Rechter Influencer

Mario R. ebnete den Weg für Pegida und die AfD - jetzt droht ihm Gefängnis

Der 35-Jährige steht wegen Waffenhandels vor Gericht. Zuvor jedoch betrieb er die größte deutsche Hetz-Seite gegen Flüchtlinge. Ein Vorbild für spätere Rechts-Bewegungen.

Mario R. war für die größte deutschsprachige Hetz-Seite auf Facebook verantwortlich. Die Seite ist inzwischen eingestellt - sein Lebenswerk wird bleiben. | © dpa

Matthias Schwarzer
30.11.2018 | 30.11.2018, 14:51

Berlin. Im Jahr 2012, noch lange bevor Bewegungen wie Pegida oder die AfD eine nennenswerte Rolle spielten, fällt dem dubiosen Internet-Geschäftsmann Mario R. eine Facebook-Seite in die Hände. Sie heißt "Anonymous.Kollektiv" und versteht sich als deutscher Ableger des losen Hacker-Kollektivs.

Mario R. ist seinerzeit nur Mitbetreiber der Seite. Eines Abends jedoch, so heißt es in Erzählungen, beginnt der damals 29-Jährige, alle anderen Administratoren rauszuschmeißen und "Anonymous.Kollektiv" zu seinem Privatprojekt zu machen. Die größte deutschsprachige Hetz-Seite ist geboren - und damit eine beispiellose Propaganda-Strategie, die bis heute Bewegungen wie Pegida oder Parteien wie die AfD inspiriert.

Jetzt, sechs Jahre später, steht Mario R. vor Gericht. Nicht wegen Volksverhetzung, sondern wegen Waffenhandels. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Seine Aktivitäten als rechter Influencer werden jedoch noch lange nachwirken.

Worum geht's?

Es ist eine Situation, die im März 2014 viele Medienhäuser völlig unvorbereitet trifft. Zur Zeit des Ukraine-Konflikts ruft plötzlich die deutsche Facebook-Seite des Hacker-Kollektivs "Anonymous" in einem Post zum Boykott deutscher Medien auf. Jene Medien, die angeblich "die Kriegspropaganda Angela Merkels" unterstützten. Das Land der "Dichter und Denker" solle sich endlich erheben gegen "Feminismus-Wahn" und sich gegen "Multikulti und Masseneinwanderung" wenden.

Anlass waren seinerzeit angebliche russlandfeindliche Aussagen der "Mainstream-Medien". Der Post und ein dazugehöriges Video erreichen zehntausende Menschen - viele von ihnen glauben, dass es sich tatsächlich um eine Aktion des Hacker-Kollektivs Anonymous handelt.

Und viele folgen dem Aufruf. Die Socialmedia-Kanäle von Zeitungen und Fernsehsendern werden von Kommentaren geflutet. Von "Zensur" und "Propaganda" ist die Rede. Was damals völlig surreal wirkt, ist heute längst salonfähig. Es sind die Anfänge der "Lügenpresse"-Rufe, die heute oftmals in Gewalt gegenüber Journalisten münden.

"Friedensdemos" und Pegida

Mario R. ist gelernter Bankkaufmann und zu dieser Zeit Betreiber fragwürdiger Internetgeschäfte. Auf dubiosen Websites wie "Fandealer" oder "Cyburios" verkauft er unter anderem Facebook-Likes an Firmen, um ihre Facebook-Reichweiten zu erhöhen.

Seine politische Karriere startet R. 2014 auf der Straße. Auf sogenannten Montagsmahnwachen in Berlin tritt er im März 2014 als Redner auf. Auch diese Demos können als Vorreiter späterer rechter Kundgebungen gesehen werden. Erstmals schaffen es Aktivisten, rechtsextreme Theorien unter falschem Deckmantel in den Mainstream zu tragen. Denn die selbsternannten "Mahnwachen für den Frieden" haben einen klar antisemitischen Unterton.

Die Facebook-Seite "Anonymous.Kollektiv" entwickelt sich zum Sprachrohr dieser Bewegung. Geht es zunächst noch um Russland-Propaganda und Hetze gegen Medien, schärft die Seite zum Ende des Jahres ihr Profil. Es geht immer öfter gegen das "Merkel-Regime", Flüchtlinge und Muslime. Die Seite wächst auf fast 1 Million Abonnenten.

