Games-Kritik

„Evotinction“ im Test: Spannender Aufstand der Maschinen

Das innovative Hacking-Schleichspiel begeistert nicht nur mit seiner Optik. Doch fehlende Schwierigkeitsgrade könnten für Frust sorgen. Und: Jeder Schritt zählt!

In "Evotinction" infiltrieren wir eine verlassene Forschungsstation. Die Spielatmosphäre dabei ist faszinierend. | © Spikewave Games

Christian Lund
22.10.2024 | 22.10.2024, 19:05

Das völlig neue chinesische Entwicklerstudio Spikewave Games macht bereits mit seinem allerersten Videospiel ordentlich Furore, denn „Evotinction“ brilliert als Hacking-Schleichspiel mit fantastischer Optik, innovativer Idee und knüppelhartem Schwierigkeitsgrad. Letzteres sollte niemanden schrecken, der gerne Schleichspiele spielt, denn in diesem Spiel lernt man schnell, dass man am besten zwei Schritte im Voraus plant. Alles andere kann ziemlich schnell tödlich enden.

Wer Spiele wie „Alien: Isolation“, „Dead Space“ oder „Watch Dogs“ mag und gerne knifflig-taktische Rätsel löst, sollte sich dieses Spiel unbedingt anschauen. Wir selbst hatten das Spiel überhaupt nicht auf dem Schirm, als es uns plötzlich zum Testen angeboten wurde. Völlig arglos sind wir in die Welt von „Evotinction“ getappt und waren schon nach wenigen Momenten total davon gefangen.

Worum geht’s in „Evotinction“?

Eine Drohne haben wir unschädlich gemacht – sie liegt regungslos auf dem Boden. Aber lauert hinter der nächsten Ecke schon wieder eine Bedrohung? Langsames, planvolles Vorgehen ist angeraten. - © Spikewave Games
Eine Drohne haben wir unschädlich gemacht – sie liegt regungslos auf dem Boden. Aber lauert hinter der nächsten Ecke schon wieder eine Bedrohung? Langsames, planvolles Vorgehen ist angeraten. | © Spikewave Games

In „Evotinction“ befinden wir uns in der nahen Zukunft. Künstliche Intelligenz (KI) ist längst keine Technologie mehr, bei der sich die Menschen noch fragen, wie und in welchen Bereichen man sie einsetzt – sie gestaltet die Welt aktiv mit. In einer Forschungseinrichtung namens HERE ist der bösartige Computervirus RED freigesetzt worden. Und der sorgt für das totale Chaos in der Einrichtung.

Damit nicht genug, denn der Virus befällt auch die KI, die für die zahlreichen Serviceroboter zuständig ist, die den Menschen in der Einrichtung eigentlich helfen sollte. Durch den Virus aber sind die Roboter zu Killermaschinen geworden. Jede Bewegung wird als Bedrohung wahrgenommen und muss eliminiert werden. Und lebende Menschen bewegen sich nun mal. Da in der Forschungseinrichtung ziemlich viele Menschen leben, deren Überleben gesichert werden muss, schlüpfen wir in die Rolle von Dr. Thomas Liu, um die Anlage zu infiltrieren und den Horror zu beenden.

Dr. Liu ist allerdings kein Held, wie wir ihn aus Videospielen kennen. Er hat zwar einen ziemlich hervorragenden Verstand, kann aber nicht wie ein Assassine über Häuserdächer springen oder sich von einem hohen Gebäude in einen Strohhaufen fallen lassen. Seinen Verstand aber muss er intensiv gebrauchen, und Hilfe bekommt er über seinen KI-Gefährten Oz, mit dem er über eine Schnittstelle kommunizieren kann. Das hilft, um an allerlei gefährlichen Maschinen vorbeizuschleichen, sie zu hacken und zu manipulieren oder ihnen den Garaus zu machen, um am Ende herauszufinden, wie es zu diesem Wahnsinn überhaupt kommen konnte.

