Wer reif für die Insel ist, ist gemeinhin ausgelaugt, gestresst, braucht dringend Urlaub. Die Videospielreihe „Anno“ dreht das ins Gegenteil um. Hier fängt die Arbeit mit der Ankunft auf der Insel erst an. Seit dem ersten Teil „Anno 1602“ von 1998 erbauen die Spielerinnen und Spieler auf einem zunächst kargen Eiland nach und nach eine blühende Siedlung.
Sage und schreibe 27 Jahre hat die Serie nun auf dem Buckel und geht mit „Anno 117: Pax Romana“ in die nunmehr achte Runde. Wir haben getestet, wie sich der neueste Teil spielt.
Wer ist eigentlich dieser Anno?
„Anno“-Veteranen kennen das schon: Ein Schiff und ein paar Vorräte, mehr haben wir zu Beginn nicht. Und auch in „Anno 117“ gilt es nun, auf einer Insel daraus eine Siedlung zu bauen. Doch damit aus dem kleinen Dorf eine wohlhabende Stadt wird, braucht es nicht nur Baumaterial. Denn unsere Einwohner benötigen bestimmte Nahrungsmittel oder kulturelle Angebote, um zufrieden zu sein und im besten Falle eine Stufe aufzusteigen – womit sie dann wiederum neue Bedürfnisse entwickeln.
„Anno 117“ verknüpft erneut geschickt Aufbauspiel mit Wirtschaftssimulation. Es geht nicht nur darum, eine möglichst schöne Stadt zu errichten. Auch an effizienten Produktionsketten müssen wir tüfteln. Wege zwischen den Betrieben sollten kurz gehalten und Über- oder Unterproduktionen vermieden werden. Zudem müssen wir darauf achten, dass aufgrund von wahllos verteilten Fruchtbarkeiten nicht alle Waren auf allen Inseln produziert werden können. Dann wiederum muss der Warentransport mit Schiffen organisiert werden. Kurzum: In der virtuellen „Anno“-Inselwelt gibt es eine Menge zu tun.
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Qual der Wahl
Das gilt bei „Anno 117“ sogar im doppelten Sinne. Denn wie schon beim Vorgänger „Anno 1800“ bespielen wir zwei Welten. Zu Beginn einer Partie entscheiden wir uns, ob wir in Latium oder Albion siedeln wollen. Latium ist dabei an das Gelände und Klima Mittelitaliens angelehnt und hat ein mediterranes Flair. Albion dagegen erinnert mit seinem rauen und feuchten Klima an die britischen Inseln.
Beide Regionen sind, anders noch als etwa bei „Anno 1404“, räumlich voneinander getrennt. Die jeweilige Inselwelt beinhaltet also nur Eilande entweder im Stile Latiums oder Albions. Beide Regionen unterscheiden sich zudem nicht nur optisch voneinander. Auch die Produktionsmöglichkeiten variieren. Wein gibt es nur in Latium, Aale dagegen nur in Albion.
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Neben der Kampagne bietet „Anno 117“ ein Endlosspiel, in dem die Spielerinnen und Spieler munter vor sich hin siedeln können. Der Schwierigkeitsgrad variiert dabei, je nach Einstellungen. So können etwa NPC eingestellt werden, mit denen man dann Handel treibt oder auch Krieg führt. Auch einige der NPC siedeln dabei entweder nur in Latium oder in Albion und beeinflussen damit freilich auch den Verlauf des Spiels.
Apropos Krieg: Der findet bei „Anno 117“ nicht nur auf dem Wasser, sondern auch an Land statt. In Kasernen können Legionäre und Bogenschützen ausgerüstet werden. Landen die an einer feindlichen Insel, liegt das Hauptaugenmerk auf der gegnerischen Prätorenvilla. Mit deren Einnahme gilt auch die Insel als erobert.
Mit Attacken auf See können Gegner effektiv von wichtigen Warenströmen abgeschnitten werden. Neu ist nun, dass militärische wie zivile Schiffe in einer Art Baukastensystem mit unterschiedlichen Modulen versehen werden können. Eine zusätzliche Ruderbank macht das Schiff schneller. Ein Turm mit Bogenschützen bietet Schutz gegen Angriffe. Allerdings ist die Auswahl in diesem Editor sehr überschaubar.
