Das gab's noch nie: Die Stadt Bielefeld meldet Kurzarbeit an - fürs Theater

Bielefeld. "Alles könnte anders sein." So lautet das Motto des Theaters für die nächste Spielzeit. Und, tragischerweise, ist dieses Motto bereits Monate vor dem Start der Spielzeit übererfüllt. Corona sei dank. Vieles ist anders, manches einzigartig. So, dass die Stadt erstmals in ihrer Geschichte für eigene Mitarbeiter Kurzarbeit anmeldet. 260 der 370 Bühnen- und Orchesterarbeiter werden die letzte Mai-Woche und den Juni überwiegend zu 30 bis 50 Prozent, in einigen Fällen aber auch zu 100 Prozent in Kurzarbeit gehen; allerdings gleicht die Stadt die Lohndifferenz annähernd komplett aus, zu 90 bis 100 Prozent. Dennoch spart sie: etwa 600.000 Euro, so Oberbürgermeister Pit Clausen. Der Jahresetat des Theaters liegt bei rund 21 Millionen Euro. Theaterfest? Nach der Kurzarbeit folgt die spielzeitfreie Zeit, traditionell Urlaubszeit für die Mitarbeiter. Dieser Zeitraum soll auch unangetastet bleiben. Was danach ist, ist offen. Ende August soll es losgehen, der traditionelle Appetithappen "Theaterfest" aber wird nicht stattfinden können, da sind sich Intendant Michael Heicks und Kulturdezernent Udo Witthaus einig. Nicht auszuschließen sei auch, dass eine weitere Phase von Kurzarbeit folge. Witthaus: "Wir müssen immer vor der Lage sein." Heißt: Möglichst weit vorbereitet für alle Eventualitäten, die Corona und die Politik bereithalten können. Es wird geprobt Fakt ist: Es wird wieder geprobt, wenn auch personell auf Sparflamme. Kontaktabstände von 1,5 bis 12 Metern (Bläser) lassen nur einen Theaterbetrieb zu, der sich neu erfinden muss. Intendant Heicks muss zynisch schmunzeln, als er von neuen Bewegungsmustern auf der Bühne berichtet: Eine Mischung aus distanziertem Walzer-Tänzeln und ein Um-sich-Herumkreiseln sei zu erleben. "Es ist ungewohnt, in einigen Situationen auch komisch." Aber das Theater sucht das Beste in der Situation, versucht Lösungen zu finden. Bläsern könnten in anderen Räumen spielen - und live eingespielt werden. Digitale Techniken werden Lösungen bieten. Videoelemente. Liebesszenen könnten digital zusammengeschnitten werden. Projektionen von Bühnenbildern könnten den Einsatz von Bühnenarbeitern verringern. Bisher unvorstellbar Dass nun aber erst einmal Kurzarbeit das Thema ist, das hätte sich auch Clausen bis vor kurzem nicht vorstellen können. "Das war in unserer Denke bisher nicht verankert", gibt er zu. Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ist eben kein originäres Rathaus-Bedürfnis. Erst neue Tarifabschlüsse im März und April hatten diese Möglichkeit eröffnet. Das Theater, das auf dem Weg zu rekordverdächtigen 88 Prozent Auslastung war, ist jäh und hart gelandet. Für die kommende Spielzeit erwartet Heicks kaum mehr als zu einem Drittel gefüllte Spielstätten. "Abonnenten werden im Vorteil sein", sagt Witthaus. Was macht Hotzenplotz? Heicks zum traditionell bestbesuchten Stück, dem Weihnachtsmärchen: "Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir 50 Vorstellungen anbieten werden." Räuber Hotzenplotz - vielleicht nur für Familien, aber nicht für Kitas und Schulen? Fakt ist: Alle ringen darum, weiterhin "Kultur in die Stadtgesellschaft tragen zu können", wie es Clausen formuliert. Die Stadtgesellschaft hält dem Theater übrigens die Treue, es gibt kaum Abo-Kündigungen. Fast 5.000 treue Kunden halten zum Theater. Witthaus bewertet das so: "Viele halten das Theater offenbar für systemrelevant." Aber: Neue Abos bleiben naheliegenderweise aus. Alles könnte anders sein Nun wird geprobt, wird alles auf Corona-Eventualitäten getrimmt. Alte Stücke mit rüberzuretten ist da kaum sinnvoll. Zu vieles wird anders. Oder, um es mit dem Spielzeitmotto zu sagen, es gilt am Theater dank Corona fast täglich neu: "Alles könnte anders sein."

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