Was uns gefallen hat

Hier geht's nicht weiter, eine Lichtschranke macht das Fortkommen unmöglich. Können wir die Barriere hacken? Einen Umweg gehen, aber dann mit neuen Gegnern zu tun bekommen? Welcher Weg ist der beste? - © Spikewave Games
Hier geht's nicht weiter, eine Lichtschranke macht das Fortkommen unmöglich. Können wir die Barriere hacken? Einen Umweg gehen, aber dann mit neuen Gegnern zu tun bekommen? Welcher Weg ist der beste? | © Spikewave Games

Es dauert zwar etwas, bis man eine erste Ahnung davon bekommt, was genau zu diesem Desaster in der Forschungseinrichtung geführt hat. Wer aber ein wenig Mühe darauf verwendet, Notizen und Audioaufnahmen zu finden, die aus der Zeit vor dem Virusbefall erzählen, wird mit einer faszinierenden Geschichte belohnt.

Es gibt sichere und unsichere Bereiche auf unserem Weg. In den sicheren Bereichen können wir unsere Fähigkeiten ausbauen, in den unsicheren Bereichen treffen wir auf unsere Gegner und müssen jede Sekunde auf der Hut sein. Manche von ihnen können hören, andere nur sehen. Mit einem hervorragenden Umgebungs- und Sounddesign gelingt es dem Spiel, eine bedrohliche Atmosphäre auszubreiten, in der wir zu jeder Zeit unsere Nerven angespannt halten.

Wir haben oben schon „Alien: Isolation“ und „Dead Space“ erwähnt. „Evotinction“ reiht sich da nahtlos ein, denn wie bei „Alien“ schleichen wir extremst vorsichtig durch die gefährlichen Bereiche, immer in der Angst, dass uns die todbringenden Roboter zu früh entdecken. Und wie bei „Dead Space“ ist es die völlig leergefegte Forschungsstation, die uns unsere Einsamkeit mit jedem Schritt verdeutlicht, das Knacken und Knirschen der Wände und das ungute Gefühl, dass wir doch nicht so allein sind.

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Optisch sieht das alles beeindruckend aus: unser Dr. Liu, der in einem Raumanzug durch die Forschungsabteilung gehen muss; die Roboter, die mit Laserfeldern nach Bedrohungen suchen; die Bilder der Überwachungskameras, die wir übernehmen können, um die Kontrollwege der Roboter zu erforschen; die Beleuchtung in den verschiedenen Arealen – und die unterschiedlichen Bereiche selbst. Es ist so unheimlich, und die offensichtliche Unordnung in den Büros und Labors sowie die Leere in den Hallen zeugen davon, dass das hier mal sehr belebte Bereiche waren.

Die Versteckmöglichkeiten im Spiel sind vielfältig. Auch in dieser Szene muss der weitere Weg sorgfältig geplant werden, damit das wachsame Auge über uns nicht misstrauisch wird. - © Spikewave Games
Die Versteckmöglichkeiten im Spiel sind vielfältig. Auch in dieser Szene muss der weitere Weg sorgfältig geplant werden, damit das wachsame Auge über uns nicht misstrauisch wird. | © Spikewave Games

Überzeugt hat uns vor allem aber das raffinierte Gameplay. Je weiter wir im Spiel vordringen, desto mehr Fähigkeiten erlernen wir. Hier geht es aber nicht um Kampftechniken, sondern vor allem darum, mit welchen Hacker-Skills wir der intelligenten Bedrohung etwas entgegensetzen können. Zum Beispiel lernen wir, Codes auf der Rückseite von Gegnern zu entschlüsseln, um sie danach damit unschädlich zu machen. Wir können Feinde überladen und sofort ausknocken, wobei das ziemlich viel Blaster-Energie kostet. Wir können auch ihre Sichtsensoren blenden. Viele dieser abwechslungsreichen Fähigkeiten stehen uns schnell zur Verfügung.

Das große Aber: Jede dieser Hacking-Methoden kostet eine bestimmte Zeit, und je weiter wir von den Gegnern entfernt sind, desto mehr Zeit geht beim Hacken drauf. Wir haben jedoch nur eine kleine Menge Zeit, bis uns die Gegner auf die Schliche kommen, weil Hacken in jedem System gewisse Spuren hinterlässt.

