
Endzeit-Games sind einfach nicht totzukriegen. Nach dem "Fallout"-Spinoff "Fallout 76", das nach seinem Release im November 2018 grandios floppte, sind in diesem Jahr bereits "Metro: Exodus" und "Far Cry: New Dawn" erschienen.
Welten in Schutt und Asche also, wohin man blickt. Vielleicht geht's uns zu gut, dass wir so eine Sehnsucht nach dem Weltuntergang und Neubeginn haben. In "Far Cry: New Dawn" jedenfalls proben wir den Neuanfang vom Neuanfang. Wir haben die zu "Far Cry 5" identische Map mit neuem Inhalt fünf Tage und Nächte getestet und ziehen ein Fazit mit gemischten Gefühlen.
Muss man den Vorgänger gespielt haben?
Wie in "Far Cry 5" befinden wir uns in der Fortsetzung "New Dawn" im fiktiven Hope County, Montana, 17 Jahre nach einer verheerenden Atomkatastrophe und den Ereignissen des Vorgängers. Es ist unbedingt notwendig, "Far Cry 5" gespielt zu haben, denn bestimmte Hinweise und Story-Entwicklungen in "New Dawn" sind nur nachzuvollziehen, wenn man zuvor schon gegen den Sektenguru Joseph Seed und dessen Familie gekämpft und allerlei Blei verschossen hat.
Zu Beginn des Spiels treffen wir auf Carmina Rye, die geboren wurde, als die Welt unterging. Die wenigen Überlebenden waren gezwungen, in Bunkern und Anlagen unter der Erde zu leben, während auf der Oberfläche noch Fallout (diesmal im Sinne von radioaktivem Niederschlag) herabregnete und die Welt eine Ödnis war. Nach und nach aber erholte sich die Natur und holte sich die zerstörte Welt zurück.
Hilfe für Menschen mit Farbschwäche
Was gleich auffällt: eine pinke Blumenart scheint sich durch die Katastrophe besonders gut entwickelt zu haben. Überhaupt ist Hope County sehr bunt geworden - und zerstört, na klar. Häuser und Kirchen sind nur noch Ruinen, Brücken stählerne Gerippe, Straßen mit Schlaglöchern übersät. Dazu all überall immer wieder pinke Blumen. Und damit Menschen mit Farbschwäche das auch genießen können, lässt sich in den Optionen eine bestimmte Grafikeinstellung vornehmen, die farbgehandicapte Menschen die Pracht erleben lässt.
Doch zurück zur Story: Nur sechs Jahren kommen die Menschen zurück an die Oberfläche und machen sich die Welt wieder nutzbar, bauen aus dem, was übrig ist, neue, sehr rudimentäre Behausungen. Dass die Abklingzeit von Radioaktivität nach einer Atomkatastrophe niemals nur sechs Jahre dauern kann, hätten die Entwickler bei Ubisoft Montreal von Menschen aus der Gegend von Tschernobyl und Fukushima erfahren können - das ist etwas unlogisch. Google hätte vielleicht auch geholfen.
Highwaymen sind keine freundlichen Trucker

Aber sei's drum. Der Vorspann bereitet die Bühne: "Wie alles in der Welt war es zu gut, um so zu bleiben." Kurz danach macht der Spieler die Bekanntschaft mit den Highwaymen, die eigentlich eher "Highwaysisters und ihre Schergen" heißen sollten. Denn das, was da so nach Trucker-Romantik klingt, ist in Wahrheit eine (serientypisch) mordende und brandschatzende Horde von Männern, die von den zwei emotionslosen Zwillingsschwestern Mickey und Lou angeführt werden.
Als Spieler gehört man zu einem Team, das bereits an der Westküste der USA geholfen hat, die Zivilisation wieder aufzubauen. Nun erreicht uns der Ruf aus Hope County, ihre Zentrale namens "Prosperity" (deutsch: "Wohlstand") zu einer sicheren Stellung zu machen und die "Highwaymen" zu verjagen. Dummerweise werden wir von unserem Team getrennt und sind mit Carmina erstmal auf uns allein gestellt.
Jeder nur einen Helfer
Aber wie schon in "Far Cry 5" sind auch jetzt wieder in ganz Hope County Helfer zu finden, die wir nach und nach anheuern. Neu bei "New Dawn" ist, dass wir jeweils immer nur einen Helfer nutzen können - bei "Far Cry 5" konnten wir uns noch auf ein schlagkräftiges Duo verlassen. Das hätten wir uns bei "New Dawn" bei der Eroberung mancher Außenposten sehr gewünscht - denn die sind je nach Ausbaustufe durchaus ganz schön knifflig.

