Der Pass des anderen

Gabriele Undine Meyers Installation "Transit" im Dialog mit Felix Nussbaums Werken überzeugt

Gabriele Undine Meyer hat als erste Künstlerin eine eigene Ausstellung mit Werken von Felix Nussbaum (r.) kuratiert und mit ihrer Installation "Transit" erweitert. Die Ausgabe von fremden Pässen an die Besucher und das Video eines tosenden Meeres (im Hintergrund) sind Bestandteil der Multi-Media-Arbeit, die das Thema Flucht und Exil aufgreift. | © FOTO: HERMANN PENTERMANN

Stefan Brams
06.02.2012 | 20.05.2022, 16:36

Osnabrück. Statt einer Eintrittskarte erhält der Besucher ein Faksimile eines Passes - von irgendeinem Menschen, aus irgendeinem Land dieser Welt. Willkürlich stempelt die Dame am Eingang zum Felix-Nussbaum-Haus in dicken roten Lettern "Entry" oder "No Entry" in den Pass. Die irritierende Aktion ist Teil von Gabriele Undine Meyers Installation im Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus, die gestern eröffnet wurde und den Titel "Transit" trägt.

Zum ersten Mal hat das Museum, das mehr als 200 Werke des 1944 in Auschwitz ermordeten Künstlers Felix Nussbaum beherbergt, eine Künstlerin gebeten, eine eigene Ausstellung aus Nussbaums Werken zu kuratieren und diese zudem mit einer eigenen Arbeit künstlerisch zu begleiten. "Wir wollen unser Haus stärker öffnen, indem sich zeitgenössische Künstler mit Nussbaums Arbeiten auseinandersetzen", betont Inge Jaehner, Direktorin des Museums. Den Auftakt zu der neuen Reihe macht nun die Bielefelder Künstlerin Gabriele Undine Meyer. Jaehner hat sie eingeladen, weil sich Meyer seit Jahren mit dem Thema Erinnerung künstlerisch auseinandersetzt.

Eine große Herausforderung sei die Einladung gewesen, aber eine, die sie gerne angenommen habe, sagt Meyer beim Presserundgang. 280 verschiedene Pässe hat Meyer aus dem Internet heruntergeladen und drucken lassen. "Ich will mit der Pass- und Stempelaktion die Besucher für einen Moment Willkür und Ausgrenzung erfahren lassen, denen Flüchtlinge ausgesetzt sind", sagt sie. Eine schwere Stahltür wird geöffnet. Dahinter ein langgestreckter, zickzackförmiger Raum mit kahlen Betonwänden - großer Saal genannt.

47 Arbeiten aus dem Werk von Felix Nussbaum, der 1904 in Osnabrück geboren wurde, hat Meyer für diesen Raum ausgewählt. Komplex eins zeigt Haus- und Stadtansichten, die Nussbaum zwischen 1926 und 1937 geschaffen hat. Dicht an dicht hat die 56-Jährige die Bilder in der einen Ecke des Raumes gehängt, so dass der Eindruck einer anonymen Gesamtstadt entsteht. Menschen sind kaum zu sehen auf den Bildern, die in Ostende, Osnabrück und Rom entstanden. Eins ist den Bildern gemeinsam: Die Orte wirken verschlossen, laden nicht dazu ein zu bleiben, grenzen aus. Meyer: "Für mich sind sie Ausdruck für Nussbaums Lebenssituation als Exilant und Verfolgter des NS-Regimes."

Diagonal gegenüber am anderen Ende des Raumes hat die Künstlerin ihre zweite Auswahl von Nussbaum-Werken versammelt. Boote und Schiffe, gemalt im Exil in Brüssel. Noch dichter gehängt als die Stadtbilder reihen sich die Boote aneinander. Fragile Gebilde sind es, die wenig Vertrauen erwecken und kaum zum Aufbruch, zur Flucht taugen dürften und so die Gefahr versinnbildlichen, die der Flucht in die Freiheit immer auch innewohnt - wenn sie denn mit diesen Kähnen überhaupt möglich wird. Zwei Bilderreihen des Verfolgten, die in dieser massierten Präsentation schon an sich beeindrucken und deren Wirkung durch den leeren riesigen Zwischenraum, der die ganze Verlorenheit Nussbaums zum Ausdruck bringt, nochmals verstärkt wird.

Doch Meyer geht einen Schritt weiter. Sie trennt die Werke an der engsten Stelle des Raumes durch ihre Videoinstallation wieder. Auf einer großen transparenten Projektionsleinwand läuft ein Schwarz-Weiß-Video. Aufgenommen von der Künstlerin selbst, die sich bei Sturm in einem kleinen Boot durch die Nordseewellen schippern ließ. Die See tost. Der Horizont schwankt. Beim Besucher stellt sich schnell das Gefühl ein, selbst dem wilden Meer ausgesetzt zu sein - kein Ufer vor Augen. Eine ausdrucksstarke Arbeit, die sofort an heutige Flüchtlingsschicksale denken lässt und im Dialog mit Nussbaums Bildern und Libeskinds beklemmendem Raum die Betrachter fast körperlich spüren lässt, wie es ist, als Flüchtling unbehaust, verfolgt, nirgendwo willkommen zu sein und keinen Ausweg zu finden. Ein trefflicher Auftakt zu der neuen Reihe im Felix-Nussbaum-Haus, der zeigt, dass Nussbaums Werk nicht nur auf die Vergangenheit zurückverweist, sondern weit in unsere Gegenwart hineinragt.

INFORMATION


Die Künstlerin und ihre Ausstellung

  • Die Ausstellung ist bis zum 15. April im Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück zu sehen. Gezeigt wird dort zudem ihre Arbeit "pro–jektion/Flucht", in deren Zentrum Erinnerungen ihrer Mutter an Flucht und Vertreibung stehen.
  • Geöffnet di.-fr. von 11-18 u. sa./so. von 10-18 Uhr. Infos unter: www.osnabrueck.de/fnh
  • Gabriele Undine Meyer, geboren 1955 in Heilbronn, lebt und arbeitet seit 1996 in Bielefeld. Seit 1990 beteiligt sie sich mit ihren Arbeiten an zahlreichenEinzelausstellungen im In- und Ausland.
  • 2008 gründete Meyer die Galerie GUM. (Ram)