Fortsetzungen haben es schwer in der Unterhaltungsbranche. Wenn ein Buch, ein Film oder ein Musikalbum besonders erfolgreich ist, dann werden besonders hohe Erwartungen in einen etwaigen Nachfolger gesetzt. Wenn dann noch nostalgische Gefühle der Fans hinzukommen, etwa besonders schöne Erinnerungen, die mit dem Produkt verbunden sind, dann haben es Nachfolger besonders schwer. Das gilt auch für Videospiele. Mit „Jagged Alliance 3“ und „Diablo IV“ sind in der jüngeren Vergangenheit gleich zwei Spiele erschienen, die schon vor ihrem Release von der Community bisweilen kontrovers diskutiert wurden. Vor allem der letzte Titel teilte die Fans in mindestens zwei Lager.
Hohe Erwartungen werden auch in „Baldurs Gate III“ gesetzt – einem Titel, der nach über 20 Jahren den sehr erfolgreichen zweiten Teil aus dem Jahr 2000 fortsetzt. Jener zweite Teil gehört für viele Gamer, und nicht nur für die Boomer unter ihnen, noch heute zum besten PC-Rollenspiel aller Zeiten. Während allerdings die ersten beiden Teile vom kanadischen Entwicklerstudio Bioware produziert wurden, zeichnen sich für den dritten Teil nunmehr die belgischen Larian Studios verantwortlich. Diese haben in der jüngeren Vergangenheit vor allem mit dem brillanten „Divinity: Original Sin 2“ bewiesen, dass sie Rollenspiele können. Seit Oktober 2020 war „Baldurs Gate III“ im Early Access, nun, gut drei Jahre später ist der Titel erschienen. Und wir fragen uns: Ist das Spiel eine würdige Fortsetzung der beliebten Reihe?
Worum gehts?
Genau wie im zweiten Teil starten wir in „Baldurs Gate III“ in Gefangenschaft. Wir sind an Bord eines Luftschiffs, das von Gedankenschindern nur so wimmelt. Diese krakenähnlichen Wesen beginnen eine Invasion auf den Kontinent Faerûn und haben uns und viele andere als Geisel genommen. Gleich zu Beginn bekommen wir eine Larve in unseren Kopf eingesetzt, die uns über kurz oder lang in ein schleimiges Ungeheuer mit einem Krakenkopf verwandelt – so denken wir zumindest am Anfang. Zu allem Überfluss stürzt das Luftschiff, verfolgt von mehreren Drachen, schwer beschädigt, mitten in der Wildnis ab. Wir bleiben zwar unverletzt. Doch nun müssen wir irgendwie einen Weg aus dieser misslichen Lage finden und eine Antwort darauf finden, wer oder was hinter all dem Chaos steckt.
„Baldurs Gate III“ ist ein klassisches Rollenspiel, das auf dem Regelwerk des Pen-&-Paper-Rollenspiels „Dungeons & Dragons“ (D&D) basiert. Maßgeblich dafür ist der eigene Charakter, den wir spielen. Bevor wir uns also ins Getümmel stürzen, erstellen wir diesen Charakter. Und alleine das kann bereits einige Zeit dauern. Zum Release stehen nicht weniger als elf Völker zur Verfügung, etwa Menschen, Gnome oder Zwerge. Diese unterteilen sich dann noch einmal in 31 Untervölker. Außerdem kann man aus 12 Klassen wählen, etwa Magier, Kämpfer oder Waldläufer, die sich dann in insgesamt 46 Unterklassen auffächern.
Alle Völker kommen mit spezifischen Vor- und Nachteilen daher. Je nach Vor- oder Nachteil eignen sich einige Völker eher für eine Klasse als andere Völker. Doch eigentlich sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Im Spiel müssen wir dann nicht nur handfeste Kämpfe bestehen, die in Runden ablaufen, sondern müssen immer wieder Proben bestehen. Das Spiel imitiert dabei den Spielleiter eines Pen-&-Paper-Rollenspiels und verlangt Würfelwürfe, die über das Gelingen oder das Scheitern der Probe bestimmen. Je höher der jeweilige Wert, desto höher die Erfolgswahrscheinlichkeit. Ist unser Held etwa besonders geschickt, dann fällt es ihm leichter, Schlösser zu knacken oder Gegner zu beklauen. Hat unser Charakter einen hohen Charismawert, ist er in Unterhaltungen besonders erfolgreich und kann damit dem einen oder anderen Kampf aus dem Weg gehen.
Was uns gefallen hat
Der schiere Umfang dieses Spiels ist eine Wucht. Die bereits erwähnte Charaktererstellung ist erst der Anfang. Nach einer kurzen Episode an Bord des Flugschiffes, die als eine Art Tutorial fungiert, startet ein (fast) grenzenloses Abenteuer. Wir können der Hauptquest folgen oder erst einmal die Gegend erkunden. Wir können alleine durch die Wildnis streifen oder uns erst einmal daran machen, die sechs so genannten Origins-Charaktere zu finden. Das sind potenzielle Begleiterinnen und Begleiter, die wir in unsere Gruppe aufnehmen und spielen können. Wir können Zutaten sammeln und Tränke brauen, mit Tieren sprechen oder in Gesprächen mit NPCs größere oder kleinere Nebenaufgaben erhalten. Nach knapp 25 Stunden haben wir gerade einmal an der Oberfläche gekratzt und sind nach wie vor im ersten von drei Akten. Bis zu 200 Stunden Spielzeit sollen möglich sein.
