Extremisten stehen im Bielefelder Gefängnis unter besonderer Beobachtung

Bielefeld-Ummeln. Die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede – kurz &bdquo;BiBra" – war auch 2019 wieder deutlich überbelegt. Im Schnitt saßen dort 544 Gefangene ein, dabei hat das Haus nur 542 Haftplätze. Tätertrennungen seien so nur noch schwer möglich, sagt Anstaltsleiter Uwe Nelle-Cornelsen anlässlich der Jahresbilanz. Derzeit kommen sogar 559 Häftlinge in BiBra unter. &bdquo;Wir haben die höchstbelegte Anstalt des Landes." ÜBERBELEGUNG Es gibt zwei Gründe für die dauerhafte Überbelegung des geschlossenen Vollzugs in Bielefeld. Auf der einen Seite müsse die JVA auch Häftlinge aus Münster aufnehmen, nachdem das Gebäude dort wegen baulicher Mängel teilweise geschlossen worden ist. NEUES HAFTHAUS 8 Auf der anderen Seite ist der ursprünglich für 2020 anvisierte Anbau mit 130 neuen Haftplätze und einem neuen Gesundheitstrakt schwer in Verzug geraten. &bdquo;Die Planungen des Bau- und Liegenschaftsbetriebs mussten überarbeitet werden. Im vergangenen Jahr ist deshalb fast nichts auf der Baustelle passiert", so Nelle-Cornelsen. Immerhin sei nun die Vergabe an einen Generalunternehmer erfolgt. In Kürze dürfte es losgehen. Dass das Hafthaus 8 wie geplant Ende 2021 fertiggestellt werde, halte er für unrealistisch. SANIERUNG Die eigentlich geplante Sanierung der alten bröckeligen Gefängnisfassade wird allerdings nicht - wie geplant - nach dem Bau von Hafthaus 8 umgesetzt. "Das Hafthaus wird sofort nach der Öffnung neu belegt - von Häftlingen anderer Anstalten", sagt der Anstaltsleiter. Ursprünglich sollten die Insassen der sanierungsbedürftigen Hafthäuser sukzessive im neuen Trakt unterkommen, bis die Sanierungen abgeschlossen sind. Doch daraus wird nichts: "Wir müssen die Fassaden- und Fenstersanierung im laufenden Betrieb durchführen. Das wird erhebliche Lärmbelastungen zur Folge haben." HÄFTLINGE Unter den 542 Haftplätzen sind 68 für weibliche Gefangene. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 2.627 Gefangene neu aufgenommen. Darunter waren 2.409 Männer und 218 Frauen. 20 Gefangene verbüßten eine lebenslange Haftstrafe, die längste Zeit in Haft hat ein 64-jähriger Gefangener auf dem Buckel. Er hat inzwischen 39 Haft hinter sich. Die älteste Gefangene ist 92 Jahre alt und als mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin über die Mauern der JVA bekannt. AUSLÄNDERANTEIL &bdquo;Und der Anteil der ausländischen Häftlinge ist deutlich erkennbar rückläufig", sagt Nelle Cornelsen. 2017 und 2018 hatten Ausländer noch die Mehrheit in der JVA. Im vergangenen Jahr zählte die Leitung nur noch 216 Ausländer (40 Prozent), 89 im Ausland geborene Deutsche (16 Prozent) und 236 Deutsche (44 Prozent). Die in der Zuwanderungsphase spürbare Zunahme von maghrebinischen Häftlingen und Menschen aus dem Vorderen Orient sei nicht mehr erkennbar, so Nelle-Cornelsen. Sie tauchten überhaupt nicht mehr auf den vorderen Plätzen auf. Am 20. Februar kamen die BiBra-Gefangenen aus 53 Nationen – 326 aus Deutschland, dahinter folgen Polen (33), Türken (22), Georgier (16) und Rumänen (15). EXTREMISMUS Der Anstieg extremistischer Ansichten ist laut Nelle-Cornelsen auch im Gefängnis spürbar. &bdquo;Inzwischen sind 15 bis 20 Extremisten hier inhaftiert, die wir besonders im Blick haben müssen", sagt er. &bdquo;Die allermeisten von ihnen haben islamistische Ansichten, IS-Rückkehrer sind nicht mehr unter ihnen. Einige sind rechtsextrem. Inhaftierte aus dem linksextremen Lager haben wir nicht." Um die Extremisten noch besser im Blick haben zu können, erklärt die stellvertretende Leiterin Martina Schuchert-Dickhaut, sei zum 1. Januar ein Extremismus-Beauftragter eingestellt worden. &bdquo;Das ist eine ganz neue Funktion innerhalb der