
Was haben Spiele wie „Widelands“, „Songs of Styx“ oder „Northgard“ gemeinsam? Genau, diese Spiele würde es womöglich ohne die „Siedler“-Reihe nicht geben. 1993 programmierte der deutsche Entwickler Volker Wertich den ersten Teil einer Serie, die in den folgenden Jahren zu einer der bekanntesten Marken im Bereich der PC-Strategiespiele wurde.
Doch der vorerst letzte Teil, „Die Siedler: Neue Allianzen“, der 2023 und damit genau 30 Jahre nach dem ersten „Siedler“ veröffentlicht wurde, fiel bei Fans und Fachpresse größtenteils durch. Dafür sorgten unter anderem regelmäßige Abstürze, fehlender Tiefgang sowie die Mikrotransaktionen für kosmetische Gegenstände.
Dabei sah es am Anfang noch gut aus. Als das Spiel bei der Gamescom 2018 angekündigt wurde, war auch Volker Wertich wieder federführend mit an Bord. Ein 2019 vom Entwickler präsentierter Prototyp des Spiels beinhaltete komplexe Warenkreisläufe, Belagerungsschlachten und die Möglichkeit, andere Fraktionen in das eigene Reich zu integrieren. Das schien dem Publisher Ubisoft Blue Byte GmbH aber zu komplex und ein zu großes Risiko, weshalb Wertich das Projekt auf eigenen Wunsch hin verließ.
Kurzerhand machte sich der Entwickler daran, seine Vision mit dem Entwicklerteam Envision Entertainment, einem Unternehmen, das Wertich mitgegründet hat, umzusetzen und tüftelte weiter an dem Prototyp von 2019 – sehr zur Freude eingefleischter Fans.
Seit Dezember ist das Spiel mit dem etwas sperrigen Namen „Pioneers of Pagonia“ nun im Early Access. Wir haben es angespielt.
Das Gameplay kommt uns irgendwie bekannt vor

Recht schnell wird deutlich, dass „Pioneers of Pagonia“ die Erfolgsformel der „Siedler“-Reihe anwendet. Wir starten mit einem Schiff voller Ressourcen und Waren sowie einigen Untertanen. Sogleich fangen wir an, die vor uns liegende Insel zu bebauen. Wir legen Straßen an, bauen Holzfällerhütten und Steinbrüche, um Ressourcen für den weiteren Ausbau zu sammeln. Mit Wachtürmen erweitern wir nach und nach unseren Einflussbereich; Sammler- und Jagdhütten, Gemüse- und Getreidefarmen sorgen für die Nahrungsversorgung unserer Pioniere.
Kernelement sind längere Warenketten, die die Spielerinnen und Spieler nach und nach aufbauen – verbunden mit der Tatsache, dass verarbeitete Ressourcen und produzierte Waren nicht einfach vorliegen, sondern von Trägern von einem zum anderen Ort transportiert werden müssen. Deshalb muss jedes Gebäude in der eigenen Siedlung auch mit einer Straße verbunden werden.
Auf jeder Karte gibt es verschiedene Ziele zu erfüllen, etwa die Ausbildung bestimmter Berufsgruppen, die Produktion einer bestimmten Warenmenge oder der Bau von bestimmten Gebäuden.
Wuseliges Lieferkettengesetz

