Bielefelds Azubi-Markt kippt: Hunderte junge Menschen ohne Ausbildungsplatz

Bielefeld/Gütersloh. Ein Konjunktureinbruch hat in den vergangenen Monaten vor allem die Industrie getroffen. Entlassungswellen waren die Folge, und die Flaute macht sich auch auf dem Ausbildungsmarkt unangenehm bemerkbar. &bdquo;Die angespannte Situation schlägt noch nicht voll auf den Arbeitsmarkt durch, im Oktober hatten wir in der Region sogar wieder einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit“, sagt Wolfgang Draeger, der Chef der Agentur für Arbeit für Bielefeld und Gütersloh. &bdquo;Aber viele Unternehmen sind vorsichtiger bei Einstellungen geworden, und das macht sich auch im Angebot an Ausbildungsplätzen bemerkbar“, bedauert er. Herbst der Stagnation: Trübe Stimmung in OWL Gemeinsam mit Petra Pigerl-Radtke, der Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen, und Carl-Christian Goll, dem Geschäftsführer für Berufsbildung bei der Handwerkskammer OWL, präsentierte Draeger jetzt ein umfassendes Zahlenwerk zur Lage am Ausbildungsmarkt der Region. Dabei sei die Situation in Gütersloh grundlegend anders als in Bielefeld: Während in Bielefeld die Zahl der Bewerber und Bewerberinnen für Lehrstellen bis September 2025 weiter leicht auf 2.548 Interessierte (plus 1,2 Prozent) gestiegen ist, sank die Bewerberzahl in Gütersloh leicht auf 1.831 (minus 2,6 Prozent). In Bielefeld ergibt sich ein wachsender Überhang an Bewerbern, die Schere geht deutlich auseinander. Weil die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen in der Stadt deutlich um 8,2 Prozent auf 1.876 Plätze geschrumpft ist, klafft hier jetzt rechnerisch eine Lehrstellenlücke von 672 Plätzen. Tatsächlich galten im September noch 274 Bewerber als &bdquo;unversorgt“, sie haben also noch keinen Ausbildungsplatz. Zugleich sind auf der anderen Seite noch 119 Lehrstellen unbesetzt, weil die Arbeitgeber unter den jungen Leuten nicht die passende Nachwuchskraft gefunden haben. Die Wünsche der Unternehmen und der Nachwuchskräfte sind oft eben nicht unter einen Hut zu bringen. Weniger Arbeitslose, aber: Lage in NRW bleibt angespannt Im Kreis Gütersloh ergibt sich trotz des massiven Rückgangs an angebotenen Lehrstellen um 386 auf 2.105 Plätze (minus 15,5) rechnerisch weiterhin ein Überhang von 274 gemeldeten Ausbildungsplätzen. &bdquo;Der Ausbildungsmarkt im Kreis Gütersloh ist wegen des großen Angebots an Lehrstellen für Bewerber attraktiver als in Bielefeld“, sagt Draeger. Allerdings seien auch im Kreis Gütersloh noch 161 &bdquo;unversorgte“ junge Nachwuchskräfte ohne Lehrstelle registriert. &bdquo;Trotzdem fragen wir uns, warum es nicht gelingt, mehr interessierte junge Leute aus Bielefeld über den Teuto in den Kreis Gütersloh zu locken“, rätselt der Agenturchef. Im Kreis Gütersloh gab es zuletzt noch 241 unbesetzte Ausbildungsplätze. Anstatt dass Bielefelder nach Gütersloh oder in eine der umliegenden Städte und Gemeinden gehen, läuft die Sache manchmal eher umgekehrt. So wie bei Celina Osthus, die in Gütersloh wohnt und seit August beim Fahrradeinzelhändler &bdquo;Lucky Bike“ eine Ausbildung zur Kauffrau für Groß- und Einzelhandelsmanagement absolviert. Lucky Bike ist eine in Bielefeld ansässige Fahrradhandelskette mit bundesweit 40 Filialen und rund 1.500 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen - ein großes Unternehmen, das gewiss gute Entwicklungschancen bietet. Sie habe nicht allzu viele Bewerbungen geschrieben, das Vorstellungsgespräch bei Lucky Bike sei dann gut gelaufen. Schon nach rund einer Woche habe sie die Zusage erhalten, freut sich die 22-Jährige. Einen ersten Anlauf für eine Ausbildung hatte sie in einem Pflegeberuf unternommen, doch die Stelle habe ihr aus unterschiedlichen Gründen nicht gefallen. Es passte nicht. Am neuen Ausbildungsplatz lerne sie jetzt sehr unterschiedliche Bereich und Aufgaben kennen. Eine vielseitige Sache, freut sie sich. &bdquo;In vielen Fällen sind die Bewerbungen unterirdisch“ Zufrieden mit seiner neuen Auszubildenden zeigt sich auch Ausbildungsleiter Sebastian Richter. 250 Bewerbungen seien in diesem Jahr bei ihm angekommen, doch nur 20 Bewerber und Bewerberinnen habe er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen: &bdquo;In vielen Fällen sind die Bewerbungen wirklich unterirdisch“, klagt er. Es hapere bisweilen an allen Ecken und Enden – vom Anschreiben und den Schulnoten bis hin zu fehlenden Zeugnissen und Unterlagen. Petra Pigerl-Radtke und Carl-Christian Goll berichteten über die tatsächlich von den bei ihren Kammern organisierten Firmen abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Und beide berichteten von kräftig rückläufigen Zahlen: Im Bezirk der IHK Ostwestfalen sei die Zahl der Neuverträge im gesamten Kammerbezirk gegenüber 2024 um 6,8 Prozent auf 6.472 Verträge geschrumpft, sagte Pigerl-Radtke. Im Kreis Gütersloh (minus 5,2 Prozent) sei die negative Entwicklung noch etwas deutlicher als in Bielefeld (minus 4,7 Prozent). Wegen der kräftigen Delle bei der Industrie (in Bielefeld etwa brachen die Industrie-Umsätze in den ersten neun Monaten 2025 um fast 10 Prozent ein) sei der Rückgang der Neuverträge bei den gewerblich-technischen Ausbildungsberufen besonders heftig. Ausbildung kann auch später begonnen werden Goll sagte, die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge sei in Bielefeld um fast 11 Prozent und im Kreis Gütersloh um knapp 5 Prozent geschrumpft. &bdquo;Auch in den vergangenen drei Jahren gab es schon Rückgänge, aber diesmal ist die Entwicklung noch stärker“, so Goll. OWL-weit sei die Zahl der neuen Ausbildungsverträge auf 3.663 geschrumpft. Hier mache sich vor allem die noch immer anhaltende Flaute in der Baubranche bemerkbar. &bdquo;Aber es ist noch nicht zu spät, sich um einen neuen Ausbildungsplatz zu bemühen“, empfehlen alle Experten, auf keinen Fall den Mut zu verlieren. Eine Ausbildung könne auch später als im August oder September begonnen werden.

Meistgelesen