So funktioniert das Lernen per Videochat am Berufskolleg Kreis Höxter

Brakel/ Höxter. Hier und da raschelt es. Gesprächsfetzen sind zu hören: Pünktlich um 11.20 Uhr warten 20 auszubildende Industriemechaniker des Berufskollegs Kreis Höxter auf den Beginn ihrer Unterrichtsstunde. Die Präsenzzeiten an den Kollegsstandorten in Brakel und Höxter sind wegen Corona auf ein Minimum reduziert worden. Deswegen trifft sich die Mittelstufen-Klasse via Microsoft Teams in einer Videokonferenz. Die Schüler sitzen zu Hause oder in ihren Lehrbetrieben und haben sich über Laptop, Tablet oder andere Geräte in die Online-Sitzung eingewählt. Die Oberfläche des Videochats ist in Kacheln unterteilt, in jeder Kachel das Kürzel eines Auszubildenden. Das Gesicht von Lehrer Nicolas Fiekens erscheint in einem der Felder. Der 40-Jährige eröffnet die Stunde: "In den letzten Wochen habt ihr euch ja schon mit Achsen und Kupplungen auseinandergesetzt", sagt er in seine Kamera. Seine Stimme ist laut und klar zu hören. "Das heutige Thema: Getriebe." Ein Dokument wird eingeblendet. Fiekens Bild schrumpft und wandert in eine Bildschirmecke. Von dort aus kommentiert er das Material und führt weiter ins Thema ein. Während er spricht, markiert der Oberstudienrat mit seiner Maus wichtige Stellen. Die orangefarbenen Kringel, Kleckse und Unterstreichungen erscheinen mit leichter Verzögerung. "Machen bei euch die PDF-Dokumente auch solche Probleme?" Eines der Kürzel leuchtet auf. "Ja schon." Die Prüfungsvorbereitung läuft Von solchen Antworten abgesehen halten die 20 Industriemechaniker Funkdisziplin. Um den Unterricht nicht zu stören, haben sie ihre Mikrophone ausgeschaltet. Schließlich stecken die Auszubildenden in den Prüfungsvorbereitungen für den Gesellenbrief, wie Gunnar Leiweke, Abteilungsleiter für den Bereich KFZ- und Metalltechnik, im Vorfeld erklärte. Die Teilprüfung I, bestehend aus theoretischen und praktischen Tests, hätte schon im März abgenommen werden sollen, wurde wegen Corona von der Industrie- und Handelskammer aber in den September verschoben. Im Zuge ihrer dualen Ausbildung arbeiteten die Auszubildenden vier Tage pro Woche in ihren Lehrbetrieben, sagt Fiekens. Beim theoretischen Unterricht am Berufskolleg stünden berufsbezogene und prüfungsrelevante Fächer im Vordergrund. In allgemeinbildenden Fächern bekommen die Schüler Aufgaben für zu Hause ohne Videounterricht. In der Online-Sitzung der Industriemechaniker steht jetzt eine Gruppenarbeit an. Sechs Teams aus drei bis vier Azubis sollen jeweils eine Getriebeart erarbeiten. "Wir von FSB übernehmen die Zahnradgetriebe." - "Reitz würde die Zugmittelgetriebe machen." - "Wer möchte die Schraubengetriebe übernehmen?" - "Das machen wir." Die Themen sind schnell verteilt, die Aufgabe erklärt: Definition erarbeiten, Vor- und Nachteile der Getriebeart herausstellen, Anwendungsbeispiele nennen, am Ende die Ergebnisse der Klasse präsentieren. Ein Schuss mit der digitalen Papierkugel Für die Bearbeitung gibt Fiekens den Schülern 20 Minuten Zeit. Jede Gruppe gründet einen eigenen Videochat. "Friedrich, würdest du dann die Powerpoint-Präsentation erstellen?" In der Gruppe, die sich mit dem Schraubengetriebe befasst, ist ein Schriftführer schnell gefunden. Dann beginnt das Brainstorming: "Womit sollen wir anfangen? Mit den Arten oder mit den Funktionsweisen?" In der Ansicht öffnet sich eine Powerpoint-Präsentation. Friedrich Kerbs notiert Überschriften und erstellt Tabellen in der für alle sichtbaren Präsentation, doch die Übertragung hakt. Kerbs schließt und öffnet die Präsentation. Dann klappt es wieder - vorerst. "Julius, lies dir mal auf Seite 6 im Buch den ersten Satz durch." - "Bin