Corona-Krise wirkt sich auf die Bielefelder Politik aus

Bielefeld. Corona bringt jetzt auch die demokratischen Prozesse ins Wanken. Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) hat verfügt, dass Rat, Ausschüsse und Bezirksvertretungen nur noch maximal 15 Minuten tagen und ausschließlich nicht verzichtbare Beschlüsse fassen dürfen. Das birgt für wichtige Planungsvorhaben erhebliche Risiken. Erste Bezirksvertretungen wie Heepen, Brackwede, Jöllenbeck und Sennestadt sind abgesagt. Und wie soll die Stadt die Bürger noch beteiligen? Die Verfügung des OB Größere Versammlungen sind nicht mehr erlaubt. Das bringt zum Beispiel die Baulandstrategie, über die die Stadt schnell dringend erforderlichen und bezahlbaren Wohnraum schaffen will, in Bedrängnis. Ohne Bürgerinformationen geht das nicht. Das große Baugebiet Blackenfeld mit 300 Wohneinheiten in Vilsendorf, wo der öffentliche Termin Anfang April angesetzt ist, verzögert sich auf jeden Fall. &bdquo;Das ist bitter", sagt Georg Fortmeier (SPD), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses: &bdquo;Aber es nützt nichts." Die Verfügung ist weitreichend: Bis zum 30. April müsse alles verschoben werden, was möglich ist. Beschlüsse müssten ohne Aussprache, das heißt ohne die übliche Debatte, gefällt werden. Auch über Anträge dürfe nicht diskutiert werden. Mitteilungen, Antworten auf Anfragen und Informationsvorlagen dürften nur noch schriftlich zur Kenntnis genommen werden. Das Büro des Rates und die Bezirksmanager stellen sie ins Ratsinformationssystem auf der Bielefeld-Homepage. Einer stimmt für viele Vorgaben macht Clausen aber auch für den Sitzungsablauf: So soll die Personenzahl minimiert, der Gesichts-zu-Gesichts-Kontakt auf 15 Minuten begrenzt werden, um die Ansteckungsgefahr zu begrenzen. Der Ältestenrat gibt vor, dass die Ausschussmitglieder mindestens zwei Meter Abstand in der Sitzung haben. Fortmeier: &bdquo;Das bedeutet, nur jeder zweite oder dritte Platz darf belegt werden." Die Parteien sprechen sich so ab, dass je ein oder zwei Vertreter für die anderen Mitglieder ihrer Fraktion mitstimmen dürfen. Dies gilt als rechtlich grenzwertig, aber die Geschäftsordnung lasse das zu. Nur so sei die Verfügung zu erfüllen – aber auch ein Ratshandeln gewährleistet. Sitzung dauert nur acht Minuten Denn zwar hätten Gesundheit und Schutz des Lebens Vorrang, schreibt Clausen: Doch seien Entscheidungen durch die Gremien auch während der Pandemie erforderlich, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Zuschauer müssten bei den Sitzungen aber ausgeschlossen werden. Die Öffentlichkeit werde durch Einzelvertreter der Presse sowie spätere Mitteilungen sichergestellt. Der Sport- und Schulausschuss praktizierte dies am Dienstag als Erster – und schaffte eine verkürzte Tagesordnung in 8 Minuten. Üblicherweise dauern solche Sitzungen Stunden. Der Vorsitzende Lars Nockemann (SPD) trug dabei Handschuhe, die Mitglieder saßen mit je einem Stuhl Abstand auseinander. Ein Mitglied stimmte jeweils für die ganze Fraktion. Erste Absagen In den Bezirksvertretungen wird unterschiedlich reagiert. Sennestadt, Brackwede, Jöllenbeck und Heepen sagten ihre Donnerstag-Sitzungen ab. &bdquo;Es gibt nichts so Dringendes", begründete Heepens Bezirksbürgermeister Holm Sternbacher (SPD) die Entscheidung. Stattfinden soll die BZV aber in Mitte. &bdquo;Mit stark verkürzter Tagesordnung", wie Bezirksbürgermeister Hans-Jürgen Franz (SPD) erklärte. Es gebe aber Punkte, die nicht verschoben werden sollten, wie die Erneuerung eines Fuß- und Radweges im Grünzug Stapenhorststraße oder die neue Verkehrsregelung in der