
Ende August kam endlich das heiß ersehnte Reboot von "Saints Row" auf den Markt. Die abgedrehte Actionspielreihe gibt es seit 2006, "Saints Row IV" erschien am 23. August 2013. Jetzt, auf den Tag genau neun Jahre später, beginnt man in der Geschichte wieder bei eins. Kritiker würden wohl auch sagen: bei null. Thematisch orientierte sich "Saints Row" früher zunächst an "Grand Theft Auto" (GTA), drehte dann aber von Version zu Version immer mehr ab. Die Handlung spielte jeweils in einer Stadt, deren Viertel von rivalisierenden Gangs unterjocht waren. Als einer der "Saints" (zu Deutsch: "Heiligen"), ebenfalls eine Verbrecherbande, lag es am Spieler, die anderen Viertel und schließlich die ganze Stadt zu erobern.
"Saints Row" hat sich selbst nie besonders ernst genommen, war stets geprägt von schwarzem Humor, allerdings auch von deutlichen Gewaltdarstellungen, die teilweise für eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle sorgten. Wie in GTA stehen dem Spieler unterschiedliche Straßen-, Wasser- und Luftfahrzeuge zur Verfügung, es gibt allerlei Haupt- und Nebenmissionen zu erfüllen, und ansonsten kann man die Open-World-Karte entdecken, bis man unmissverständlich darüber informiert wird, man möge besser umdrehen, weil man jetzt das Ende der Karte erreicht. Die Erde bei "Saints Row" ist möglicherweise einfach eine Scheibe.
Zuzutrauen wäre den Entwicklern das. Denn die Reihe ist auch für ihre Abgedrehtheit bekannt. Missionsziele sind zuweilen absurd, in "Saints Row IV" geht's tatsächlich um eine Alien-Invasion, in einer Erweiterung um den Kampf gegen den Teufel himself. Was also konnte man vom fünften Teil erwarten? Viel.
Worum geht's im Reboot?

"Saints Row" (2022) spielt in der fiktiven Stadt Santo Ileso irgendwo im amerikanischen Südwesten. Wie alle anderen Städte der Reihe vorher, wird auch diese von kriminellen Vereinigungen kontrolliert: von den Los Panteros, einer Gruppe von Fitnessstudio-Gängern, die danach gerne in ihre hochmotorisierten Boliden steigen und ein paar Runden über die Bürgersteige der Stadt drehen; von den Idols (und keiner von ihnen heißt Billy), die eher als Anarchos durchgehen und sich die Clubs und Bars unter den Nagel reißen; und von Marshall Defense Industries, einem privaten Militärunternehmen, das für die Sicherheit der Stadt sorgen will.
Die " Saints" gründen sich aus enttäuschten Mitgliedern dieser drei Gangs von Santa Ileso. Da ist zum einen Neenah, eine Mechanikerin, die einst zu den GTI-Fahrern gehörte und jetzt für die "Saints", naja... Auto fährt. Das kann sie nun mal am besten. Dann haben wir den feschen DJ Kevin (hat vielleicht aus Sachsen "rübergemacht"), den DJ der guten Laune, der einst zu den Idols gehörte und möglicherweise großer Billy-Fan ist. Und Eli stößt auch noch zu unserer Gang dazu – er war früher bei den Marshalls. Und dann sind da natürlich noch wir. Wir sind, wer wir sein wollen. Zu Beginn des Spiels können wir umfangreich auswählen, welches Geschlecht wir spielen und wie wir aussehen wollen. Wir tüfteln herum, wollen unserer Figur auch ein paar Körpernarben verpassen (hartes Leben und so), da hängt sich das Spiel auf. Wir müssen neustarten. Vielleicht haben alle Kritiker recht. Es ist kein gutes Spiel.
