
Es könnte alles so schön sein. Eine unentdeckte Insel. Ein paar Ressourcen und Dorfbewohner zum Start, ehe wir damit unser Reich aufbauen. Doch immer wieder werden wir vor Herausforderungen gestellt und müssen uns nerviger Kontrahenten erwehren. Wer nun an "Anno 1800" denkt: weit gefehlt. Vielmehr ist die Rede vom Strategiespiel "Northgard" des französischen Entwicklerstudio Shiro Games.
Zwar hat das Videospiel schon ein paar Jahre auf dem Buckel, denn es ist im Frühjahr 2018 erschienen. Doch nach wie vor liefern die Entwickler neue Inhalte – zuletzt erschien eine neue Fraktion, der Hermelin-Clan. Grund genug für uns, den Titel endlich ausführlich zu testen.
Worum gehts?

Das Spielprinzip ist genretypisch simpel. Wir starten in einem Sektor der Karte mit einem Gemeindehaus und vier Dorfbewohnern. Von hier aus nehmen wir Schritt für Schritt weitere Sektoren ein. Dabei müssen wir unsere Versorgung sicher stellen. Um weitere Gebäude zu bauen, brauchen wir Holz. In diese Gebäude schicken wir unsere Dorfbewohner, die dann als jeweilige Spezialisten beispielsweise Ressourcen produzieren. Unsere wachsende Bevölkerung verlangt indes nach Nahrung. Damit das Gemeindehaus aber automatisch weitere Dorfbewohner produziert, brauchen wir Zufriedenheit, die wir etwa durch den Bau spezieller Gebäude generieren.
Zudem müssen wir Stein und Erz abbauen. Ersteres wird benötigt, um Gebäude zu verbessern, zweiteres dient als Zahlungsmittel für Einheitenverbesserungen oder das Anheuern von besonders mächtigen Einheiten, den Helden. Zu guter Letzt können wir mithilfe verschiedener Quellen Wissen generieren, das wir in einer Art Tech-Tree für Verbesserungen unseres Clans einsetzen können.
Nach und nach erobern wir Teile der Karte und stoßen dabei nicht nur auf Sektoren, in denen sich Nahrung oder Holz produzieren lassen. Einige Sektoren enthalten alte Ruinen oder Schiffswracks, die wir erkunden können und die uns Ressourcen liefern. Andere Sektoren wiederum können einen mächtigen Drachen beherbergen. Besiegen wir den, erhalten wir eine dicke Belohnung. Wieder andere Sektoren sind die Heimat von neutralen Fraktionen, etwa Zwergen, Riesen oder Kobolden, mit denen wir diplomatische Beziehungen aufbauen können.
Anders als bei vergleichbaren Titeln läuft eine Partie nicht zwangsläufig auf eine militärische Konfrontation und der damit verbundenen Eliminierung des oder der Gegner hinaus. Die sogenannte Vorherrschaft ist nur eine Möglichkeit, den Sieg zu erringen. Die Spieler können darüber hinaus ebenso gewinnen, wenn sie etwa eine bestimmte Anzahl an Verbesserungen in ihrem Tech-Tree freigeschaltet oder einen bestimmten Sektor auf der Karte eingenommen haben.
Eine wichtige Funktion im Laufe einer Partie spielt der Winter. Denn während der kalten Jahreszeit ist der Verbrauch an Nahrung und (Brenn-)Holz erhöht, deren Produktion aber verringert. Das kann vor allem am Anfang dazu führen, dass unser Clan eine negative Bilanz aufweist. Wer da kein Polster in den Monaten zuvor aufgebaut hat oder kurzfristig die Produktion umstellen kann, der läuft Gefahr, dass ihm die Dorfbewohner verhungern oder erfrieren – was nicht unbedingt das Ziel sein sollte.
Was uns gefallen hat
Mittlerweile gibt es nicht weniger als 17 Fraktionen. Das Grundspiel beinhaltet sechs Clans. Weitere elf Fraktionen gibt es als DLC. Alle Fraktionen kommen mit spezifischen Vor- und Nachteilen daher. Der Wolf-Clan etwa legt seinen Fokus auf das Militär. Krieger verbrauchen weniger Nahrung und geben gleichzeitig Zufriedenheit. Der Ziegen-Clan indes kann kurzzeitig seine Produktion um 20 Prozent steigern und ist als einzige Fraktion in der Lage, Schafställe zu bauen, die Nahrung produzieren. Der Bär-Clan wiederum verbraucht weniger Nahrung und Holz während des Winters und kann einen besonders mächtigen gepanzerten Bären anheuern, der in Kämpfen ordentlich zulangt.
Neben diesen Vorteilen unterscheiden sich die Fraktionen auch in ihren Tech-Trees und eigenen Relikten, die geschmiedet werden können und ebenfalls Vorteile mit sich bringen. Nach mehr als 100 Stunden Spielzeit haben wir erst zehn der insgesamt 17 Fraktionen gespielt. Es bereitet dabei viel Freude, die Vor- und Nachteile auszuloten, weil sich dadurch tatsächlich unterschiedliche Spielerlebnisse ergeben.
