Corona-Krise: Bielefeld befürchtet Lockdown-Tourismus aus Gütersloh

Bielefeld. Eigentlich soll er fein säuberlich an den Kreisgrenzen enden: der sogenannte "Lockdown", den die NRW-Landesregierung am Dienstag für den Kreis Gütersloh verkündet hat. Doch die Realität sieht für Bielefelder und Gütersloher anders aus. Tausende Pendler und Schüler überqueren täglich die Kreisgrenzen. Oberbürgermeister Pit Clausen bringt das Problem auf den Punkt: &bdquo;Das unglaublich enge Beziehungsgeflecht in dieser Region ist von der Landesregierung nicht mitgedacht worden." In einer offenen E-Mail hat sich der OB deshalb direkt an den NRW-Ministerpräsidenten gewandt. Unterdessen schließt auch das letzte der Bielefelder Krankenhäuser seine Türen für Besucher und dank überlasteter Labore muss der Krisenstab weiter auf wichtige Testergebnisse warten, kann aber einen Erfolg verbuchen. Quarantäne-Zahlen steigen rasant an Die gute Nachricht trotz chaotischer Adresslisten von Tönnies: 158 der 162 Tönnies-Mitarbeiter, die mit ihren Angehörigen in Bielefeld wohnen, konnten von den Teams von Ordnungs- und Gesundheitsamt erreicht und befragt sowie unter Quarantäne gestellt werden, teilt die Stadt mit. Nur vier Personen habe man noch nicht angetroffen. Die Quarantäne-Zahlen schnellen währenddessen in die Höhe: von 88 Personen am Montag auf 383 am Dienstag. Doch die Gewissheit darüber, wie viele der Bielefelder aus dem Tönnies-Umfeld bereits infiziert waren, fehlt weiterhin: Weil die Labore überlastet seien, lägen keine weiteren Testergebnisse vor, informiert Pressesprecherin Gisela Bockermann am Abend. Wann mit den Ergebnissen zu rechnen sei? Auch das: ungewiss. Drei Neuinfektionen verzeichnet die Stadt am Dienstag, keine davon mit Tönnies-Bezug. Oberbürgermeister sieht großes Dilemma für Bielefeld Bielefelds Oberbürgermeister hat sich nach der Verkündung der neuen Beschränkungen für Gütersloh in einer E-Mail direkt an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gewandt. Der "Lockdown" schaffe ein Dilemma, so Clausen. Bielefeld steckt mittendrin. Von der Landesregierung sei es versäumt worden, die Gütersloher Beschränkungen regional vernetzt zu denken und sich mit den Nachbarkommunen abzustimmen, erläutert der OB im Gespräch. &bdquo;Jetzt haben wir die Situation, dass die Menschen im Kreis Gütersloh auf ihrem Kreisgebiet bestimmte Kontaktregeln beachten müssen. Wenn sie aber den Kreis verlassen und nach Bielefeld kommen, gelten diese Beschränkungen für sie nicht. Unsere Sorge ist, dass der beschränkte Lockdown dazu führen wird, dass bestimmte Anreize geschaffen werden. Menschen aus Gütersloh könnten in Nachbarstädte ausweichen, um zum Beispiel zusammen ein Restaurant zu besuchen." Das Virus könne so weiter über die Kreisgrenzen hinausgetragen werden, warnt Clausen. Diese Problematik sei längst bekannt: Vorstand und Präsidium des Städtetag hätten bereits Anfang Mai darauf hingewiesen. Laut Zahlen von 2019 pendeln täglich 51.000 Menschen zwischen Gütersloh und Bielefeld, 1.200 Gütersloher Schüler besuchen Bielefelder Schulen und werden hier derzeit weiter unterrichtet. Doch was wäre die Alternative zu den jetzigen Kontaktbeschränkungen für Gütersloh? Clausen: &bdquo;Eine Möglichkeit wäre gewesen, den Hotspot der Infektion noch kleinräumiger zu identifizieren und dann auch in Richtung Ein- und Ausreise-Beschränkungen zu denken." Alternativ hätten bestimmte Beschränkungen bis in die Nachbarkommunen ausgeweitet werden müssen. &bdquo;Auch bis nach Bielefeld." Jetzt hänge vieles von den ausstehenden Bielefelder Testergebnissen ab, so der OB. Auch, ob es Beschränkungen für Bielefeld geben werde. Unsicherheit bei Urlaub, Ein- und Ausreise Unterdessen fragen sich viele Bielefelder, wie sich die Beschränkungen im Kreis Gütersloh bei Berufsfahrten und Besuchen über die Kreisgrenzen hinweg konkret auswirken. OB Clausen betont: &bdquo;Es gibt weder Einreise- noch Ausreiseverbote zwischen dem Kreis Gütersloh und Bielefeld. Es gibt aber Appelle an die Menschen, in ihrem Kreisgebiet zu bleiben." Dem schließe er sich an. &bdquo;Man sollte jetzt den Reiseverkehr zwischen Gütersloh und Bielefeld auf das absolut Erforderliche begrenzen. Halten Sie immer ausreichend Abstand und unbedingt die Hygieneregeln ein." Und wer einen Urlaub geplant hat? Der solle sich einfach darauf freuen, so der Rat des OB. &bdquo;Bielefeld ist in seinem Infektionsgeschehen eine der unauffälligsten Großstädte in der Bundesrepublik, das ist aktuell noch immer so." Bei Thomas Geier vom Reisebüro Kompass in Senne klingelt das Telefon dennoch ununterbrochen: &bdquo;Wir bekommen seit Montag Dutzende Anfragen von Kunden. Viele stammen aus dem Kreis Gütersloh. Sie sind verunsichert und wollen wissen, ob sie nun noch verreisen dürfen. Ihr Urlaub steht kurz bevor. Stand jetzt antworten wir ihnen: ,Ja, ihr dürft auf jeden Fall weg." Kliniken wieder in Alarm-Bereitschaft In ständiger Bereitschaft halten sich die Bielefelder Kliniken mit separaten Covid-Stationen: Durch spezielle &bdquo;Belegungskaskaden" könnten zusätzliche Betten zudem schnell freigegeben werden, heißt es von EvKB und Klinikum. Doch derzeit müssen nur wenige Corona-Patienten versorgt werden. Zwei liegen im Klinikum Mitte, davon eine Frau mit Tönnies-Bezug. Im Klinikum Bethel habe man derzeit einen Covid-Patienten ohne Bezug zu Tönnies, so Sprecherin Sandra Gruß. Ab Mittwoch schließt mit dem Franziskus-Hospital jetzt auch das letzte der Bielefelder Krankenhäuser seine Türen für Besucher. Laut Geschäftsführer Georg Rüter werden Besuche &bdquo;nur noch in (großzügig) begründeten Einzelfällen gewährt". EvKB und Städtisches Klinikum waren bereits in der vergangenen Woche zum Besuchsverbot zurückgekehrt.

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