Was uns gefallen hat

Es ist ein gutes Spiel. Wirklich. Das Problem bei der Sache ist doch: Alle, die die Spiele-Reihe vorher kannten, haben erwartet, dass es so weitergeht. Und sind kolossal enttäuscht worden, weil sie nach dem Weltall und der Hölle zurück auf den Boden der Tatsache geholt worden sind. Die Entwickler haben sich erlaubt, den völlig abgedrehten Spin zu verlassen und stattdessen eine gemäßigte Version abzuliefern. Für diese Spieler war das Reboot kein "Saints Row" mehr. Es hagelte negative Kritiken, bei Metacritic liegt der Wert für die PS5-Version derzeit bei 61 (eher noch gemäßigte Kritik, aber nicht besonders gut), die Nutzerwertung dagegen liegt bei 2,9 (eher schlecht). Kritisiert wurde nicht nur das Spiel an sich, sondern auch die Bugs, die Glitches, die Technik. Aber das lässt sich alles patchen.
Wir haben das große Glück der späten Geburt: Wir kannten keines der Vorgänger-Spiele, sind also völlig unvorbelastet rangegangen. Und können sagen: Gutes Spiel! Kein Oberknaller, aber auch nicht so grottenschlecht, wie es im Moment dasteht. Wir haben allerlei Fehler gefunden, wir haben uns geärgert, aber wir hatten auch verdammt viel Spaß. Und dann kam das sogenannte "Bright Future Update", und wir mussten einige negative Anmerkungen wieder streichen, denn die Entwickler korrigierten damit mehr als 200 Fehler. Wir haben natürlich trotzdem was zu meckern, dazu unten mehr.
Jetzt erst mal das Positive: Die Geschichte, die "Saints Row" erzählt, ist charmant, und wir erleben sie mit vier Charakteren, die uns ans Herz wachsen können, zuvorderst unser eigener Charakter, für den wir enorme Anpassungsmöglichkeiten haben (könnte allerdings manchen schon zu viel sein). Wir denken: Don't dream it, be it. Sei, wer du sein willst in Santo Ileso. Zur Not auch mit Elfenohren. Allerdings kann keiner in "Saints Row" so bescheuert laufen wie Legolas in "Herr der Ringe", aber das ist eine andere Geschichte.
Die Missionen sind abwechslungsreich und nicht so repetitiv wie oft bei anderen Open-World-Spielen, und: Das Spiel ist nicht so mit Aufgaben zugepflastert, dass man nur noch ans Abhaken denkt. Stattdessen zeigen die Entwickler viel Liebe zum Detail. In Santo Ileso pulsiert das Leben. Und die Halsschlagader der Gegner, wenn sie ihr Leben in unserem Kugelhagel lassen müssen.
In Nebenmissionen müssen wir Sehenswürdigkeiten fotografieren, Drogenpakete einsammeln oder verschwundene Autoteile finden. Um Viertel für Viertel der Stadt für uns zu gewinnen, bauen wir immer mehr vermeintlich legale Unternehmen in der ganzen Stadt auf. Etwa eine Giftmülldeponie, eine Firma für Tatortreinigung, oder wir begehen einfach massenhaft Versicherungsbetrug, indem wir uns vor fahrende Autos werfen, die uns dann in die Luft schleudern, damit wir mit einem gezielten Treffer die nächsten Autos beschädigen und die Versicherungssumme in die Höhe treiben können.
Die Mechaniken beim Kämpfen und Fahren sind nicht zu beanstanden – und wir haben da in alter GTA-Manier viel ausprobiert. Wenn man dann noch seine Karre so aufmotzen kann, dass man nicht nur etwa als Monstertruck einfach über andere Autos drüberbügeln kann, sondern den Rest links und rechts neben der Straße auch noch willkürlich mit der am Abschleppseil hängenden Last abräumen kann, dann erfreut das ein destruktives Gamer-Herz doch enorm. Und dann noch mit dem passenden Soundtrack aus dem Radio? Boom, wir lieben es, Leute! Ach ja: Es gibt auch ein Hoverboard.
Die Waffen, ja, sind immer und bei jedem Spiel der Anlass für Kritik. Aber wir können auch hier nicht meckern. Die Auswahl ist nicht zu riesig, verschiedene Kategorien haben unterschiedliche Vorteile und Leistungen, und wenn man ein hyperrealistisches Ballerspiel zocken will, greift man sowieso zu anderen Games.
