbe es Corona nicht. Ich war entsetzt." Die Impfpflicht wird die Situation noch verschärfen Die Teilnehmer dieser Demos verweigerten sich der Solidarität für diejenigen, die auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpften und die als Pfleger und Ärzte am Rande ihrer Kräfte seien. Dann prognostiziert Clausen: &bdquo;Die Impfpflicht wird diese Situation noch verschärfen." Der Oberbürgermeister bestätigte, dass Ungeimpfte derzeit das Gefühl einer Ausgrenzung erlebten. &bdquo;Aber das ist von der Gesellschaftsmehrheit gewollt. Wir wollen, dass diejenigen, die noch nicht geimpft sind, sich mit dieser Frage noch einmal auseinandersetzen." Dank für "besonnene Polizisten" Clausen betonte aber auch, dass er der Polizei für ihren Einsatz danke: "Auch wenn die Lage falsch eingeschätzt wurde, hat die Polizei besonnen agiert. Der Weihnachtsmarkt wurde geschützt und die Beamten haben mögliche Straßenschlachten verhindert. Dafür möchte ich Danke sagen." Zum Thema: Corona-Demo in Bielefeld: Auseinandersetzung geht online weiter Oberbürgermeister Pit Clausen zu Impfgegner-Demos in seiner Stadt

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