Und genau diese Produktions- und Warenketten aufzubauen, bereitet uns besonders viel Freude, weil sie zum einen sinnvoll aufgebaut sind und uns zum anderen dazu bringen, unsere Siedlung stets effizient zu gestalten. Insgesamt wartet das Spiel mit mehr als 40 verschiedenen Gebäuden und mehr als 70 Warenarten auf.
Um beispielsweise unsere Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen, können wir Getreidefarmen errichten. Der dort geerntete Weizen muss dann in einer Mühle weiterverarbeitet werden. Für den Bau brauchen wir Nadelholzbretter aus dem Sägewerk, Stoff, der in der Weberei aus zuvor gesammelten Flachs produziert wird, Zement und hölzerne Zahnräder. Während letztere in der Holzwerkstatt aus Laubholzbretter gefertigt werden, gibt es den Zement aus der Steinmühle. Die wiederum benötigt für die Produktion Kalkstein, der von Arbeitern im Steinbruch aus gesonderten Kalksteinvorkommen gewonnen wird.
In einem anderen Beispiel fehlten in einer unserer Tavernen Köche, die Mahlzeiten für die Bevölkerung herstellen. Diese wichtigen Arbeiter werden im Gildenhaus ausgebildet. Bei näherem Hinsehen fiel uns aber auf, dass Messer fehlten, die für die Ausbildung von Köchen benötigt werden. Diese mussten erst hergestellt werden, wofür wiederum Laubholzbretter, Kohle und Eisen benötigt wurden. Oder Kupfer. Denn fünf Kupfer ersetzen einen Eisenbarren, womit Engpässe vermieden werden können.
Wirtschaft auf dem kurzen Dienstweg
Denn die Ressourcen auf den prozedural generierten Inseln in „Pioneers of Pagonia“ sind endlich. Zwar können Wälder von einem Förster neu gepflanzt werden, aber Vorkommen an Kohle, Kalkstein oder Eisen sind irgendwann erschöpft. Das zwingt uns fast schon dazu, unseren Einflussbereich immer weiter zu vergrößern und neue Quellen zu erschließen. Oder wir handeln mit uns freundlich gesinnten Dörfern oder beliefern neutrale Gebäude, die über die Karte verstreut sind.
Letztere locken mit Belohnungen, wenn wir das Gebäude mit einer Straße verbunden und mit einer bestimmten Menge an Waren beliefert haben. Dabei steckt der Teufel im Detail. So bedienen unsere Träger immer zuerst die größte Nachfrage mit Waren. Und Produktionsgebäude haben immer eine höhere Nachfrage als der Handelsposten, den wir für den Austausch mit anderen Dörfern brauchen. Wir müssen also auch hier unsere Wege kurz halten und permanent unsere Produktion im Blick behalten.
Wem das etwas zu komplex ist, der kann auch ganz alleine auf einer Insel siedeln. Derzeit stehen mehrere Karten zur Verfügung, deren Voreinstellungen sich aber individuell ändern lassen. Damit lassen sich Karten ganz nach dem persönlichen Geschmack entwerfen.
Kennst du einen, kennst du alle
Was uns definitiv fehlt, ist eine Auswahl an unterschiedlichen Völkern oder Fraktionen. In „Pioneers of Pagonia“ spielen wir in jeder Partie das gleiche Volk und errichten prinzipiell immer nach dem gleichen Muster unsere Siedlung. Sondergebäude, fraktionsspezifische Vor- oder Nachteile fehlen komplett. Das führt dazu, dass sich die Partien schnell gleich spielen und es recht schnell nicht mehr viel Neues zu entdecken gibt. Zumal es derzeit noch keinen PvP-Modus gibt, in dem wir uns mit anderen menschlichen Spielern messen könnten.
Und auch eine überzeugende Kampagne fehlt völlig. Zurzeit können Spielerinnen und Spieler lediglich aus ein paar Karten wählen und dort jeweils anfangen zu siedeln. So gibt es etwa eine Karte, auf der die Grundlagen des Spiels erklärt werden oder eine, auf der wir es mit uns feindlich gesinnten Gesellen zu tun bekommen. Diese Karten stehen aber in keinem Zusammenhang, noch wird der Versuch unternommen, das Ganze in eine Geschichte einzubetten.
Das fällt umso mehr auf, als dass der Titel des Spiels bei uns schon einige Fragen aufgeworfen hat. Was ist Pagonia? Warum sind wir dort? Warum besiedeln wir diesen Flecken Erde? Und gibt es eigentlich nur ein Pagonia, wenn die Karten doch prozedural generiert sind?

Es wirkt auf uns so, als wolle das Spiel sagen: „Eigentlich kennst du mich ja. Du weißt, was du zu tun hast – nun halt unter einem anderen Namen.“ Das von uns bereits rezensierte „Northgard“ hat in seinen Produktionsmechaniken bei Weitem nicht die Tiefe von „Pioneers of Pagonia“, weiß seine grundlegende Prämisse, nämlich die des Siedelns, aber deutlich besser zu verpacken.
Zudem lassen sich unsere Untertanen, zivile Arbeitskräfte wie militärische Einheiten, in guter alter „Siedler“-Manier nicht einzeln steuern. Wir bauen Straßen, erteilen Bauaufträge und setzen Fokuspunkte, um die sich die wuselnden Pioniere dann (hoffentlich) kümmern. Bislang klappt das ganz gut. Für uns stellt diese Art des bewussten Kontrollverlustes einen Bruch mit der eigentlichen Spielidee dar, die ja auf größtmögliche Effizienz der eigenen Siedlung abzielt. Wir hätten es gut gefunden, aktiv Figuren steuern zu dürfen, um genau diese Effizienz an manchen Punkten sicher zu stellen oder Prozesse zu beschleunigen.
Unser Fazit
Wir besiedeln eine Insel und bauen (komplexe) Warenketten auf: „Pioneers of Pagonia“ erinnert sehr stark an gute alte „Siedler“-Spiele, weil es deren Stärken gekonnt ausspielt. So weit, so gut. Und auch, wenn uns die Spielmechaniken sowie die grafische Präsentation gefallen haben, fehlen dem Spiel aus unserer Sicht noch einige Features. Das mag an der fehlenden Einbettung oder der fehlenden Varianz liegen.
Bis zum geplanten Release muss das Team um Volker Wertich bei „Pioneers of Pagonia“ aus unserer Sicht noch nachlegen – wie bereits angekündigt. So soll laut eigener Roadmap im Februar ein umfangreiches Paket folgen, das die Wirtschaft verbessern und neue Gebäude bringen soll. Zudem soll später der Bergbau umfangreicher gestaltet werden. Und auch ein Koop-Modus soll irgendwann noch kommen.
Im Early Access macht das Spiel gleichwohl schon einen guten Eindruck. Fans von Strategiespielen sollten zumindest mal reinschauen. Wir sind gespannt, in welche Richtung sich der Titel entwickelt.
„Pioneers of Pagonia“ ist für PC im Early Access auf der Spieleplattform Steam erschienen und kostet rund 30 Euro.