Bielefeld. Alt sind sie. Oft werden sie deutlich älter als in der freien Natur: Die Tiere in Olderdissen. Und so gibt es Tiere, die seit Jahren, ja Jahrzehnten zum Leben der Besucher, aber auch der Tierpfleger gehören. Man wird gemeinsam älter. Cheftierpfleger Markus Hinker findet das gut und richtig: Ein Tierpark sei nicht nur Ort von Geburten, sondern auch ein Ort des Sterbens.
Zyklus des Lebens
Es sei der gesamte Zyklus des Lebens zu erleben – einer, der in der Gesellschaft immer mehr ausgeblendet werde. Hinker: „Es wäre fatal, nur junge Tiere zu zeigen." So, wie in der Werbung meist junge, schöne Menschen auftauchen. Nein, Olderdissen sei auch ein Ort für alte Tiere. Hinker: „Wir halten die Tiere hier eingesperrt, da haben wir auch die Verantwortung, sie bis zum Ende zu pflegen und zu betreuen."
Enger Bezug zum Tier
Dass das unterschiedlich lange und unterschiedlich intensiv geschehe, sei aber auch eine Tatsache. Der Bezug zu den Tieren sei ein engerer als zum Wildtier, ein größerer als der Landwirts zu seine Tieren, aber auch ein kleinerer als der zum eigenen Haustier.
Künstliche Hüftgelenke?
Künstliche Hüftgelenke gibt es eher selten für Zoo-Tiere; Zahn-Prothesen nicht, künstliche Ernährung per Sonde gibt es auch nicht. Gute Pflege dagegen schon. Tierparkleiter Herbert Linnemann: „Wir passen für ältere Tiere die Fütterung an, achten mehr auf sie, sorgen dafür, dass sie nicht verdrängt werden vom Futter."
Mit Tricks zum Futter
Beispiel Steinböcke: Hier lebt eine Steingeiß, die 19 Jahre alt ist. Und damit statistisch gesehen quasi an ihrem Lebensende angelangt ist. Damit die jüngeren ihr nicht alles wegfressen, erhalten diese ihr Futter auf einem umgestürzten Baum.
Dort toben sie gerne herum, dort genießen sie ihr Futter. Was sie nicht bemerken und nicht sehen können, ist, dass die alte Geiß derweil von Hinker im Unterstand Futter bekommt. Hinker: „So kann sie in aller Ruhe fressen." Er hofft, dass die anderen Tiere den Trick nicht zu schnell durchschauen.
Gratwanderung
Zum Alter gehört bei der vergreisten Geiß auch, dass eine Klaue sichtbar viel zu lang gewachsen ist. „Doch", fragt Hinker, „was sollen wir tun?" Einfangen ist Stress, eine Narkose noch viel mehr. Es ist eine Gratwanderung.
OP wäre zu viel
Genauso ist es bei Verletzungen, bei Krankheiten. Braunbär Max hat sich die Pfote verletzt, was tun? Medikamente schlagen nicht an, eine OP wäre vermutlich zu viel Stress für den 26 Jahre alten, mächtigen Braunbären.
Erlöst
Manchmal geht es so noch viele Jahre, manchmal ganz schnell. So bei Wisent-Kuh Holle am 1. Mai. Sie hatte sich mit Bodenbakterien infiziert, deren Stoffwechselprodukte giftig sind (ähnlich Tetanus beim Menschen). Bevor sie jämmerlich mitten im Gehege sterben musste, erlöste sie Linnemann mit einem Schuss. Hinker: „Hätten wir sie zum Schlachter gebracht, hätte sie weitere Schmerzen und noch mehr Stress gehabt."
Öffentlicher Tod
Der öffentliche Tod im Tierpark sorgte für Aufregung. Doch er gehört dazu, betonen Linnemann und Hinker. Schwierig sei, zu entscheiden, wann was getan werde. Auch: für welches Tier. Natürlich habe Max einen besonderen Stellenwert, was aber nicht bedeute, dass andere Tiere vernachlässigt würden. Doch sei es auch eine Überlegung, eine kranke Ziege zu töten und als Futter für Raubtiere im Zoo zu benutzen – statt sie mit Medikamenten vollzupumpen und so, im Falle des Todes, ihr Fleisch nicht nutzen zu können.
Ethik-Kommission
Für solche Fragen haben große Zoos eine eigene Ethik-Kommission; in Olderdissen setzen sich die Mitarbeiter zusammen und diskutieren jedes Für und Wider. Grundsatz, so Linnemann: „Das Tier wird so lange versorgt, wie es ohne Probleme schmerzfrei bei uns leben kann." Und wie der Aufwand vertretbar sei. Oft stimme man sich auch mit anderen Zoos ab.
Lachende Landwirte?
Fest stehe: So einfach wie bei einem an Menschen gewöhnten Haustier sei eben auch der Arztbesuch nicht bei einem Wildtier aus dem Tierpark. Doch es werde viel getan, sagt Linnemann. Und ergänzt: „Landwirte würden über so einiges, was wir hier für die Tiere tun, nur lachen."
Regelmäßig wird geschlachtet
Der Tierpark ist dabei nicht nur ein Ort des Kuschelns. Regelmäßig werden Eintags-Küken, Mäuse und junge Kaninchen getötet – die Raubtiere werden im Tierpark nicht zu Vegetariern. Ein Zwiespalt für die Mitarbeiter, der sich nie ganz auflöst. „Routine wird das nie", sagt Hinker. Technisch schon, aber emotional nicht.
Reizthema
Hier das Töten, da der Respekt: Hinker ist sich sicher, dass Tiere Gefühle haben – und so achtet er darauf, dass sich eine Stute von einer Totgeburt bis zu 24 Stunden lang trennen kann, „das tote Fohlen bleibt so lange liegen".
Linnemann: „Wir haben Verantwortung für jedes Tier hier." Ihm sei bewusst, „dass Tod und Krankheit im Tierpark sensibel sind, ein Reizthema". Dem aber stelle sich Olderdissen.
INFORMATION
Diese Tiere liegen überwiegend bereits über dem Alter, das sie in der Natur erreichen würden – und im Bereich des Alters, das in Zoos möglich ist:
- Braunbären: Max ist 26, Jule 29 Jahre alt.
- Schneeeule Louis ist 24.
- Tarpan Bubi ist 26.
- Ein Uhu ist 40 Jahre alt.
- Rothirsch Hansi ist 14.
- Bei den Ziegen ist „die Dicke" 12 Jahre alt.
- Eine Steingeiß ist 19.
- Kolkrabe Konrad ist 33.
- Ponystute Emma ist 28.
- Luchs Lea ist 16.
- Schwarzstorch Frau Lehmann ist 20.
- Hochlandrind Greta ist 15 Jahre alt.