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Alle Wege führen nach Rom – auch die diagonalen
Doch auf dem Krieg liegt nicht der Fokus. Bei „Anno 117“ geht es um Städtebau und eine funktionierende Wirtschaft. Und das bekommt das Spiel in typischer „Anno“-Manier sehr gut hin – obwohl oder weil die Entwickler einige bahnbrechende Neuerungen eingeführt haben. So hat jede Bevölkerungsstufe mehrere Waren oder Dienstleistungen pro Bedürfniskategorie – aber nicht alle müssen erfüllt werden.
Die Liberti, die erste Bevölkerungsstufe, benötigen etwa Nahrung. Dieses Bedürfnis kann entweder durch Haferbrei oder Sardinen gestillt werden. Eines von beiden reicht für einen Aufstieg. Wir sind also nicht gezwungen, unseren begrenzten Platz auf der Insel für den Bau von vielen unterschiedlichen Produktionsgebäuden zu verschwenden.Aber vielleicht tun wir es ja doch. Denn Haferbrei und Sardinen geben uns unterschiedliche Attribute – wie alle Waren. Mal bekommen wir mehr Zufriedenheit, mal mehr Geld für die Stadtkasse. Es lohnt sich also unter Umständen, doch beide Bedürfnisse zu erfüllen, um möglichst viele Boni abzugreifen.
Zudem können wir unsere Siedlung und unsere Bauauswahl per Forschung verbessern. In speziellen Gebäuden generieren unsere Siedler Wissen, das wiederum in einem weitläufigen Tech-Tree investiert werden kann. Damit vergrößern wir etwa unsere Lagerkapazität oder erforschen Latrinen, die dann wiederum der Gesundheit unserer Bevölkerung zugutekommen.
Apropos Boni: Die erhalten wir auch für die Anbetung unterschiedlicher Götter. Spielte die Religion in den „Anno“-Teilen bislang eine untergeordnete Rolle, wartet der neue Teil mit einem recht großen Pantheon auf. So entscheiden wir uns in Latium in einem frühen Stadium der Partie etwa dazu, ob wir nun die Fruchtbarkeitsgöttin Ceres, Meeresgott Neptun oder Kriegsgott Mars anbeten. Alle drei geben unterschiedliche Vorteile.
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Für jede Insel entscheiden wir uns zudem neu, welchem Gott wir huldigen wollen. Das hat auch globale Auswirkungen auf die gesamte Inselwelt und für alle Spieler. Die Götter verstärken dabei unsere Legionen, machen unsere Schiffe schneller oder geben mehr Arbeitskraft.
Und die benötigen wir dringend, um unsere Stadt aufzubauen. Jede Bevölkerungsstufe stellt Arbeitskräfte, die dann für die jeweiligen Produktionsgebäude genutzt werden. So arbeiten Liberti beispielsweise in Sardinenfischereien. Bauen wir also viele Häuser, stehen uns viele Liberti zur Verfügung. Bauen wir viele Sardinenfischereien, benötigen wir dementsprechend viele Liberti-Arbeiter. Stehen zu wenige Arbeitskräfte eines Typs zur Verfügung, dann leiden alle Produktionsgebäude dieser Bevölkerungsstufe unter Arbeitermangel. Das wirkt sich negativ auf die Produktion aus und könnte zu einem Engpass an dringend benötigten Waren führen.
Diese Mechanik gilt übrigens für alle Inseln. Reine Produktionsinseln, wie etwa noch bei „Anno 1404“, gehören damit endgültig der Vergangenheit an, weil nun grundsätzlich jede Insel auch mit Bewohnern besiedelt werden muss.Neu sind auch, Achtung, diagonal verlaufende Straßen. Das mag bei dem einen oder der anderen zu Schnappatmung führen. Tatsächlich müssen wir bei „Anno“ nicht mehr im Rechteck bauen, sondern können Straßen nach Belieben ziehen. Freilich ist das keine spielentscheidende Neuerung. Aber wenn wirklich alle Wege nach Rom führen, auch die schiefen, dann sorgt das zumindest für organisch gewachsene Siedlungen.
