So ergeht es jungen Frauen in diesem Bielefelder Gefängnis

Bielefeld. Größte Haftanstalt Deutschlands, größter offener Vollzug Europas – die JVA Senne bietet mit 1.635 Haftplätzen Superlative. Und auch, wenn hier aktuell nur vier junge Frauen leben, ist auch das Jugendhafthaus besonders. Weibliche Gefangene sind eine Minderheit in der Justizvollzugsanstalt, auf eine Frau kommen fast zehn Männer. 152 Haftplätze für Frauen gibt es, zehn davon für 14- bis 24-Jährige. Eine eigene Welt. Alle Frauen leben in Hafthäusern jenseits der Männerwelt – die Mädchen in einem eigenen Hafthaus. Die meisten hier sind zwischen 16 und 20 Jahren alt. Für die stellvertretende Bereichsleiterin Desirée Dürrwald steht fest: Die jungen Frauen sind die komplizierteste Gruppe in der JVA – aber auch die, wo sich der Einsatz am meisten lohnt. Stichwort Resozialisierung. NRW-Justizminister Benjamin Limbach: &bdquo;Wenn wir eine kriminelle Karriere unterbrechen wollen, dann möglichst früh.“ Wer jung ist, hat mehr Chancen als derjenige, der mit Mitte 50 seine Kriminalitätskarriere über Jahrzehnte aufgebaut hat. In der Schule gibt es eine sehr individuelle Begleitung Doch es ist kompliziert mit den jungen Frauen. Das wird deutlich beim Blick auf die vier Biografien im Jugendhaus: Eine junge Frau studiert, eine hat Mittlere Reife und strebt das Abitur an, zwei kommen von einer Förderschule und haben keinen Abschluss. Sie alle haben das Privileg, echten Schulunterricht in der JVA zu bekommen – der ehemalige Hauptschullehrer und Schulleiter, Hartmut Bondzio, unterrichtet sie 15 Stunden die Woche. Von Sport über Geografie bis Mathe. Quasi in einer Art Eins-zu-Eins-Betreuung. Limbach: &bdquo;Das hat etwas von einer alten Dorfschule, wo alle zusammen gelernt haben.“ Abteilungsleiter Marcel Gau nickt, weiß, wie wichtig es für die Mädchen ist, so zu lernen. &bdquo;Die individualisierte Ansprache ist wichtig, und tatsächlich stellen wir fest, dass die Frauen hoch motiviert dabei sind.“ Der Minister: &bdquo;Vier klingt ja wenig, aber wenn jede ihren eigenen, individuellen Lehrplan hat, ist das schon echt aufwendig.“ Kostet im Schnitt ein Tag Haft den Staat 202 Euro, dürfte das hier höher liegen. Der Aufwand ist größer. Dürrwald: &bdquo;Mit Frauen ist es generell aufwendiger, die sind deutlich anhänglicher und viel mehr auf Kontaktsuche – viele vertrauen mir schnell ihr halbes Leben an, vor allem junge Mädchen sind da extrem.“ Das aber bringt auch Chancen mit sich – es kann besser qualifiziert, besser Einfluss genommen werden. Vor allem bei Jugendlichen und jungen Frauen ist das wichtig, denn gerade diese kommen oft aus einem schwierigen sozialen Umfeld, haben in der Familie keinen Halt bekommen (oder hatten keine Familie), haben Gewalt erlebt, wurden erst Opfer, dann Täterin. Gau: &bdquo;Viele haben ganz andere Erfahrungen gesammelt als andere Gleichaltrige.“ Minister Limbach: &bdquo;Die tragen alle ihr Päckchen mit sich herum, nicht nur die Tat.“ Ministerialrat Uwe Nelle-Cornelsen hebt auch deshalb &bdquo;eine große Schutzfunktion für die jungen Frauen“ hervor. Fakt sei, so Limbach, &bdquo;dass sie hier oft ihre erste, berechenbare Bezugsperson finden, eine, die sich nicht abwendet.“ Gau: &bdquo;Das ist unser Ziel hier.“ Es gibt Lehrer und Sozialarbeiter, Psychologen und Betreuer. Viel menschlicher Kontakt ersetzt digitale Kontakte – Handys sind verboten. Limbach: &bdquo;Wir betreiben Intervention, raus aus dem alten Umfeld, rein in eine neue Chance.“ Lernen, lernen, lernen – fürs Leben nach dem Gefängnis Die jungen Frauen lernen überall: im Unterricht, bei der Arbeit in der Lehrküche, im Alltag. Sie leben fast alle in Doppelzimmern, lernen voneinander und miteinander. Konflikte sind programmiert, sie zu lösen, ist Teil der Resozialisierung. Gau: &bdquo;Sie sollen einen vernünftigen Umgang miteinander trainieren.“ Fast alle sind sofort in den offenen Vollzug gekommen, nur wenige kommen aus einer geschlossenen Haftsituation. Im Jugendhaus haben Erwachsene keinen Zutritt (vom Personal einmal abgesehen) – gestaltet haben es Jugendliche selbst. Graffiti überall, auf einer Wand steht: &bdquo;Your only limit is your mind, gezeichnet: Alice im Wunderland.“ Bedeutet: Deine einzige Grenze ist dein Verstand. Doch das Eis ist dünn, zu viele schlechte und schwierige Erfahrungen prallen aufeinander. Ist das Jugendhaus voll, ist es ein Pulverfass der Emotionen. Gau: &bdquo;Je mehr da sind, desto mehr Konflikte gibt es – und desto enger müssen wir dran bleiben, desto mehr Ansprachen gibt es.“ Aber auch mehr zu lernen für die Mädchen und Frauen. Die Chancen, die sie haben, sind ganz gut, etliche tauchen nach ihrer Entlassung nicht mehr in der JVA auf. Auch, weil hier intensiv versucht wird, den Weg nach draußen schon während der Haft zu üben, zu lernen. Mit klaren Regeln. Ausgang gibt es, stufenweise – erst in Begleitung zuverlässiger Personen (Familie, Freunde), dann über definierte Zeitfenster. Und im Idealfall auch über Jobs, erst in der JVA, dann außerhalb (so bei der Jugendwerkstatt, einem Verein der Jugendhilfe). In der Lehrküche lernen die Frauen für sich selbst, es gibt aber auch Zertifikate – als zarter Einstieg in eine mögliche berufliche Zukunft. Auch schulisch ist das große Ziel, außerhalb der JVA beschult zu werden. Dazu muss aber die Haftdauer passen. Gau: &bdquo;Möglichst wenig Käseglocke.“ Minister: &bdquo;Mit Kuschelvollzug hat das nichts zu tun“ Heißt: möglichst viel offener Vollzug. Jens Seidler (JVA-Leitung) und Limbach heben die Vorreiterrolle NRWs hervor, 24 Prozent aller Haftplätze seien offen, eine hohe Zahl, hinter der jahrzehntelange Erfahrung stehe. Limbach: &bdquo;Mit Kuschelvollzug hat das nichts zu tun.“ Im Gegenteil: Die Resozialisierung funktioniere &bdquo;sehr gut“.

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