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Und so zwingt uns das Spiel sehr raffiniert dazu, dass wir sehr genau austüfteln, welche Gegner wir wie unschädlich machen, damit sie uns nicht entdecken, bevor wir den ultimativen Hack ausführen können. Das erfordert etwas Übung und Geduld, weil die Gegner selten alleine unterwegs sind, und es geht auch manchmal sehr an die Toleranzgrenze der Frustration, aber es lohnt sich, das durchzustehen. Manchmal kann man dem Tod auch schnell noch entrinnen, wenn der sichere Bereich nah ist. Ansonsten heißt es: vom Speicherpunkt neu anfangen. Denn Dr. Liu ist ganz schön verwundbar.

Was uns nicht gefallen hat

Die Übernahme von Überwachungskameras hilft, um weiter entfernte Areale überprüfen zu können. Hier scheint erstmal keine Gefahr zu drohen, aber vielleicht schwenken wir die Kamera mal ein wenig... - © Spikewave Games
Die Übernahme von Überwachungskameras hilft, um weiter entfernte Areale überprüfen zu können. Hier scheint erstmal keine Gefahr zu drohen, aber vielleicht schwenken wir die Kamera mal ein wenig... | © Spikewave Games

Man kann es diesem Spiel vermutlich nicht vorwerfen, aber es muss an dieser Stelle erwähnt werden: Es gibt in diesem Spiel keine übliche Form von Action. Wenn ihr in Videospielen Actionpassagen sucht, werdet ihr hier nicht fündig. „Evotinction“ lebt von der Strategie, die KI-Gegner nach und nach so auszuschalten und unschädlich zu machen, dass man unbeobachtet in den nächsten sicheren Bereich kommt. Oder dass man diesen Bereich zu einem sicheren macht. Wir haben die Action aber nicht vermisst, weil das Spiel durch sein Gameplay und die Atmosphäre aufreibend genug ist.

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Was uns allerdings gefehlt hat, ist das Einstellen des Schwierigkeitsgrads. Es gibt nur einen einzigen, und der ist: heftig. Gut fänden wir einen zusätzlichen leichteren Grad, der uns beim Hacken vielleicht mehr Zeit verschafft und Dr. Liu mehr Schaden aushalten lässt. Vermutlich wird die hohe Schwierigkeit einige Spielerinnen und Spieler davon abhalten, das Spiel bis zum Ende zu spielen, was sehr schade ist.

Manchmal ist uns außerdem aufgefallen, dass sich Hinweise zu Gegnern, übernehmbaren Überwachungskameras und unsichtbar machenden Wänden so sehr überlappen, dass man nicht weiß, wie man die Funktion, die man nutzen will, nun auswählt. Das lässt sich aber ja alles durch ein Update beheben – vielleicht kommt da ja noch was vom Entwickler.

Unser Fazit zu „Evotinction“

Wir haben mit „Evotinction“ eine gute Zeit verbracht – und zwar viel mehr Zeit, als wir anfangs dachten, weil wir skeptisch waren, ob uns dieses Debüt über eine böse KI würde fesseln können. Die Entwickler von Spikewave Games haben uns aber mit ihrem unterhaltsamen Mix aus Schleichen und Hacken schnell in ihre Fänge gezogen. Es hat uns großen Spaß gemacht, unsere Schritte genau zu planen, weil das Erfolgserlebnis so unmittelbar wirkte, weil die Geschichte faszinierend erzählt ist und das ganze Ding auch noch unverschämt gut aussieht. Unterschätzt nicht die Gegner in „Evotinction“, unterschätzt aber auch „Evontinction“ nicht. Denn es wird euch nachhaltig begeistern.

„Evotinction“ ist seit dem 13. September 2024 erhältlich für Playstation 5, Playstation 4 sowie PC, kostet rund 35 Euro und ist freigegeben ab 12 Jahren. Wir haben die PS5-Version gespielt.