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Konkurrenz für Graf Zahl
Womit wir allerdings Schwierigkeiten hatten, war der Zuwachs an Zahlen. Ja, Wirtschaft ist ein zentraler Bestandteil dieses Spiels und dazu gehören auch Zahlen. Dazu gehören auch die Werte Gesundheit, Brandsicherheit und Zufriedenheit – Indikatoren, die anzeigen, wie es um die Sicherheitslage in unserer Stadt bestellt ist. Rauschen diese Werte ins Negative, dann drohen Brände, Seuchen oder Aufstände. Auch wenn diese Werte das Spiel realistischer machen, kamen sie uns vor allem anfangs immer wie unnötiges Jonglieren mit Zahlen vor, das uns vom Siedeln abgelenkt hat.
Nicht zufrieden sind wir zudem mit dem Interface. Vor allem die Baumenüs sind sehr verschachtelt. Oftmals springen wir zwischen allgemeinen und für die jeweiligen Bevölkerungsgruppen spezifischen Gebäuden herum. Trotz der Möglichkeit, wichtige Gebäude in eine Art Schnellauswahl zu packen, gleicht das Bauen bisweilen einer wilden Klickorgie. Vorgängerteile haben das raffinierter gelöst – waren aber weniger komplex.
Weniger komplex ist aber leider teilweise auch die KI. Die verhält sich doch recht passiv und wenig aggressiv – zumindest auf Diplomatie-Ebene. Zudem fehlt es an abwechslungsreichen Optionen im Diplomatiemenü, weshalb dieser Bereich eher blass wirkt. In Gefechten dagegen ist die KI ein ernst zu nehmender Gegner.
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Unser Fazit zu „Anno 117: Pax Romana“
Vorweg: Wir sind befangen. „Anno 1602“ haben wir schon zu Schulzeiten kurz nach dem Release gespielt – pure Nostalgie für uns. Und „Anno 1404“ gehört bis heute zu unseren Lieblingsspielen. „Anno 117“ wurde also mit einer großen Vorfreude erwartet. Insgesamt wurden wir aber nicht enttäuscht. „Anno 117“ punktet in vielen Bereichen, macht vieles richtig.
Viele werden den neuesten Teil unweigerlich mit dem großen, dem ganz großen Vorgänger „Anno 1800“ vergleichen. Der gehört nicht nur für Fans der Serie zum besten Aufbauspiel aller Zeiten. Gründe dafür gibt es viele. Ein Vergleich der beiden Titel ist aus unserer Sicht allerdings ungerecht. Denn zum Release des Grundspiels war „Anno 1800“ zwar ein gutes Aufbauspiel, wurde aber erst mit zahlreichen Erweiterungen zu der Videospiel-Perle, die sie heute ist. Erst im Laufe der vergangenen sechs Jahre hat der Vorgänger den Umfang und die Tiefe erhalten, die Fans heute an dem Spiel schätzen. Auch für den neuesten Teil sind schon jetzt die ersten DLCs angekündigt, die 2026 erscheinen sollen.
„Anno 117“ setzt die bekannte Spielreihe eindrucksvoll fort und hat aus unserer Sicht das Potenzial, sich in den kommenden Jahren zum stärksten „Anno“-Titel zu mausern.
„Anno 117: Pax Romana“ ist seit dem 13. November 2025 erhältlich für PC, PlayStation 5 sowie Xbox Series X/S und kostet rund 60 Euro.
Transparenzhinweis: Für diesen Test wurde uns vom Publisher ein kostenloser Review-Code zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf unsere Wertung. Wir haben das Spiel auf dem PC getestet.
INFORMATION
Kaufempfehlung
Aufbau-Strategen: Wer stundenlang tüfteln, planen und optimieren möchte, findet in „Anno 117: Pax Romana“ ein neues Paradies – mit cleveren Produktionsketten, göttlichen Boni und jeder Menge Feinschliff.
Veteranen: Die DNA der Serie bleibt erhalten: Wirtschaft, Zufriedenheit, Kriegsführung – alles im bewährten „Anno“-Fluss, aber mit frischen Ideen wie Forschung, Göttern und neuen Regionen.
Neulinge: Der Einstieg ist dank Tutorials und verständlicher Systeme gut machbar. Wer Geduld mitbringt, wird schnell verstehen, warum „Anno“ seit mehr als 25 Jahren fesselt.
Grafik-Fans: Mediterranes Licht, britische Nebel, römische Architektur – optisch ist „Anno 117“ ein echtes Fest für Städtebauer.