Fehleinschätzung: Messerstecher vom Jahnplatz galt als ungefährlich

Bielefeld. Nach der blutigen Messerattacke eines 45-jährigen Bielefelders im Jahnplatz-Tunnel auf seine Ex-Partnerin hat Staatsanwältin Claudia Bosse inzwischen Anklage gegen den Mann erhoben. Angeklagt sind acht Vorfälle. Dabei beziehen sich der Tatbestand "versuchter Totschlag" und dreifache "gefährliche Körperverletzung" auf die Messerattacke im Jahnplatz-Tunnel. Der 45-Jährige wurde aber auch wegen Bedrohungen, versuchter Nötigung und mehreren Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz angeklagt – zurückgehend bis Juni. Das bestätigte nun Guiskard Eisenberg, Sprecher des Landgerichts Bielefeld. Mutiger Einsatz der Umstehenden rettete das Leben der 45-Jährigen Wie berichtet, hatte der Angeklagte am 20. September - dem Tag einer großen Klima-Demo in Bielefeld - mitten auf dem Bahnsteig der Haltestelle Jahnplatz plötzlich mit einem Küchenmesser auf den Kopf seiner Ex-Partnerin eingestochen und diese dabei lebensgefährlich verletzt. Nur weil die Stadtbahn-Fahrgäste Ghassan Al Yaesiri und Redouan Elouarghi mit einigen anderen Helfer sofort dazwischengingen und den Angreifer damit von weiteren Attacken abhielten, überlebte die fünffache Mutter mit schwersten Verletzungen. Den beiden Helden vom Jahnplatz war es trotz der wiederholten Stichversuche des Angreifers gelungen, den Flüchtenden noch am Bahnsteig zu überwältigen und der Polizei zu übergeben. Analyse der Polizei: "keine ernste Gefahr" Vorangegangen waren nach der Trennung des Opfers vom Angeklagten im September 2018 mehrere Bedrohungen per Kurznachricht aufs Handy. Eine Gefährdungsanalyse der Polizei soll damals trotz der Morddrohungen ergeben haben, dass von dem 45-Jährigen &bdquo;keine ernste Gefahr" ausging, berichtete Staatsanwältin Bosse. Zwei Wochen vor der Tat soll sich der Angeklagte selbst in psychiatrische Behandlung begeben haben. Auch die Ärzte hier kamen nach der Behandlung zu dem Schluss, dass der 45-Jährige entlassen werden könne, weil nicht absehbar sei, dass von ihm eine Gefahr ausgehe. Am 20. September wurde klar, dass diese Einschätzungen falsch waren. Mit einer zehn Zentimeter langen Klinge griff er unvermittelt und ohne vorherigen Streit die 43-Jährige an, die auf einer Sitzbank am U-Bahn-Gleis auf die Stadtbahn wartete. Experte hält Unterbringung in forensischer Klinik für wahrscheinlich Wie Staatsanwältin Bosse mitteilte, geht der psychiatrische Sachverständige inzwischen davon aus, dass der Angeklagte, dem er eine Persönlichkeitsstörung attestiere, zur Tatzeit und schon seit Jahren vermindert schuldfähig gewesen sein soll. Der Sachverständige halte nach ausführlicher Begutachtung des 45-Jährigen sogar eine Unterbringung in einer forensischen Klinik für sehr wahrscheinlich, sagte die ermittelnde Staatsanwältin. Bei der ersten kurzen Begutachtung hatte der Psychiater den Beschuldigten – wie berichtet – noch als schuldfähig eingestuft und daher die Untersuchungshaft für ihn bejaht. Offenbar ist es dem 45-Jährigen aber auch vorher Jahre lang gelungen, sein Umfeld und seine Ärzte über seinen Zustand zu täuschen. Denn Aggressionen und Gewalt gegen seine damalige Partnerin und ihre gemeinsamen Kinder gab es – der Familie zufolge – schon lange vor der Trennung. Dem 45-Jährigen seien daraus fast keine Konsequenzen erwachsen, berichtete das Opfer. Annäherungs- und Hausverbot seit dem Frühjahr Nach ihrer Trennung von dem Angeklagten im September 2018 waren die Bedrohungen so massiv geworden, dass ein Gericht im Frühjahr gegen den 45-Jährigen ein Annäherungs- und Hausverbot verhängte. Doch daran soll sich der Bielefelder nicht gehalten haben. Laut Landgerichtssprecher Eisenberg werden dem Angeklagten in dem noch nicht terminierten Prozess gleich mehrere Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz vorgeworfen. Der erste Vorfall in der Anklage habe sich im Juni ereignet, der letzte drei Tage vor der Bluttat am 20. September. Damals soll der 45-Jährige Blumen und Pralinen zur Versöhnung vor die Tür seiner Ex-Partnerin gelegt haben – dass er damit gegen das Annäherungsverbot verstoßen habe, schien ihn nicht zu interessieren. Nur eine Stunde vor der Tat war die 43-Jährige schon wieder bei der Polizei – wegen einer neuen Morddrohung. Kurz darauf stach der Angeklagte rücksichtslos in das Gesicht seines Opfers ein.

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