Bielefelder Wissenschaftlerinnen streiten über Handyverbot in Schulen

Bielefeld. Intelligenzverlust, mangelende Konfliktfähigkeit, ein schlechteres Langzeitgedächtnis, psychische Störungen und Suchttendenzen - diese und weitere negative Auswirkungen erkennt die Hirnforscherin Gertraud Teuchert-Noodt bei Kindern und Jugendlichen durch den zu frühen Gebrauch von digitalen Medien. Die emeritierte Wissenschaftlerin der Universität Bielefeld plädiert deshalb nachdrücklich für Smartphone- und Tablet-freie Schulen. Dabei investiert die Stadt gerade die 20 Millionen Euro, die sie für die Digitalisierung der 81 städtischen Schulen vom Land erhalten hat. Helen Knauf, Pädagogin an der Fachhochschule Bielefeld, sieht darin kein generelles Problem wie Teuchert-Noodt. Für die Professorin kommt es darauf an, wie und wofür die digitalen Medien genutzt werden. Und eine Bielefelder Schule in privater Trägerschaft hat längst ein strenges Konzept zum Umgang mit Smartphones und Tablets. Die Schäden sind irreparabel Professorin Teuchert-Noodt ist ein gerne gehörter Vortragsgast in Deutschland. Jüngst warnte sie in Steinhagen und in Bielefeld vor den Auswirkungen digitaler Medien auf Heranwachsende. Sie argumentiert von ihrem Forschungsgegenstand aus, dem menschlichen Gehirn: "Wenn Computer und Tablets das Lernen des Grundschulkindes bestimmen, dann erleiden die reifenden Nervennetze ... des Großhirns durch neuronale Überaktivierung eine Notreifung. Damit findet die Vorbahnung von Verknüpfungen nicht statt, die zeitlebens eine notwendige Grundlage für das Denken ist", sagt sie. Die Schäden wären irreparabel. Deswegen rät sie vehement vom Einsatz dieser Geräte mindestens im Unterricht ab. Aus ihrer Sicht machen die Montessori- und Waldorfschulen es richtig. In der gelobten Bielefelder Rudolf-Steiner-Schule gibt es tatsächlich eine klare pädagogische Strategie dazu. "Wir setzen auf die Schulung der Sinne", sagt Lehrer Wulf Figge. Schreiben, malen, rechnen, werken, Sport - "immer auch geht es um die Ausbildung der Motorik", erklärt Lehrerin Jutta Temme-Meis. Sie unterrichtet von der 1. bis zur 8. Klasse, wo digitale Medien nur eine Rolle spielen, um sie kritisch zu reflektieren. Ganz ausgeschlossen werden sie indes nicht. In den höheren Jahrgängen wird mit schuleigenen iPads gearbeitet, "aber uns ist es wichtig, sie als Werkzeug und nicht als Konsumgut zu nutzen", sagt Figge. Mit den Schülern und Eltern ist ansonsten eine Handy-freie Schule vereinbart. Daran, so die Lehrer, halten sich in der Regel alle. Damit steht die Waldorf-Pädagogik längst nicht allein da. In Frankreich sind Smartphones bis auf die Oberstufen grundsätzlich an Schulen untersagt. Gut zum Lösen praktischer Probleme Wissenschaftlerin Helen Knauf stimmt in den Chor der Digital-Kritiker nur bedingt ein. "Sicher sollte man mit dem Einsatz vorsichtig sein", sagt die FH-Professorin mit dem Fachgebiet Pädagogik in der Kindheit. Manches leuchte zwar ein, "aber die Frage ist doch eher: Was für eine Digitalisierung ist gemeint?" Für Organisatorisches, für individuell differenzierten Unterricht oder Schnell-Recherchen seien digitalen Medien passend, so ihre Erfahrung. Wenn sie praktische Probleme lösen würden, seien sie gut, sorgfältig untersucht werden müssten hingegen Veränderungen im sozialen Miteinander durch Smartphones sowie ein Mangel an Bewegung, der oft mit der Nutzung der Geräte einher gehe. Auf die Formel Werkzeug statt Konsumgut können sich Pädagogen und Hirnforscher weitgehend einigen. Bei der Frage aber, ob Kinder, zumal unter 14 Jahren Jahren, das digitale Werkzeug überhaupt brauchen, gehen die Auffassungen wieder auseinander. Während aus der Wissenschaft dazu klare oder abwägende Antworten kommen, müssen sich Pädagogen an Bielefelder Schulen diesem Thema sehr bald konkret stellen. Denn die Stadt setzt den "Digitalisierungspakt" um. "Vorgesehen ist es, dass die Schulen WLAN-Anschlüsse, Präsentationstechnik und eine Ausstattung mit Endgeräten erhalten", sagt Schulamtsleiterin Georgia Schönemann. Die Idee des Schulministeriums dahinter sei es, dass Schüler IT-Kompetenzen vermittelt bekommen. "Kopf in den Sand stecken nützt nichts" Für Professorin Teuchert-Noodt ist das grundfalsch. "Auf einen inhaltlichen Umgang mit den Medien wird sich nach Erkenntnisstand der Hirnforschung das Gehirn des Kindes auch in den nächsten Tausend Jahren nicht vorbereiten lassen", postuliert sie. "Den Kopf in den Sand stecken nützt nichts", sagt hingegen Professorin Knauf dazu. "Die Geräte sind halt da, jetzt müssen wir den Umgang damit lernen und einen gesunden Mittelweg finden."

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