Die Grafik (wir haben auf der PS5 getestet) ist gut, nicht erstklassig, aber immerhin doch gut, von einigen Fehlern mal abgesehen. Sah "Saints Row" jemals so hübsch aus? Wir wissen es nicht. Die HDR-Umsetzung ist aber wirklich gelungen! Das haben wir in deutlich besser budgetierten Spielen schon deutlich schlechter gesehen.
Was uns nicht gefallen hat

Ja, natürlich haben wir auch nach dem Patch noch was zu meckern. Zeigt uns ein Spiel, das keine Bugs hat. Natürlich ist auch "Saints Row" nicht perfekt, aber denkt doch bitte einmal an den Bug-Horror beim Start von "Cyberpunk 2077". Also, ja: Wir hatten einige Bugs und Glitches, aber nach dem Patch sind sie uns entweder weniger aufgefallen, weil wir voll in der Story gefangen waren, oder sie sind tatsächlich weg gepatcht worden.
Genervt waren wir ab und zu davon, dass uns das Spiel in Hauptmissionen Rechte wegnimmt. Nehmen wir über unser Handy eine Mission an, können wir nicht mehr unsere aufgedeckten Schnellreisepunkte nutzen und uns auch kein Auto mehr liefern lassen. Das ist in der Stadt noch einigermaßen ertragbar, weil man einfach das nächstbeste motorisierte Ding klaut, aber wenn man in der öden Wüste steht, mitten im Nirgendwo, latscht man erst mal eine ganze Weile hügelauf, hügelab.
Ebenso genervt waren wir von einem oft eng gezogenen Wirkungsbereich bei Missionen. Verlassen wir den, zählt ein Countdown runter, und sind wir nicht schnell genug zurück in dem erlaubten Bereich, der aber nicht erkennbar ist, müssen wir beim letzten Checkpoint neu starten. Immerhin speichert das Spiel zu ausgewogenen Zeiten zwischen, sodass in der Regel nicht gleich eine halbe Stunde Spielzeit dahin ist. Die Gegner dagegen dürfen den Bereich verlassen. Wir hatten in einer Mission das Problem, dass sich einer der Polizisten in seinem Auto davon gemacht hatte und durch einen Glitch irgendwo in der Wüste festhing. Wir konnten unseren Tanzbereich nicht verlassen, der Tanzbereich des Polizisten war für unsere Bewaffnung aber zu weit weg. Und zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch kein Scharfschützengewehr am Körper (danach schon). Wir konnten also nur abbrechen und vom Checkpoint neu starten.
Unser Fazit
Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Wir haben uns wirklich lange davon abhalten lassen, das Spiel zu spielen. Wir kannten keinen der vorherigen Teile und haben deshalb darauf vertraut, dass die Fachpresse und vor allem die vielen Gamer schon recht haben werden. Bei "Cyberpunk 2077" zum Beispiel hatten sie das schließlich auch. Wir können deshalb auf vollstem Herzen sagen: Wer die Reihe nicht kennt, aber GTA liebt, sollte es mit "Saints Row" versuchen. Und bedenken: Dahinter steckt nicht das Budget, das GTA zur Verfügung hatte. Ignoriert die schlechten Kritiken. Wir sagen: "Saints Row" ist unser heißer Tipp für die beliebte Sofa-Zeit zwischen den Jahren!
Und an die "Saints Row"-Kenner da draußen: Ja, vermutlich wurde mit dem Reboot das Rad nicht neu erfunden, aber das Spiel scheint doch ein würdiger Neustart zu sein. Wir hatten eine tolle Zeit in Santo Ileso, und sie ist für uns noch nicht vorbei. Wir wollen in Zukunft mehr davon. Spielt es, Leute, und verbreitet das Chaos in Santo Ileso!
"Saints Row" ist seit dem 23. August 2022 für PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X|S, Stadia und PC verfügbar, kostet rund 60 Euro und ist ab 18 Jahren freigegeben.