Diese Frauen hören den Drogensüchtigen zu

Bielefeld. Es ist 20.14 Uhr, als Laura Köster und Lisa Kramer Feierabend machen. Ein langer Tag geht zu Ende und doch wollen sie nochmal nach der Frau im gestreiften Shirt schauen, die auf dem Sonnendeck sitzt, dem Platz gegenüber des Grünen Würfels auf dem Kesselbrink. Sie ist in sich eingesunken, der Blick starr nach vorne gerichtet, die Haut blass, dunkle Ränder unter den Augen. Köster und Kramer sind Streetworkerinnen. Sie sind dort unterwegs, wo getrunken wird, wo Drogen konsumiert werden und Frauen anschaffen. Die Straße ist ihr Arbeitsplatz, die NW ist heute mit ihnen unterwegs. Am Anfang der Tour treffen wir auf den Stufen vor dem Grünen Würfel eine Mittdreißigerin. Ihr blonder Zopf reicht ihr bis zu den Hüften, sie hat ein &bdquo;Desparados"-Bier in der Hand. Köster und Kramer gehen auf sie zu, zur Begrüßung gibt’s die Ghettofaust – es ist eben immer noch Corona. Eine ganze Weile sei sie heute schon hier, erzählt sie. Aber sie müsse aufpassen, bei dem Wetter schlage der Alkohol schnell an. Und es ist erst 17.22 Uhr. Ein etwas älterer, braun gebrannter Hüne stellt sich dazu. Mit dem Fahrrad sei er hierher gekommen, ein Auto könne er sich schon lange nicht mehr leisten, erzählt er. Schnell wird der Kreis größer. Ein etwas jüngerer Mann mit orangefarbener Weste erzählt von seiner Arbeit im Handwerk. Nach Feierabend komme er oft hierher. &bdquo;Der Kesselbrink ist für viele das Wohnzimmer", sagt Lisa Kramer. Die meisten, die sich hier aufhalten würden, seien sehr einsam. Hier treffe man immer irgendwen. &bdquo;Ohne die Drogen können die nicht leben." Auf dem Kesselbrink ist eher die Trinkerszene verortet. &bdquo;Diejenigen, die Probleme mit Alkohol haben, treffen wir hier an", sagt Kramer. In der Regel seien sie friedlich, nur ab und an würde der ein oder andere über die Stränge schlagen. Die beiden Sozialarbeiterinnen wollen mehr von diesen Menschen erfahren, sie hören sich ihre Geschichten an und versuchen, zu helfen. Netzwerke sind dabei für die Streetworker ungemein wichtig. Vieles versuchen sie unbürokratisch, auf dem kurzen Dienstweg zu regeln. Sie stellen sich auf die Leute ein, sind freitags jetzt immer bis 22 Uhr unterwegs, auch am Wochenende. &bdquo;Wir sind den Menschen nahe", sagt Köster. Die beiden Frauen machen sich auf zu einer Tiefgarage an der Lena-Lappe-Straße im Ostmannturmviertel. Ein beliebter Treffpunkt für Drogenabhängige, erzählen sie. Hier im Dunklen, erzählt Kramer, könnten sie ungestört drücken, sich Drogen spritzen. Einspritzstellen markieren viele mit einem Kugelschreiber. Ohne Furcht laufen die beiden ins Dunkle unter der Erde, treffen aber niemandem an. &bdquo;Sucht ist eine Krankheit, die meisten sind früh in die Abhängigkeit gekommen", sagt Köster. &bdquo;Ohne die Drogen können die nicht leben." Außenstehende würden das häufig nicht verstehen und könnten damit auch nur schwer umgehen. Oft machen sie einen großen Bogen um das Klientel. Hotspot für Drogenabhängige Um kurz vor 18 Uhr kommen Kramer und Köster an der Tüte an. Hier ist der Hotspot für Drogenabhängige. &bdquo;Der Konsum ist hoch", sagt Kramer. Einige bräuchten sogar Hilfe beim Drücken. Die beiden Frauen kommen mit Yasin (46) ins Gespräch. Er hat Abitur und später eine Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht. Er sei runter von den Drogen, erzählt er, nimmt Polamidon, ein synthetisch hergestelltes Opioid, das eng mit dem synthetischen Methadon verwandt ist. Aber ab und zu brauche er noch Kokain. An der Tüte werden nicht nur Drogen konsumiert, sie werden dort auch verkauft. Alle Schichten kämen hierher, sagt Kramer. Auch der Anzugträger soll sich hier sein Kokain kaufen. Notfall-Kit ist mit dabei Laura Köster und Lisa Kramer haben immer ihr Notfall-Kit dabei, Masken, Desinfektionsgel, Pflaster, Spritzen, Schwangerschaftstests, Taschentücher. Geld dürfen sie nicht rausgeben. Ein Mann voller Einstichlöcher, die meisten verheilt, fragt sie nach einer Maske. Dann ist er auch schon wieder weg. Neben ihm eine grauhaarige Frau. Um sich die Drogen leisten zu können, würden einige der Frauen anschaffen gehen, Anbahnungen fänden oft auf den Parkplätzen an der Nahariyastraße statt. An diesem Tag treffen Kramer und Köster dort aber niemanden an. Meistens erreichen sie ihre Klienten über Smalltalk. Einige Dinge lassen sich aber nicht auf der Straße klären, sagt Kramer. Die Streetworker haben Diensthandys, ihre Klienten können sie anrufen, wenn es nicht jeder mitbekommen soll. Die Straßenarbeiter erreichen aber auch nicht jeden. &bdquo;Bei Frauen ist es manchmal schwieriger", sagt Kramer. Oft, weil sie schlechte Erfahrungen auf der Straße gemacht hätten. Die meisten öffnen sich dann aber doch irgendwann. &bdquo;Wir wollen ihnen auch nichts aufquatschen. Wer keine Lust hat, muss nicht mit uns reden." Da sei eine Menge Fingerspitzengefühl gefragt. &bdquo;Sobald wir Druck machen, können die Leute aggressiv werden." &bdquo;Das ist doch etwas sehr Intimes" Ein 39-Jähriger mit Cappy kommt in der Nähe des Spiegels auf der Grünfläche an der Tüte auf die Frauen zu. Er sei oft hier, nehme aber keine Drogen mehr. Er versteht auch nicht, warum andere hier in der Öffentlichkeit spritzen, sagt er. &bdquo;Das ist doch etwas sehr Intimes", sagt er und fragt sich, warum die nicht ins Pavi gehen, wie das Drogenhilfezentrum an der Borsigstraße von vielen noch genannt wird. Weil es früher mal im Pavillon hinter dem Hauptbahnhof untergebracht war. Der Mann hat keinen festen Wohnsitz, schläft mal hier, mal dort, sagt er. Das sei anstrengend. Kramer bietet ihm an, Kontakt mit der Wohnungslosenhilfe aufzunehmen. Die beiden Frauen sind zufrieden. Zurück zum Kesselbrink: Die Frau im gestreiften Shirt auf dem Sonnendeck hat sich inzwischen aufgerichtet, läuft zu einer anderen Gruppe. Kramer und Köster atmen auf, sie scheint in Ordnung zu sein. Die beiden machen jetzt Feierabend, am nächsten Tag kommen sie wieder.

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