Vollzugsanstalten, die vom Justizministerium angeregt wurde." Der Beauftragte soll verhindern, dass extreme Weltanschauungen innerhalb der JVA weiterverbreitet werden." Um das zu ermöglichen, sichtet er alle Briefe der Betroffenen. Er beobachtet die Klientel und die internen und externen Kontakte zu prüfen. FEUER IN DER ZELLE Im Februar hatte ein besonders gewalttätiger und hochaggressiver Strafgefangener (30) im Hochsicherheitstrakt Feuer in seiner Zelle gelegt. Aus Sicherheitsgründen musste er in der Zelle bleiben, bis das Feuer gelöscht war. Der 30-Jährige erlitt dadurch eine schwere Rauchvergiftung. Die Justizbeamten gingen davon aus, dass das Feuer der Vorbereitung eines Ausbruchsversuchs diente. HOCHSICHERHEITSTRAKT 2019 wurden 91 Inhaftierte in sogenannten "besonders gesicherten Hafträumen" untergebracht. Gemeint ist der Hochsicherheitstrakt, in dem besonders gewalttätige, psychisch besonders auffällige, aber auch suizidgefährdete Insassen inhaftiert sind. Insgesamt verbrachten die 80 Männer und elf Frauen 298 Tage dort. Im Vergleich zu 2017 (damals verbrachten 80 Inhaftierte sogar 439 Tage) ist das ein deutlicher Rückgang, "aber auf einem sehr, sehr hohen Niveau", sagt Nelle-Cornelsen. Vor allem bei den weiblichen Insassen sei ein Anstieg sehr gewalttätiger und psychisch sehr auffälliger Frauen erkennbar. "Wir wundern uns oft, was für Angeklagte vor Gericht für voll schuldfähig erklärt werden. Die sind bei uns teilweise ausgesprochen verhaltensauffällig", so Nelle-Cornelsen. SUIZID 2019 gab es einen Häftling, der sich im Dezember in seiner Zelle das Leben genommen hat. &bdquo;Wir hatten keine Hinweise auf eine Suizidgefährdung", so Nelle-Cornelsen. Allerdings war er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagt, sein Gerichtstermin stand kurz bevor. DROGENHUND Seit 2019 verfügt die JVA über einen eigenen Rauschgiftspürhund. Der holländische Schäferhund heißt &bdquo;Thor" und wird landesweit eingesetzt. In der JVA Brackwede gab es neun Durchsuchungen mit Drogenspürhunden. Neben 17 Betäubungsmittel-Funden und 76 Tabletten-Depots (vor allem Psychopharmaka), wurden bei Durchsuchungen Nadeln, eine Schlagwaffe, eine Stichwaffe und 39 Handys gefunden. SUCHT HINTER GITTERN 470 Männer und 102 Frauen gelten in der JVA als erheblich suchtgefährdet. Das sind 20 Prozent der männlichen Zugänge und 48 Prozent der weiblichen. Im Wesentlichen sind laut JVA-Leitung nur Kleinstmengen Drogen zum unmittelbaren Konsum im Umlauf- reingeschmuggelt zumeist duch Besucher. Bei Kontrollen gefunden wurden 14-mal Cannabis, einmal Heroin und einmal Chrystal Meth. Zudem werden auch einige Abhängige substituiert (2019 gab es 532 Substitutionsbehandlungen). Deutlich mehr im Trend hinter Gittern stehen Medikamente wie Subutex - ein Substitutionsmedikament auf Opiatbasis. KRITIK DES JVA-BEIRATS Matthias Blomeier, Vorsitzender des Gefängnis-Beirats, sieht in vielen Fällen die Wiedereingliederung von Gefangenen nach der Entlassung gefährdet: "Jeder dritte Gefangene wird in den ersten drei jahren wieder straffällig", so Blomeier. Die Experten bezeichnen diese Phase als "Entlassungsloch". Deshalb sei eine gut funktionierende Wiedereingliederung sehr wichtig. Das Problem: "Die Gefangenen haben nach der Entlassung keinen Bewährungshelfer mehr, oft auch fast keine sozialen Kontakte in der Freiheit." Blomeier appelliert daher an die Mitverantwortung der Gesellschaft: "Wir können die Wiedereingliederung nicht den Gefängnissen allein überlassen. Die ganze Gesellschaft muss davon überzeugt werden, dass dringend Wiedereingliederungsprogramme und entsprechende Etats nötig sind, um kriminelle Karrieren nach der Haft zu beenden." Doch die Akzeptanz für solche Projekte sei leider in der Gesellschaft nicht sehr hoch.

Meistgelesen