Erste Deportation nach Auschwitz startete vom Bielefelder Bahnhof

Bielefeld. Es ist ein Freitag, heute vor 77 Jahren. Am 10. Juli 1942 startet ein Zug vom Bielefelder Bahnhof. In den Waggons: 103 Menschen, Jüdinnen und Juden aus dem Gestapobezirk Bielefeld sowie aus Münster, Dortmund und Osnabrück. Das Ziel ist Warschau, so macht man sie glauben. Die Gestapo gestattet ihnen, unterwegs Postkarten zu schreiben. Es sind letzte Lebenszeichen, die Jahrzehnte später eine Spurensuche ermöglichen. An ihrem Ende steht eine schreckliche Gewissheit: Ankunftsort ist damals nicht Warschau, sondern das neue &bdquo;Zentrum der Massenvernichtung". Familientransport ins neue Vernichtungslager Der Deportationszug aus Bielefeld, das legen jüngste Forschungen nahe, ist der erste große Transport im Deutschen Reich, der das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anfährt. Mehr als 1.000 Jüdinnen und Juden werden aus ihren Familien gerissen und nach Stopps in Hamburg, Ludwigslust, Berlin und Magdeburg verschleppt. Zugleich ist es die einzige Deportation vom Startbahnhof Bielefeld, bei der es später keine Überlebenden geben wird. Jener Freitag im Juli 1942 ist ein Auftakt zum dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte und Bielefelder Stadtgeschichte. Davon erzählen eindrücklich in Zeilen voller Angst und Hoffnung, Sorge und Liebe die Nachrichten der Deportierten – wie die der Bielefelderin Thekla Lieber. Geschäft an der Ritterstraße An der Ritterstraße (heute Ecke Notpfortenstraße) hat die Geschäftsfrau ursprünglich einen Handel mit Öfen, Eisen- und Haushaltswaren betrieben, der in der Reichspogromnacht zerstört wird. &bdquo;Macht euch keinen Kummer um mich, bleibt Ihr nur gesund", schreibt die 60-Jährige zwei Tage vor Abfahrt des Zuges auf einer Postkarte an Tochter und Schwiegersohn in Brüssel. Den Bescheid zur Deportation hat sie kurz zuvor plötzlich erhalten. Sie reise über Hamburg, weiß Lieber schon früh. Das Ziel sei Warschau, notiert sie auf einer ihrer Karten, die sie im Sammellager Kyffhäuser am Kesselbrink schreibt (heute Standort der Restetruhe). &bdquo;Ich hoffe, dass, so Gott will, mir die Seelenkräfte verbleiben, alles zu überwinden." "Der Menschheit ganzer Jammer ist zu sehen" Sechs ihrer Postkarten wird ihre geflohene Tochter durch den Krieg retten. Eine davon schreibt ihr die Mutter aus dem Zug bei Hamburg. Das Kartenschreiben ist den Deportierten – das ist ungewöhnlich – offenbar gestattet. In ihren Karten berichten sie zudem von &bdquo;warmem Essen" und &bdquo;allerlei Verpflegung" unterwegs. Und immer wieder heißt es: Warschau. Unterdessen führt die Fahrt weiter über Berlin und Magdeburg, an jedem Stopp steigen Hunderte Menschen zu. Die Witwe Lieber aus Bielefeld schwankt am 12. Juli zwischen Hoffen und Bangen: &bdquo;Das Wetter ist herrlich. Allmählich beginnt’s, dass man sich gewöhnt. (...) Wir halten, und wieder besteigen Hunderte Gefährten diesen unendlich langen Zug. Der Menschheit ganzer Jammer ist zu sehen." Es ist ihre letzte Karte. Puzzleteile weisen nach Auschwitz Das letzte dokumentierte Lebenszeichen der Deportierten des Bielefelder Zuges stammt von den Schwestern Clara Lorch (60) und Meta Meyer (53) aus Bad Lippspringe. Ihre Karte ist in Oppeln abgestempelt – gut 140 Kilometer vor Auschwitz. Etwa zwei Tage hat die Fahrt von Bielefeld nach Oppeln gedauert. Der Rest sind Indizien einer bewussten Täuschung: Mal taucht das Ziel &bdquo;Warschau", mal das Ziel &bdquo;Auschwitz" in offiziellen Unterlagen zu diesem Transport auf. Ein Koffer, der in Auschwitz-Birkenau in einer Ausstellung zu sehen ist, gehört einem in Hamburg Zugestiegenen. Angehörige senden schon 1942 auf Verdacht Briefe nach Auschwitz oder erhalten auf Nachfragen hin den Hinweis &bdquo;Auschwitz/Krakau". "Vorführung" des Vernichtungslagers Die letzte Gewissheit fehlt. Zu viele Dokumente wurden kurz vor Kriegsende vernichtet, auch in Bielefeld. Was bekannt ist: dass sich SS-Reichsführer Heinrich Himmler nur eine Woche nach Abfahrt des Bielefelder Zugs im neuen Vernichtungslager die Ermordung von "Nicht-Arbeitsfähigen" vorführen lässt. Der Text ist entstanden in enger Zusammenarbeit mit Martin Decker aus Bielefeld sowie unter Verwendung von Materialien der Holocaustforscher Martin Decker, Kai-Uwe von Hollen und Thomas Freier. Als die Bielefelder Synagoge brannte

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