Warum Kinder gerade jetzt eine Bereicherung sind

Bielefeld. Morgens frühstücken die sechs an einem großen Holztisch im Garten, abends gibt es dort ein leckeres Essen: Es wird viel gequatscht und gelacht. Idylle pur in Schildesche. Oliver Baierl (50), Schauspieler am Theater Bielefeld, lebt hier mit seiner Frau Mirjam (48) und den vier Kindern, den Zwillingen Mascha und Martha (9 Jahre) sowie Matheo (11 Jahre) und Mathilda (14 Jahre). Zurzeit besteht das Leben ganz aus Familie. &bdquo;Das ist wahnsinnig toll", sagt er. Baierls Frau versucht, den Unterricht mit den Kindern zu gestalten, am Nachmittag ist Freizeit angesagt. &bdquo;Wir spielen sehr viel – Gesellschaftsspiele oder auf dem Trampolin draußen im Garten." So viel Zeit habe er mit seinen Kindern sonst nur in den Sommerferien, sagt er. Baierl genießt das Familienglück in Schildesche, zieht sich für Proben ab und an zurück ins Haus, aber findet immer Zeit für seine Kinder. &bdquo;Wir sind da sehr privilegiert, haben hier ein tolles Leben." »Es kommt drauf an, wie die Beziehung vorher war« Viele Eltern tun sich allerdings gerade schwer mit dem Spagat zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung. Während Väter wie Baierl die Kinder in der Corona-Zeit als enorme Bereicherung sehen, sind sie für andere, die im Homeoffice stark eingebunden wird, fast schon zur Last geworden. &bdquo;Es kommt immer darauf an, wie die Beziehung vor der Krise gewesen ist", sagt Michael Siniatchkin, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB). &bdquo;In Familien, in denen die Beziehungen sehr eng waren und es für die Kinder viel Unterstützung gibt, ist die Zeit jetzt auch eine Bereicherung." Diese Familien würden die Chance nutzen, viel gemeinsam zu machen. So wie Familie Wozniak. Kinder profitieren von Ausbildung der Mutter Yvonne Wozniak (44) zieht ihre Söhne Dominik (12) und Alexander (9) alleine groß. Wozniak ist selbstständig, arbeitet als Lerndidaktikerin an einer Schule und in Familien. Arbeiten kann sie wegen der Corona-Einschränkungen gerade nicht – dafür ist sie jetzt den ganzen Tag für ihre beiden Söhne da. &bdquo;Die Kinder profitieren natürlich von meiner Ausbildung", sagt Wozniak. Die beiden Jungs fänden es klasse, dass Mutter Yvonne sich jetzt so intensiv um sie kümmert. Dominik hat Förderbedarf, ihm käme es gerade sehr zugute, dass er eine Eins-zu-eins-Betreuung habe. &bdquo;Wenn ich diesen Background nicht hätte, wäre ich allerdings auch überfordert", sagt Wozniak. Sie weiß, sie ist in einer Luxussituation. &bdquo;Es ist ein Geschenk, zu sehen, wie meine Kinder lernen." Es habe ganz klar Vorteile, jetzt zuhause zu sein, aber auch einen großen Nachteil – denn Wozniak verdient gerade kein Geld, sagt sie. &bdquo;Das ist belastend, aber ich genieße jetzt die Zeit." Denn sonst sehen sich die drei nur am Wochenende so häufig wie jetzt. Das schweißt zusammen. "Fast jeden Tag erklären wir die Welt neu" Auch Kochschulbesitzer Andreas Pöschel (52) verbringt gerade viel Zeit mit seinen drei Kindern (9, 11 und 17). &bdquo;Sie hinterfragen vieles, das finde ich ganz toll", sagt er. Fast jeden Tag erklären er und seine Frau ihnen die Welt neu. Sie machen das gerne. &bdquo;Wir lernen gerade auch so viel von ihnen", sagt er. &bdquo;Es gibt aber auch Familien, in denen es jetzt kriselt", sagt Kinderpsychiater Siniatchkin. &bdquo;Es kommt zu Streitigkeiten, die Atmosphäre ist angespannt." Entscheidend sei, was vorher war, wie die Familie mit Problemen umgegangen ist. &bdquo;Wenn das schon vor Corona nicht konstruktiv war, wird es irgendwann eskalieren." Gerade, wenn eine Familie auf engem Raum aufeinanderhockt und beide Elternteile im Homeoffice sind, ist Stress vorprogrammiert. &bdquo;Homeoffice verlangt Disziplin und Übung", sagt Siniatchkin. &bdquo;Menschen, die in bestimmten Strukturen arbeiten, können mit Flexibilität nicht effektiv umgehen", sagt er. &bdquo;Man muss sich dran gewöhnen." "Kinder brauchen Beschäftigung" Aber nicht nur die Eltern seien im Homeoffice, die Kinder auch. &bdquo;Und die brauchen Beschäftigung." Sie würden von den Eltern eine Struktur verlangen. &bdquo;Sie brauchen Erklärungen, warum nicht alles so funktioniert wie vorher." Es wäre gut, rät er, wenn Eltern einen Plan machen würden, wie die Kinder den Tag gestalten könnten. So wie Mutter Yvonne Wozniak es handhabt. Sie macht für ihre beiden Söhne sogar einen Stundenplan. &bdquo;Der ganze Tag ist gut strukturiert", sagt sie. Um 8 Uhr stehen die Kinder auf, dann wird gefrühstückt, danach geht das Homeschooling los. Jedes Kind habe seinen eigenen Tisch im Wohnzimmer, hier wird gelernt. Nachmittags toben die Kinder im Garten des Reihenhauses. Was Eltern nicht vergessen sollten: &bdquo;Die Kinder brauchen ein konkretes Beziehungsangebot von den Eltern", sagt Siniatchkin. &bdquo;Jetzt telefoniere ich, in einer halben Stunde aber bin ich für dich da" – wäre ein solches Angebot, sagt er. Und wenn es doch mal kracht? &bdquo;Durchatmen, nicht in den Konflikt gehen. Eine kurze räumliche Trennung kann da schon Wunder wirken."

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