Bielefeld. Rudolf-August Oetker, der sich als Preuße fühlte, war ein wirkungsmächtiger Alleinherrscher in seinem großen privaten Umfeld. Er war der reichste Mann in Bielefeld. Aber, er blieb bescheiden. Seinen wirtschaftlichen Erfolg schaffte er mit Glück und Geschick. Nicht nur die eigenen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen waren - und sind - prosperierende Betriebe. Zahllose Firmenbeteiligungen und ein Immobilienbesitz sind über die Jahre hinzugekommen.
Am 20. September wäre Oetker 100 Jahre alt geworden. Die NW hat in einer dreiteiligen Geschichte das Leben Rudolf-August Oetkers beschrieben. Mit dieser Folge endet die Serie.
Das Berufsleben und seine persönliche Berufung erlebte der junge Oetker ab 1937. Er begann eine Lehre bei der Vereinsbank in Hamburg. Damit eröffnete sich die ebenso verlockende wie bedrohliche Finanzwelt. Diese Welt wurde seine Welt, seine Stärke und sein Pfund, mit dem er in den folgenden Jahrzehnten als wirtschaftsliberal denkender Kaufmann tüchtig wucherte. Ein Mann, der in die Zeit passte. Einer, der Umsatz machte, Steuern zahlte und Arbeitsplätze schaffte. Hinzu kam bei ihm die Gabe, gute, vertrauensvolle Mitarbeiter an sich zu binden.
Vor dem Zweiten Weltkrieg galten Oetkers bei Alteingesessenen als ,,neureich". Damals, als die Textiler, die Leinen-Industriellen und die aufstrebenden Maschinenbauer oben waren. Oder, glaubten noch immer oben zu sein. Dem Großvater Oetkers wurde seinerzeit die Aufnahme in die Ressource, dem maßgeblichen Geselligkeitsverein des gehobenen Bürgertums, verwehrt, weil sein Vermögen als nicht hoch genug galt. Er musste sich zunächst mit der weniger exklusiven Eintracht zufrieden geben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bot Bielefeld ein Bild des Jammers. Zerstörte Häuser, verlorene und kranke Menschen, zerrissene Familien, kaum etwas zu essen oder zu trinken. Ein Volk lag am Boden. Nur der Schwarzmarkt blühte, bis zur Währungsreform 1948. Der junge Oetker und die verbliebene Belegschaft - vornehmlich Frauen, die meisten Männer waren eingezogen - packten an und wollten wieder aufbauen. Vorankommen, das war für alle die Devise.
Der Spross, dessen Familie einmal zehn Prozent der Anteile an der Spielbank in Baden-Baden besaß und noch heute dort das 5-Sterne-Hotel ,,Brenner?s Park" hält, blieb immer der vorsichtige, bescheiden auftretende, kluge Kaufmann aus Bielefeld mit dem breiten Minden-Ravensberger Dialekt. Gleichzeitig hatte er die Mahnung seines Vaters tief verinnerlicht: Schreibe nie einen Wechsel quer! Und das oetkersche Unternehmer-Credo galt: Blühen, wie ein Veilchen im Verborgenen. So handelnd war Rudolf-August Oetker der letzte in der Familie, der alle Fäden in einer Hand hielt. Vor allem das Geld. Seine Erklärungen auf Pressekonferenzen über den erzielten Jahresertrag klangen wie ernst gemeinte Scherze: Es reichte mal so gerade, um Löhne und Steuern zu bezahlen. Nie hat die Firma Oetker in ihrer jetzt 125-jährigen Geschichte rote Zahlen geschrieben.
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Dieser reüssierende Mann hatte es in den 50er Jahren mit Hilfe des findigen Bielefelder Steuerberaters Wilhelm Kebschull verstanden, die wagnislockende deutsche Steuergesetzgebung in all ihren Möglichkeiten zu nutzen. Vor allem der berühmte § 7 des Einkommensteuergesetzes wurde unendlich variiert. Immerhin ging es um Millionen. So baute man einen Konzern auf. Das mit Nahrungsmitteln in der Zeit der sogenannten nachkriegsbedingten Fresswelle und dem Bedürfnis der Bevölkerung an gutem und reichlichem Essen verdiente Geld floss so üppig, dass es gar nicht möglich war, alles branchenspezifisch neu zu investieren.
Die Schifffahrt kam gerade recht. Deutschland sollte wieder eine Handelsflotte aufbauen. An Hamburg-Süd hielt die Familie bereits 25 Prozent der Anteile. Doch auch hier galt für den Unternehmer, trotz lockender Steuerersparnis, der Ratschlag seines Vaters: Nie die eigene Liquidität riskieren. Denn seine größte unternehmerische Aufgabe sah Oetker darin, das Unternehmen als Familienbetrieb zu erhalten.
Als sich Oetker 1981, als 65-Jähriger, aus dem operativen Geschäft zurück zog, wurde sein ältester Sohn August - heute 72 - persönlich haftender Gesellschafter. Die langjährigen Getreuen des Seniors, Dr. Guido Sandler, Rudolf Stelbrink (verstorben) und Dr. Henry de La Trobe (verstorben), äugten am Anfang mit Skepsis auf das, was der Junge anstellte. Sein Vertrauen beim Vater musste sich der Junior hart erarbeiten. In der Rückschau lobte der Alte den Filius allerdings. Eine Art familieninterner Ritterschlag in der nicht immer problemlosen Beziehung für den damals vierten Chef in der jetzt 125-jährigen Firmengeschichte.
Vor neun Jahren ist Rudolf-August Oetker gestorben. Heute besitzt jedes seiner Kinder ein Achtel des Stimmrechts und des Vermögens. Wenn der Anschein nicht trügt, wird das Erbe hoch geachtet, vermehrt und zum Teil schon wieder an die nächste Generation übertragen. Doch, so sagen kluge Testamentsvollstrecker: Auch das ausgefeilteste Testament kann Zwistigkeiten der Nachfahren nie vollständig ausschließen.
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