„Baldurs Gate III“ schafft es, dass uns dabei alles andere als langweilig wird, wir das Spiel wirklich fühlen und zumindest virtuell in unseren Charakter hineinschlüpfen. Das weckt Erinnerungen an so manchen Pen-&-Paper-Rollenspielabend in der Jugend. Viele Wege führen dabei ans Ziel. Wir können als Barbar unsere Feinde mit wilden Angriffen malträtieren oder als Barde wortgewandt gewaltsame Auseinandersetzungen friedlich lösen. Wir können als Schurke auf Diebestour gehen und die Einwohner der Spielwelt um ihr Erspartes erleichtern oder als Hexenmeister einen Pakt mit einem Teufel eingehen, besonders mächtig werden – dafür aber eben auch einen hohen Preis zahlen.
Das funktioniert so gut, weil die Welt in sich stimmig ist. Überall gibt es etwas zu entdecken. Und nicht nur die Hauptquest ist sehr gut geschrieben. Auch die Nebenaufgaben sind sehr interessant, abwechslungsreich und fernab vom Muster „Töte zehn Goblins“ oder „Eskortiere einen NPC ins nächste Dorf“. Die Geschichten, die großen wie die kleinen, die wir dabei erleben, sind dabei im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch. Während eines Nebenauftrages etwa legen wir uns mit einer Vettel, einer Art Waldhexe an. Nachdem wir diese erledigt haben, stoßen wir im Wald auf einen Frosch, der uns aus Dankbarkeit zu einem Schatz führt.
Wir haben uns vorgenommen, diese Nebenaufgabe in einem späteren Durchlauf anders zu lösen. Denn für jede Aufgabe gibt es unterschiedliche Ausgänge – abhängig vom eigenen Charakter, der Gruppenzusammensetzung oder der Lösungsstrategie. Das erhöht natürlich den Wiederspielwert. Ganz abgesehen davon, dass die Origins-Charaktere alle ihre individuellen Hintergrundgeschichten mitbringen, die wir ebenfalls ausführlich erforschen können.
Was uns nicht gefallen hat
Offen gestanden: Diese Freiheit hat uns zumindest am Anfang überfordert. Es braucht seine Zeit, bis wir uns in der Welt zurechtfinden und uns an die Schwierigkeit des Spiels gewöhnen. Denn die ist selbst auf dem zweiten von drei wählbaren Graden nicht ohne. Mittlerweile haben wir über 300 Spielstände gespeichert, die Schnellspeichertaste ist unser wichtigster Begleiter auf dem fiktionalen Kontinent Faerûn geworden, weil wir selbst kleinste Erfolge sofort speichern. Ehrlicherweise sei jedoch erwähnt, dass es uns damals bei den vergleichbaren Titeln „Pillars of Eternity I + II“ (2015/2018) von Obsidian Entertainment genauso ging – wobei es dort aus unserer Sicht weniger Freiheiten gab.
Was uns wirklich ärgert, sind technische Probleme. So mussten wir nun schon zweimal Kämpfe neu starten, weil sich das Spiel mittendrin aufgehangen hat. Ein anderes Mal wollte eine ausgelöste Falle nicht mehr aufhören zu explodieren. Zudem erschien eine bereits entschärfte Mine nach dem Schnellspeichern und Laden wieder an ihrem Ort, ohne dass wir sie ein zweites Mal hätten entschärfen können. Und bei einer wichtigen Zwischensequenz blieb der Bildschirm weitestgehend schwarz. Zwar lief noch die Audiospur, doch die wichtigen visuellen Eindrücke erlebten wir erst bei einer späteren Wiederholung der Sequenz.
Außerdem ist die Kameraführung recht mühsam. Immer wieder muss der nicht dynamische Blickwinkel nachjustiert werden, um in der Spielwelt ja nichts zu verpassen. Vor allem in engen Räumen oder Gebäuden kommt die Kamera oft schnell an ihre Grenzen. Da hilft auch die optional aufrufbare taktische Ansicht, die uns das Geschehen aus der Vogelperspektive betrachten lässt, nur in Maßen.
Fazit
„Baldurs Gate III“ ist ohne Zweifel ein würdiger Nachfolger seines Vorgängers. Larian Studios macht sehr viel sehr gut: Die Welt, die Charaktere und die Story sind mit unglaublich viel Liebe zum Detail ausgearbeitet. Manchmal fiel es uns schwer, den PC auszumachen, weil wir uns unbedingt noch diese eine unerforschte Ecke auf der Karte anschauen wollten und prompt in ein neues Abenteuer gestolpert sind.
Larian Studios setzt qualitativ hohe Standards. Das wird auch von der Community goutiert. Einen Tag nach dem Release war „Baldurs Gate III“ nach „Counter Strike: Global Offensive“ das zweitmeistgespielte Steam-Spiel überhaupt. Fast 500.000 Spielerinnen und Spieler gleichzeitig zählte der Titel. Jüngst waren es gar mehr als 875.000 Spielerinnen und Spieler – wohlgemerkt in einem klassischen und komplexen Rollenspiel. Und das, man höre und staune, ganz ohne unsinnige DLC-Politik, In-Game-Shops oder Battle Passes. Keine Frage: An „Baldurs Gate III“ werden sich aus unserer Sicht nicht nur künftige Rollenspiele messen lassen müssen.
"Baldurs Gate III" ist seit dem 3. August 2023 erhältlich für PC und kostet ca. 60 Euro. Wir haben die PC-Version auf Steam getestet. Am 6. September 2023 erscheint das Spiel für Playstation 5. Anfang September soll außerdem die Version für den Mac folgen.