Falkstraße für den Jahnplatz-Umbau. Abgesetzt wird aber der Bebauungsplan für den Lidl-Neubau an der Stadtheider Straße. Denn dafür könnte die BZV nur eine Empfehlung abgeben. Das ist aber nach der Verfügung des OB nicht erlaubt. Der Stadtentwicklungsausschuss könnte die Aufstellung des Bebauungsplans am 24. März aber trotzdem beschließen – nach der Geschäftsordnung, nicht aber nach den Gepflogenheiten im Rat, wonach erst die Bezirke zu hören sind. In Mitte gibt es deshalb auch einen gewissen Unmut. CDU-Fraktionschef Hartmut Meichsner befürchtet, dass &bdquo;bestimmte Dinge durchgepeitscht werden könnten". Risiko beim Jahnplatz Das Großprojekt Jahnplatz, der für 15 Millionen Euro in zwei Jahren umgebaut werden muss, sei nicht in Gefahr, heißt es bisher. Die wichtigsten Beschlüsse seien gefasst, jetzt könne geplant werden, so Fortmeier. Allerdings ist die Projektgruppe, die berät, erst einmal abgesagt worden. Ein Ausweg für Gremien wie Fraktionen könnten Konferenzen per Video oder Telefon sein, sagt Fortmeier. So sei es auch für Aufsichtsräte teils geplant, wie bei der 75-Prozent-Stadttochter BGW. Kommentar: "Demokratie auf Standby" Wie kann Demokratie in Zeiten der Pandemie noch funktionieren? Die Verfügung des Oberbürgermeisters schränkt die Arbeit der politischen Gremien des Rates erheblich ein. Immerhin beweist der OB so viel Augenmaß, dass wichtige Entscheidungen noch gefällt werden können, ohne dass das städtische Handeln zum Erliegen kommt. Bürger, Investoren oder Unternehmen, die wichtige Projekte vor der Brust haben, sind darauf angewiesen. Doch Verzögerungen werden die Folge sein. Und bei kniffligen Vorhaben wie dem Jahnplatz-Umbau erhöht sich der Druck. Dass die Mitwirkung von Bürgern und Bezirken beschnitten wird, ist ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte, die unser Land stark und verlässlich machen. Umso mehr ist Umsicht gefragt, die Krise nicht auszunutzen. Dass Gremien stundenlang debattieren, mag lästig sein. Doch nur im Diskurs lässt sich im Rechtsstaat Gemeinwohl organisieren. Dessen sollten sich alle Handelnden bewusst sein. Der Preis für die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems ist hoch – doch wir werden nicht umhinkommen, ihn erst einmal zu zahlen. Allzu lange wird das aber nicht gehen, ohne nachhaltigen Schaden zu haben. "Demokratie auf Stand-by-Modus" - Kommentar von Joachim Uthmann Wie kann Demokratie in Zeiten der Pandemie noch funktionieren? Die Verfügung des Oberbürgermeisters schränkt die Arbeit der politischen Gremien des Rates erheblich ein. Immerhin beweist der OB so viel Augenmaß, dass wichtige Entscheidungen noch gefällt werden können, ohne dass das städtische Handeln zum Erliegen kommt. Bürger, Investoren oder Unternehmen, die wichtige Projekte vor der Brust haben, sind darauf angewiesen. Doch Verzögerungen werden die Folge sein. Und bei kniffligen Vorhaben wie dem Jahnplatz-Umbau erhöht sich der Druck. Dass die Mitwirkung von Bürgern und Bezirken beschnitten wird, ist ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte, die unser Land stark und verlässlich machen. Umso mehr ist Umsicht gefragt, die Krise nicht auszunutzen. Dass Gremien stundenlang debattieren, mag lästig sein. Doch nur im Diskurs lässt sich im Rechtsstaat Gemeinwohl organisieren. Dessen sollten sich alle Handelnden bewusst sein. Der Preis für die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems ist hoch – doch wir werden nicht umhinkommen, ihn erst einmal zu zahlen. Allzu lange wird das aber nicht gehen, ohne nachhaltigen Schaden zu haben.

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