Nur wenige wollen aufs Auto verzichten

Bielefeld. Die gute Nachricht: Es gibt noch Plätze für das Projekt &bdquo;Autofrei in Bielefeld". Die aus Sicht der Organisatoren semi-gute Nachricht: Die Nachfrage nach dem zeitlich befristeten Angebot zum Verzicht auf das eigene Auto scheint sehr überschaubar. Bisher zähle die Stadt knapp 20 Bewerber für die dreimonatige Verzichts-Variante, sagt Godehard Franzen, Mentor des Modellprojekts. Damit bestehe bis zum Samstag noch für weitere Bielefelderinnen und Bielefelder die Möglichkeit, mobilitätsmäßig neue Wege zu gehen – flankiert von einer individuellen Förderung durch die Stadt. Die Initiative soll dazu beitragen, die in der Stadt angestrebte Verkehrswende von der Theorie in die Praxis umzusetzen: Ziel ist es, den Anteil des Individualverkehrs von jetzt 50 Prozent auf 25 Prozent zu halbieren – zugunsten von ÖPNV und Fahrrad. Während dieser Prozess im Jahr 2030 abgeschlossen sein soll, haben es die &bdquo;Autofrei-Angebote" etwas eiliger. Das Ende der Bewerbungsfrist am 31. Juli bezieht sich auf die Variante 1 des Projekts &bdquo;Autofrei in Bielefeld". Der Deal dahinter: Die Kandidaten verpflichten sich, für drei Monate das eigene Auto stehenzulassen. Stattdessen steigen sie um auf die klimafreundlichen Fortbewegungsmittel wie Bus und Bahn, Leih-Räder oder E-Roller, sowie die Elektrofahrzeuge der Carsharing Flotte von Cityca. Förderpaket im Wert von 400 Euro Praktisch eine Auswahl aus dem kompletten Sortiment, das MoBiel demnächst an zentralen Stellen in der Stadt etablieren möchte, in Form von sogenannten Mobilitätsstationen. Die Teilnehmenden des kommunalen Feldversuchs starten schon am 1. September ins autolose Leben. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista Die Stadt sponsert den Selbstversuch passionierter Autofahrer mit einem &bdquo;Mobilitätspaket" im Wert von 400 Euro. Als eine Ursache für die gegenwärtig eher verhaltene Nachfrage sieht Franzen den suboptimalen Launch der Aktion, die Präsentation des Angebots zu Beginn der Sommerferien. Das sei aber kein Problem, dann starte eben eine zweite Welle zu einem späteren Zeitpunkt – die Fördergelder seien ja vorhanden. Der promovierte Physiker Franzen steht dem Verein &bdquo;Bielefeld pro Nahverkehr" vor und gehört dem Klimabeirat der Stadt an, der sich im Juni 2020 erstmals konstituierte. In dem Gremium brachte Franzen auch den Vorschlag mit dem dreimonatigen Autoverzichts-Versuch ein und erhielt dafür den Zuschlag. Mit insgesamt rund 70.000 Euro engagiert sich die Stadt beim Ausprobieren bisher ungewohnter Mobilitätsformen. Aber warum ausgerechnet drei Monate? &bdquo;Vor längerer Zeit musste ein Freund von mir seinen Führerschein abgeben für besagte drei Monate. Grund dafür war sein notorisches zu schnelles Fahren", erzählt der 77-jährige pensionierte Lehrer. &bdquo;Und dann passierte das für uns alle Erstaunliche: In den drei Monaten hatte er sich so gut mit Fahrrad und ÖPNV arrangiert, dass für sein Auto gar kein Bedarf mehr bestand – er hat es einfach abgemeldet." 3 Jahre ohne eigenes Auto Wer diesem Beispiel des radikalen Schnitts folgen möchte, dem bietet das Modellprojekt die zweite Variante an: In dem Fall werden aus drei Monaten gleich drei Jahre mit der Bedingung, dass das Auto regulär abgemeldet wird. Als Belohnung erhalten die Teilnehmenden maximal 1.000 Euro zum Erwerb der bereits erwähnten ÖPNV-Tickets oder für den dauerhaften Zugang zu den Leih-Mobilen. 50 mal 400 Euro (Variante 1) und 50 mal 1.000 Euro (Variante 2) ergibt die Fördersumme von insgesamt 70.000 Euro. Auch wenn die Zahlen der Pkw-Zulassungen jährlich steigen, 2019 kletterte die Zahl auf 172.363, 2020 könnte sie coronabedingt wegen der verminderten Neuzulassungen durchaus geringer ausfallen. So gibt es Bielefelder, die diesem Trend jetzt schon trotzen und ihr Auto spontan verkauften – für immer. Zu ihnen gehört Andrea Wedler. Vor einem Jahr habe sie sich spontan dazu entschieden: An einem Freitagnachmittag habe sie im Büro der Pflegeschule Bethel das Schild &bdquo;Auto zu verkaufen" gedruckt und am Abend sei ihr Renault Modus bereits weg gewesen. &bdquo;Anfangs hatte ich schon Angst vor einem Verlust an Freiheit", sagt sie – doch genau das Gegenteil geschah: Sie erlebte einen Gewinn an Lebensqualität. &bdquo;Ich bin jetzt viel entspannter – und die meiste Zeit stand das Auto sowieso nur rum." Den Weg zur Arbeit von Schildesche nach Gadderbaum absolviert sie mit dem Fahrrad, bei richtig miesem Wetter mit der Stadtbahn – per Umweltabo. Sie habe sich damals vorsichtshalber auch beim Carsharing angemeldet – doch außer einer Fahrt zum Testen des unbekannten Systems bestand bisher kein Bedarf zum Buchen eines Autos. Klaus Hofer verzichtet bereits seit 15 Jahren aufs Auto und radelt im Jahr an die 10.000 Kilometer. &bdquo;Dadurch habe ich keine Zipperlein wie andere in meinem Alter – ich bin topfit", sagt der Technik-Professor mit dem Schwerpunkt der elektrischen Antriebstechnik. Die sei allerdings nicht dafür gedacht, um Absurditäten wie strombetriebene SUVs auf die Straße zu bringen. Unabhängig voneinander entschieden sich Wedler und Hofer aus Umweltgründen für die Abgabe ihrer Autos. Dabei haben sie volles Verständnis für Familien, die wirklich auf ein Auto angewiesen sind oder Menschen mit weiten Wegen zur Arbeit. Aber ab einem gewissen Alter solle dann doch die Vernunft einsetzen, sagte Hofer mit einem Lächeln.

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