Am Älterwerden gibt es nichts zu meckern, sagt ein Bielefelder Philosoph

Bielefeld. Alt werden ist eine erfreuliche Sache. Wer möchte das nicht bei guter Gesundheit? Tatsächlich ist das für eine nie dagewesene Anzahl von Menschen in Bielefeld – und Deutschland – wahr geworden. Nie war der letzte Lebensabschnitt des Menschen angenehmer, umsorgter und damit lebenswerter. Diese Sichtweise setzt der Bielefelder Philosoph Ralf Stoecker der allgemein verbreiteten Problembetrachtung des Alters entgegen. Und er kann sie sehr gut begründen. Krankheit, Leid, Last, Demenz, Pflegenotstand – das sind Standardbegriffe, wenn von &bdquo;Überalterung" – noch so ein negatives Diskurswort – der Gesellschaft gesprochen wird, wobei Stoecker da schon korrigierend eingreift: &bdquo;Es gibt nicht zu viele Alte, es gibt, wenn man genau hinschaut, nur zu wenig Kinder, die den Altersdurchschnitt nach oben treiben." Dass die Menschen heute älter würden als in vorherigen Generationen, sei ein Glück, ein &bdquo;guter Effekt", wie er sagt, frei nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten: &bdquo;Etwas besseres als den Tod findest du überall." "Ein Drittel der Über-90-Jährigen ist nicht pflegebedürftig" Das Bild vom dahin siechenden, hilflosen Greis entspräche auch nicht mehr der Realität. &bdquo;Ein Drittel der über 90-Jährigen ist nicht pflegebedürftig", sagt Stoecker, eine Statistik heranziehend. Und vor dem Erreichen des 90. Lebensjahres liegen bereits 30 Jahre des Alters, die die meisten bei guter Gesundheit und mit hoher Zufriedenheit erleben. Das habe viele Gründe, wie der Philosoph sagt: Menschen müssen längst nicht mehr so schwer arbeiten wie zu früheren Zeiten, ihre Ernährung ist reichhaltiger, es gibt zahlreiche technische Hilfen, um weiter mobil und in Bewegung zu bleiben wie beispielsweise das E-Bike, das vor allem Ältere wieder auf das Fahrrad lockt. Zwar gibt es kein Leben ohne Krankheit und Tod. Doch selbst für diese Unvermeidlichkeiten sei heute besser vorgesorgt als jemals zuvor, wie Stoecker sagt. Die Medizin hilft mit neuen Gelenken aus und lindert Schmerzen. Sogar beim herannahenden Tod gibt es eine helfende und Infrastruktur mit Palliativmedizin und Hospizbewegung. &bdquo;Es wurde auch noch nie so ehrlich mit dem Ende des Lebens umgegangen", sagt Stoecker. Während einst schwer kranken Patienten das nahe Ende noch verschwiegen oder die Lage beschönigt wurde, gehe das Umfeld aus Angehörigen und Helfenden heute in der Regel offen mit dem Tod um. Ralf Stoecker, selbst 63 Jahre alt, ist kein Schönmaler, der Nöte wie Altersarmut und Alterseinsamkeit nicht sieht. Der Professor der Uni Bielefeld hält nur nichts von den stereotypischen Vorstellungen über das Alter als Last für Angehörige, Gesellschaft und die Alten selbst. &bdquo;Diese Sichtweise ist gefährlich, weil sie diesen Teil des Lebens stark abwertet." Was daraus folgen kann, zeigen Überlegungen, Arbeitslose in der Altenpflege einsetzen zu wollen. Das klingt geradezu so, als habe dieser Teil des Lebens nur minderen Wert. &bdquo;Niemals würde das jemand für die Betreuung von Kindern vorschlagen", sagt der Philosoph diese Geringschätzung kritisierend. »Nie würde das für die Kinderbetreuung vorgeschlagen werden« Alt werden ist ein Geschenk, eine Freude. Es beutetet für die Menschen in den weitaus meisten Fällen schlicht mehr schöne Lebensjahre. Für Ralf Stoecker ist daher klar: Wenn sich die Wahrnehmung dieser Phase eher weg von der Last hin zum Wert durchsetzt – und zwar bei den Älteren selbst, den Angehörigen wie der Gesellschaft allgemein – , dann sei vieles leichter, auch die Lösung der Probleme, die damit einhergehen.

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