Außerdem hat uns gefallen, dass das Wikinger-Setting nicht aufgesetzt wirkt. Überall gibt es Referenzen in Bezug auf die nordische Mythologie. Zudem sind die einzelnen Mechanismen im Spiel gut miteinander verzahnt. Bauen wir etwa einen Markt und einen Handelsposten in einem Sektor, dann profitieren die dort eingesetzten Händler davon und erhalten einen Bonus.
Dabei sind die Bauplätze in den Sektoren begrenzt. Ebenso wie die Anzahl der Dorfbewohner, die wir den einzelnen Gebäuden zuweisen können. Wir müssen also klug planen, was wir wohin bauen und wie wir gleichzeitig eine möglichst effiziente Wirtschaft an den Start bringen.
Sein volles Potenzial entfaltet das Spiel aus unserer Sicht daher vor allem in Mehrspielerpartien. Wenn man dem Gegner einen wichtigen Sektor vor den Augen wegschnappt oder mit dem letzten Stück Holz den Winter übersteht, kommen die Vor- und Nachteile der Fraktionen erst so richtig zum Tragen.
Was uns nicht gefallen hat
Im Spiel gegen computergesteuerte Gegner bleiben diese dagegen blass. In unseren Partien wurde die KI oftmals erst dann aktiv, wenn wir kurz vor dem Sieg standen. Nur äußerst selten sind wir dabei ins Schwitzen gekommen. In einigen Fällen blieb die KI sogar komplett passiv.
Zudem fehlt "Northgard" in den Kämpfen die taktische Tiefe. Es gibt lediglich nur eine Handvoll Einheiten. Viele Fähigkeiten sind passiv oder werden automatisch ausgelöst. Auf Formationen haben die Entwickler ganz verzichtet – ebenso wie auf Belagerungsmaschinen. Insgesamt spielen sich die Kämpfe zwar flott. Das Erobern von Sektoren benötigt aber viel Zeit, was einen etwaigen Vormarsch definitiv ausbremst.
Was dem Titel außerdem fehlt, sind Komfortfunktionen. So können etwa Bauaufträge nicht einzelnen Dorfbewohnern zugeordnet werden. Vielmehr platzieren wir ein Gebäude in einem Sektor. Ein freier Dorfbewohner macht sich dann umgehend an den Bau. Ist kein Dorfbewohner im Sektor, müssen wir erst einen hinschicken. Außerdem müssen wir nach dem Bau jedem Gebäude manuell einen oder mehrere Dorfbewohner zuweisen, damit diese dort arbeiten.
Bauen wir Steine oder Erz ab, müssen wir die Minen permanent im Auge behalten. Ist das Vorkommen nämlich versiegt, erhalten wir keine Information darüber. Die Bergarbeiter stehen dann beschäftigungslos im Sektor herum. Das ist ärgerlich.
Apropos Ereignisinformationen: Die kicken uns regelmäßig aus dem Baumenü oder der Übersicht des Tech-Trees, weil das Spiel es als wichtiger erachtet, uns darüber zu informieren, dass unser Rivale nun mit den Zwergen befreundet ist. Gleichzeitig erscheint eine überdimensionierte Infobox, wenn wir eine militärische Errungenschaft erreicht haben. Das hat uns nun schon öfter (fast) unseren Helden gekostet, weil die Box mitten in einem Kampf aufpoppte, und sich unsere Einheiten nicht mehr steuern ließen, bis wir die Info weggeklickt hatten.
Fazit
Knapp 43.500 Nutzerrezensionen hat "Northgard" mittlerweile auf Steam gesammelt. 88 Prozent davon sind positiv. In gängigen Fachzeitschriften hat der Titel gute Bewertungen bekommen. Zudem sprechen mehr als drei Millionen verkaufte Einheiten des Spiels eine deutliche Sprache.
Und auch uns hat das Game gut gefallen. "Northgard" erfindet sicherlich das Rad nicht neu, macht aber vieles richtig. Das Setting, verankert in der nordischen Mythologie, ist weitestgehend unverbraucht im Bereich der Real-Time-Strategy (RTS). Die Clans spielen sich erfrischend unterschiedlich und bedürfen dementsprechend angepasster Spielweisen. Damit ist Langzeitmotivation garantiert – sowohl im Einzel-, als auch im Mehrspieler. Wer nach dem Fiasko rund um die Neuauflage von "Warcraft III" oder Ubisofts Experimenten mit der „Siedler“-Reihe genervt ist und eine neue Herausforderung sucht, der sollte "Northgard" auf jeden Fall eine Chance geben.
"Northgard" ist erhältlich für PC, Playstation 4/5, Nintendo Switch sowie Xbox One und kostet rund 30 Euro. Wir haben die PC-Version auf Steam getestet.
Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes haben wir einen Bug bemängelt, der beim Start des Spiels die Audiospur eines Trailers in Dauerschleife wiedergab. Dieser Fehler ist mittlerweile behoben.