Die Welt, in der wir unterwegs sind, kennen "Far Cry 5"-Spieler bereits aus dem Vorgänger. Die Map ist dieselbe, wenngleich sie wesentlich kleiner ist. Manche Figuren aus "Far Cry 5" treffen wir wieder, etwa den Pastor Jerome oder - ja, tatsächlich - Joseph Seed. Das Recycling der alten Map, von Figuren und Anspielungen auf den Vorgänger schlägt damit eine nette thematische Brücke zur neuen Welt in "New Dawn", wo die Menschen gezwungen sind, alte Dinge zu recyceln, um daraus neue zu erschaffen.
Wer nur die 22 Missionen der Hauptstory durchspielen will, kommt angeblich auf rund 20 Spielstunden. Da wir aber möglichst viele Facetten des Spiels kennenlernen wollten, sind wir schon wesentlich länger in "New Dawn" unterwegs. Anfangs waren wir etwas reizüberflutet von der arg bunten Welt. Nach der Apokalypse ist vieles zerstört, Farbeimer und Spraydosen aber scheinen den Niedergang der Welt schadlos überstanden zu haben. Denn überall dort, wo mal keine bunten Blumen sprießen, prangen derartig krasse Neonfarben an Containern, Außenfassaden und Fahrzeugen, dass es im Hirn nur so knallt.
Außenposten, Außenposten, Außenposten
Wenn sich Hirn und Augen an die Farbenpracht gewöhnt haben, stellt sich bald wieder das "Far Cry"-Fieber ein, wie wir es nennen. Denn obwohl die Hauptstory mal wieder ziemlich dünn ist, macht es richtig Laune, einen Außenposten nach dem nächsten einzunehmen, auf Schatzsuche (wieder sehr einfallsreich und tricky: die kleinen Rätsel) oder Expeditionen zu gehen und neue Begleiter zu finden.
Da wir eine Zivilisation neu aufbauen müssen, müssen wir bei "New Dawn" ganz besonders viel sammeln. Sammeln, sammeln und nochmals sammeln. Wer das in anderen Spielen hasst, wird an "New Dawn" nicht viel Freude haben, denn egal ob man Autos oder Waffen haben will, für alles braucht man Dinge wie Panzertape oder Federn. Und die wollen erstmal besorgt sein.
Bei der Eroberung der Außenposten hat sich Ubisoft etwas Neues einfallen lassen. Wie die Waffen und Fahrzeuge sind auch die Gegner in drei Klassen eingeteilt. Hat man einen Außenposten erobert, kann man entscheiden, ihn wieder den Highwaymen zu überlassen, die dann die Basis mit dem nächst höheren Level an Gegnern wieder besetzen. Hat man selbst nur Waffen auf dem ersten Level - dann empfiehlt es sich, den "Level 2"-Außenposten erst dann anzugreifen, wenn man selbst entsprechende Waffen besitzt. Sonst kann das ganz schnell eine frustrierende Angelegenheit werden.
Recycling at it's best
Ist der Posten befreit, kann man erneut den Gegner ranlassen, um dann das letzte Level und die damit höchste Schwierigkeit auszulösen. Der Erlös wird mit jedem Level höher - und genau das ist natürlich der Anreiz, denn in jedem Außenposten gibt's das extrem wichtige Ethanol, mit dem wir unsere Heimatbasis ausbauen und wieder bessere Waffen und Fahrzeuge bauen können. Recycling at it's best, nicht nur bei der Spielmechanik. Motivierend ist es aber.
Erfahrungspunkte und Ressourcen kann man übrigens auch im Shop mit echten Euros kaufen, macht aber aus unserer Sicht überhaupt keinen Sinn, weil Ihr Euch damit selbst die stufenweise Weiterentwicklung Eurer Waffen und Fähigkeiten nehmt - und damit entfällt einer der größten Spielanreize.
Das Fazit
"Far Cry: New Dawn" ist zu einem Preis von 45 Euro auf den Markt gekommen und kostet damit etwas weniger als ein Vollpreisspiel. Für das Geld bekommen Fans der "Far Cry"-Reihe erstmal mehr vom Gewohnten: Reichlich Shooter-Action, reichlich Nebenschauplätze, und immer noch reichlich Open World. Ja, die Map ist kleiner, deshalb ist der Preis auch geringer. Dennoch bekommt der Spieler abseits der Hauptstory eine Menge an Nebenmissionen geboten, die von einigen Ausnahmen abgesehen auch recht abwechslungsreich, spannend und interessant gemacht sind. Man kann also nicht behaupten, es würde hier nichts geboten. Die Frage ist nur: reicht das Kennern des Vorgängers?