schon dabei" - "Reicht das schon zu dem Aspekt?" - "Ich google mal nebenbei." Kerbs diktiert sich selber: "Ein-und-mehr-gän-gi-ge-Ge-trie-be." Mit jedem Klick und jedem Einwurf wächst die Präsentation."Man hört jetzt aber nicht die Kirche im Hintergrund oder?" - Gelächter. Doch wenige Minuten vor Abgabe hakt es wieder. "Hat sich dein Computer aufgehangen?" - "Nein, ich kann nicht mehr zwischen den Folien wechseln." Schließlich geht es weiter. Zurück in der großen Runde stellen die Auszubildenden ihre Ergebnisse vor. Folie für Folie, Präsentation für Präsentation. Nach jeder Gruppe klingt sich Fiekens ein, hebt wichtige Aspekte hervor und gibt Hinweise. "Eine kleine Anmerkung: Eine Kette ist auch ein Zugmittelgetriebe." Zuletzt lässt der Oberstudienrat die Stunde zusammen mit seinen Schülern Revue passieren: "Sind die Getriebe aus eurer Sicht ausreichend vorgestellt worden?" Die Symbole einiger Azubis leuchten auf: Mit dem Unterricht sind sie zufrieden. Ein weiterer Azubi meldet sich zu Wort: "Ich habe nicht immer alles verstanden, weil die Mikroqualität bei einigen Leuten nicht so..." In diesem Moment reißt die Verbindung ab. Zufall? - Nein, einer der Schüler muss sich einen Spaß erlaubt und das Mikro seines virtuellen Sitznachbarn ausgeschaltet haben - ein Schuss mit der digitalen Papierkugel. Unter den Industriemechanikern macht sich Unmut breit. Er werde schauen, wie sich der Zugriff beschränken lasse, kündigt Fiekens an. Online-Unterricht als Dauerlösung: "eher schwierig" Dass das neue Unterrichtsformat prinzipiell gut funktioniert, sei auch dem Kreis Höxter zu verdanken, sagt Leiweke. "Jeder Lehrer des Berufskollegs hat 2018 ein Diensttablet bekommen. So ist das Arbeiten mit Blick auf den Datenschutz unbedenklich." Im gleichen Jahr seien die Lehrer von Microsoft-Mitarbeitern auch im Umgang mit dem Teams-Programm geschult worden. Dennoch sei der Videounterricht am Berufskolleg nicht gleich zu Anfang der Corona-Krise gestartet, sagt Fiekens. In der ersten Zeit habe man entsprechend den Vorgaben des NRW-Schulministeriums die Schüler zu Hause mit Aufgaben versorgt. Der Auszubildende Jan Simon Humke (22) bevorzugt aber die neue Unterrichtsform. "Jetzt hat man wieder relativ normalen Unterricht. Das ist deutlich besser als zu Hause Aufgaben zu erledigen." Als Dauerlösung findet der Auszubildende Lennart Wiemers den virtuellen Unterricht "eher schwierig." Über die Einschränkung sind sich auch Leiweke und Fiekens im Klaren. "Man hat die persönlich Nähe nicht. Vor Ort wären die Schüler eher bereit Fragen zu stellen. In der Videokonferenz traut sich der ein oder andere nicht. Auch die pädagogische Arbeit, die Erziehungsarbeit ist schwieriger", sagt Fiekens. "Sonst geht man durch die Klasse, schaut, was die Schüler aufs Papier gebracht haben", eränzt Leiweke. Das entällt. "In der jetzigen Situation ist die Videobeschulung aber eine gute und sinnvolle Alternative." Denn wegen Corona dürften pro Raum nur acht oder neun Schüler unterrichtet werden, unter normalen Umständen erscheinen aber täglich deutlich über 1.000 Schüler an den Standorten, sagt Leiweke. "Wenn man das durch neun teilt, merkt man, dass es vom Lehrpersonal und von den Raumkapazitäten her nicht passt. Außerdem waren auch die Lehrbetriebe mit Blick auf das Ansteckungsrisiko ganz dankbar, dass ihre Auszubildenden nicht ins Berufskolleg müssen." Sicherlich: Nicht auf jedem Dorf gebe es ausreichend schnelles Internet, sagt Fiekens. "Auch ist Einiges erstmal ungewohnt und unkomfortabel. Aber man kann es auch als Chance sehen: Das ist ein unglaublicher Schub für die Fortbildung in Sachen Digitalisierung."

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