Bis mindestens 2014 soll Mario R. Mitglied der AfD gewesen sein. Am 19. Dezember 2014 gründet Lutz Bachmann die fremdenfeindliche Bewegung Pegida. Wenige Wochen später ruft das "Anonymous.Kollektiv" auf, die ersten Demos zu besuchen. "Die Friedensbewegung und Pegida sollten zusammengehen", heißt es dort. "Einigkeit macht stark! Dem 'Teile und Herrsche' der Eliten nicht auf den Leim gehen! 30.000 bis 40.000 protestieren gegen Regierung und manipulierte Medien in Dresden. Erste Polizisten legen Helme ab und marschieren mit!"

Mario R. selbst bestreitet zu diesem Zeitpunkt, etwas mit der Plattform "Anonymous.Kollektiv" zu tun zu haben. Journalisten und Medienhäuser, die ähnliches behaupten, lässt er sogar abmahnen. Dem VICE-Magazin beispielsweise werden per Gerichtsbeschluss sogar entsprechende Äußerungen verboten.

Hohe Summen von rechten Verlagen

Im Jahr 2015 arbeitet R. laut Medienberichten für das rechte Magazin "Compact". Wie WDR, NDR und SZ berichten, soll der heute 35-Jährige zwischen Januar und Juli 2016 mehr als 70.000 Euro von dem Verlag erhalten haben. Für welchen Zweck, ist bislang unklar. Auch der rechte Kopp-Verlag zahlte R. zwischen April 2016 und September 2017 offenbar rund 40.000 Euro, wie die Staatsanwaltschaft bestätigt.

2017 wird die Luft für Mario R. langsam dünn. Sein "Anonymous.Kollektiv" ist inzwischen zum russischen Netzwerk V-Kontakte gewechselt, das für seinen laschen Umgang mit Hasskommentaren bekannt ist. Die Facebook-Seite, die inzwischen mehr als 2 Millionen Abonnenten hat, wird angesichts anhaltender Debatten über Facebook-Hetze und "Fake-News" gesperrt. Und R. taucht unter.

 Am 21. März stürmen Beamte der ungarischen Antiterroreinheit TÉK eine Altbauwohnung im Budapester Stadtteil Pasarét. Sie führen Deutschlands meistgesuchten Rechtsextremen fest. Grund ist allerdings nicht seine Aktivität als Betreiber Deutschlands größter Hetz-Seite.

Waffenhandel zur "Bekämpfung von Flüchtlingen"

R. soll zudem die Website "Migrantenschreck" betrieben haben - das wird erst zu diesem Zeitpunkt bekannt. Über das Internetportal soll er Gaspistolen, mit denen gefährliche Hartgummigeschosse abgefeuert werden können, verkauft haben. Diese sollten laut eigener Beschreibung "der Verteidigung gegen Asylbewerber" dienen.

Jetzt beginnt der Prozess gegen den 35-Jährigen vor dem Berliner Landgericht. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt R., aus Ungarn heraus zwischen Mai und November 2016 illegale Waffen in insgesamt 193 Fällen an in Deutschland lebende Personen verkauft zu haben. Die Verkäufe sollen über mehrere ungarische Kontoverbindungen abgewickelt worden sein.

Das Sortiment des 35-Jährigen habe Lang-, Feuer-, Repetier-, Schreckschuss- und Schusswaffen beinhaltet. Er habe die in Deutschland verbotenen Waffen mit Sprüchen beworben wie "60 Joule Mündungsfeuer strecken jeden Asylbewerber nieder".

R. soll damit einen Erlös von insgesamt 110 000 Euro erzielt haben. Die illegalen Waffen wurden den Ermittlungen zufolge per Paketpost verschickt. Die Käufer hätten 249 bis 749 Euro für eine Waffe gezahlt und würden aus ganz Deutschland kommen. Sie seien "gute Mittelschicht im klassischen Sinne". Es seien Ärzte darunter, ein pensionierter Richter, Handwerker.

Was bleibt, ist der Rechtsruck

Ob durch die Waffenverkäufe tatsächlich Asylbewerber zu Schaden kamen, ist nicht abschließend geklärt. Mario R. hinterlässt dennoch ein fragwürdiges Lebenswerk.

Neben seinen kriminellen Machenschaften auf der Plattform "Migrantenschreck", hat es der heute 35-Jährige geschafft, noch lange vor der Pegida, AfD und Trump, Hetze gegen Minderheiten in die breite Öffentlichkeit zu tragen und zum Teil salonfähig zu machen. Die Seite "Anonymous.Kollektiv" wurden jahrelang von der Plattform Facebook gebilligt. Viele heute populäre Propaganda-Strategien orientieren sich daran.

Gäbe es die AfD und Pegida heute auch ohne Mario R.? Vermutlich schon. Wären sie auch so erfolgreich? Mario R. hat daran sicherlich einen großen Anteil.

Mit Material von dpa.