Wer story-verliebt ist, wird auch mit diesem Spiel nicht glücklich, denn brutaler Bombast in den Zwischensequenzen kann eine dünne Story nicht übertünchen. Denn irre Gegenspieler fährt "Far Cry" seit Teil zwei auf. Wer gerne sammelt und lootet, sollte allerdings zugreifen. Aber auch hier die Frage: reicht das?
Die KI der Gegner in "New Dawn" ist besser geworden - im Vorgängerspiel waren die noch richtig dumm und gerne weithin sichtbare Zielscheiben. Bei "New Dawn" haben die Highwaymen und sogar die Raubtiere gelernt, bei einem Schusswechsel in Deckung zu gehen, was Schießereien spannender macht - nicht völlig unwichtig bei einem Shooter.

Technisch macht "New Dawn" einen guten Eindruck. Nennenswerte Bugs haben wir in unserem Test nicht feststellen können. Die Ladezeiten sind in Ordnung und das Spiel läuft schön flüssig. Obwohl die Grafik-Engine schon ein bisschen in die Jahre gekommen ist, sieht die Flora und Fauna in "New Dawn" sehr detailreich aus - das hat Ubisoft echt drauf. Seltsam fanden wir nur, dass man in manchen Autos so tief auf dem Fahrersitz zu hocken scheint, dass man kaum über den Lenker gucken kann. Das war gewöhnungsbedürftig. Als Lösung haben wir uns einfach andere Autos ausgesucht.
Wir stellen fest: Wir spielen "New Dawn" gerne. Wir spielen es aber vor allem deshalb gerne, weil wir "Far Cry" mögen. Aber vielleicht läutet sich mit "New Dawn" langsam das Ende der Reihe ein. Nachdem die umfangreiche Werbekampagne zu "Far Cry 5" Fans in der ganzen Welt fiebrig machte, weil sie eine kritische Sekten-Story ankündigte, die es so oder ähnlich im Spielemarkt noch nie gegeben hatte, enttäuschte das Spiel schließlich durch eine blasse und einfallslose Story. Was schade ist, denn die Entwickler von Ubisoft hätten hier einen gesellschaftskritischen Meilenstein setzen und ein grandioses Spiel vorlegen können. Und so ist "New Dawn" das pinke und solide Recycling der Idee von "Far Cry". Vielleicht aber kommt eines Tages ja noch der Neuanfang vom Neuanfang.
"Far Cry: New Dawn" ist seit dem 15. Februar 2019 erhältlich für PC, PS4 und Xbox One.
INFORMATION
5 Tipps zum Einstieg
1. Unbedingt sollte man gleich zu Anfang zusehen, dass man im Skill-Tree die Fähigkeit auswählt, Schlösser zu knacken. Denn in den Tresoren, die man findet, sind immer sehr, sehr wertvolle Ressourcen.
2. In "New Dawn" wird der Mensch wieder zum Jäger und Sammler. Deshalb sollte man unbedingt immer und überall nach Material und Ressourcen Ausschau halten. Später kann der Hund Timber, den man zuvor aus der Schlachterei befreit hat, dabei helfen, Materialien in der Nähe zu finden, indem er sie markiert.
3. Apropos Begleiter: Die sollte man nicht unterschätzen. Sobald einer befreit ist, sollte man seine Kraft nutzen und hochleveln, denn stirbt man selbst, können die Helfer den Spieler wiederbeleben. Dafür nimmt man in Kauf, dass unsere Begleiter gerne vor sich hinbrabbeln. Pastor Jerome sagt zum Beispiel in regelmäßigen Abständen: "So war's vorbestimmt." Na, sie müssen's ja wissen.
4. Ethanol ist das A und O in "New Dawn". Ohne das lässt sich das Lager nicht aufwerten und ausbauen, was ziemlich tragisch enden kann. An Ethanol kommt man am besten, indem man Transporter überfällt sowie Versorgungskisten sowie Lager plündert. Die Kisten erkennt man am gelben Rauch in der Nähe - doch, Vorsicht: da lauern auch oft schon die Highwaymen.
5. Die Musik, die die Zwillingsschwestern präferieren, ist furchtbar. Es hilft, einfach die Ghettoblaster zu zertrümmern, dann hört die Ohren-Tortur auf. Anfangs ist im Radio auch nur ein ebenso furchtbarer Sender zu empfangen. Tipp: Radio einfach ausschalten. Sobald man die Heimatbasis auf Stufe 2 ausgebaut hat, kann man den Überlebensradiosender hören. Der ist musikalisch angenehmer sortiert. Durch die Nebenmission "Audiophil" lassen sich sogar noch zehn weitere Tracks hinzufügen.