Als Stephan Neitzel den Hexer verhexte

Bielefeld. Die VHS-Cassette ist weg. Zum Glück nicht Der-Rekorder-hat-das-Band-gefressen-weg, sondern nur Die-muss-in-irgendeinem-Umzugskarton-liegen-weg. Die Sendung &bdquo;Sport im Westen" des WDR hatte berichtet von einem Handballspiel zwischen dem Zweitligisten TuS Nettelstedt und dem übermächtigen VfL Gummersbach, Vater Dieter die Sendung aufgezeichnet. Die Rekonstruktion der Ereignisse vom 6. Mai 1989 muss also 31 Jahre später ohne Beweismaterial erfolgen. Das gelingt Stephan Neitzel spielend – es war schließlich der emotionalste Moment in seinem sportlichen Leben. Den standesgemäßen Rahmen bietet das Viertelfinale im DHB-Pokal, Nettelstedt gegen Gummersbach. 3.500 Zuschauer füllen die Lübbecker Kreissporthalle, sie war inklusive des letzten Platzes besetzt. Oder eben &bdquo;pickepackevoll", wie Nettelstedts damaliger Rechtsaußen Neitzel sich heute erinnert. Europapokalsieger Harry Keller legt geschäftsmäßig auf Natürlich ist der VfL der große Favorit – als amtierender Deutscher Meister. Und er hat mit Andreas Thiel den aktuellen Nationaltorhüter zwischen den Pfosten. Thiel wird längst nur noch &bdquo;der Hexer" genannt – und das bis heute. Der Favorit legt also vor und erspielt sich bis zur Mitte der zweiten Halbzeit knappe Führungen. Doch die Nettelstedter bleiben dran. Harry Keller, mit dem TuS Europapokalsieger von 1981 und Nettelstedter Ikone, denkt sich wahrscheinlich nichts Besonderes, als er seinen Außen mit einem eher geschäftsmäßigen Pass versorgt. &bdquo;Ein Ticker-Pass", weiß Neitzel. Er sieht, dass sein Gegenspieler das Geschäftsmäßige erkennt und nicht sonderlich aktiv herüberrutscht. &bdquo;Einen guten Meter" von der Außenlinie geht der erst 20-jährige Neitzel aufs Ganze, nimmt einen kurzen Zwei-Schritt-Anlauf und blickt zum Hexer. Neitzel nimmtsich den Wurf unorthodox früh &bdquo;Als der erkannte, dass ich es aus diesem Winkel versuche, macht er den üblichen Schritt nach vorn – und steht nicht optimal", erinnert sich Neitzel. (Zur Beschreibung des Wurfes ist er längst aufgestanden.) Neitzel nimmt sich den Wurf unorthodox früh, noch in der aufsteigenden Phase des Sprunges, und hebt den Ball über Thiel hinweg ins Tor. &bdquo;Der war gar nicht supergenau mit Unterkante Latte oder so. Der Ball ist einfach ohne Tempo flach hinten reingefallen." Plopp. Der Hexer ist enthext. Der technisch soliden Ausführung des Wurfes folgt ein wahrer Jubelorkan. Denn Neitzel hat das Tor zum 16:16 geworfen. Ausgleich. Alles ist offen. &bdquo;Die Halle ist total ausgerastet", hat Stephan Neitzel noch wahrgenommen. Ihm selbst fällt auf dem Rückweg in die eigene Abwehr, seinem Triumphmarsch, nicht viel mehr ein, als den linken Unterarm zu kreisen. &bdquo;Das habe ich aber erst auf dem Video gesehen. Ich wusste das gar nicht mehr. Nur den Rückweg in dieser Höllenlautstärke habe ich total genossen", sagt Neitzel breit grinsend. Einmal noch, beim 18:18, gleichen die Nettelstedter aus, dann zieht der VfL mit sieben Toren in Folge zum 18:25-Endstand davon. Stephan Neitzel hat bei seinen Stationen wichtigere Tore geworfen, auch technisch ziemlich komplizierte. Aber eben keins mehr gegen den Hexer. Irgendwo im Keller muss die Cassette liegen. Wie aus "Rüdi" der "Nando" wurde Epilog: Beim Regionalligisten TuS Spenge wurde Stephan Neitzel &bdquo;Rüdi" genannt – in Anlehnung an den damaligen Nationalspieler Rüdiger Neitzel. Natürlich genau am 6. Mai 1989 lernen sich die beiden Neitzels persönlich kennen. &bdquo;Ein Handshake und ein paar nette Worte", so Neitzel Stephan, wechselten beide, ehe es zur Sache ging. Heute wird Neitzel Stephan in Handball-Bielefeld nur &bdquo;Nando" genannt. Wegen seiner fußballerischen Fertigkeiten im Training bei der TSG Altenhagen-Heepen. Der echte Nando, Brasilianer, spielte von 1990 bis 1992 beim Hamburger SV in der Bundesliga. Den Namen erhielt Nando Neitzel vom Kollegen Volker &bdquo;Zico" Wöstenfeld.

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