Bielefeld

Frauen in Deutschland immer öfter von Altersarmut betroffen

Weg zur Lohngerechtigkeit (4): Die Zahl der Senioren, die Grundsicherung empfangen, steigt. Kritikerinnen machen die Politik verantwortlich

Frauen in Deutschland immer öfter von Altersarmut betroffen. | © picture alliance / empics

Miriam Scharlibbe
22.03.2017 | 22.03.2017, 12:00

Bielefeld. Wenn sie im Jahr 2025 in Rente geht, hat sie 52 Jahre lang gearbeitet. Ihr Job als Friseurin hat ihr alles abverlangt – körperliche Anstrengungen, Kreativität, Fleiß, wirtschaftliche Kenntnisse. Als Teenagerin hat sie ihr erstes Geld verdient und in die Rentenversicherung eingezahlt. Mit 66 Jahren wird sie aufhören. Dafür erhält sie dann monatlich 836,06 Euro. Von dieser Rente muss sie noch Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung abführen.

Die Friseurin, die in Ostwestfalen-Lippe lebt, möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber sie möchte, dass viele Menschen diese Zahlen sehen. Zahlen, wie sie etliche Frauen auf ihren Rentenbescheiden vorfinden. Laut dem aktuellen Rentenversicherungsbericht haben Frauen 2015 im Schnitt 640 Euro pro Monat bekommen, Männer 1.025 Euro. Auf die Lohnlücke folgt die Rentenkluft.

Warnt vor Teilzeit: Gewerkschafterin Monika Greve. - © Monika Greve
Warnt vor Teilzeit: Gewerkschafterin Monika Greve. | © Monika Greve

Für Frauen, die weniger verdient, Kinder großgezogen, Eltern gepflegt und nur wenige Rentenpunkte gesammelt haben, wird der Ruhestand zur Abrechnung. Immer mehr Menschen sind im Alter auf Sozialleistungen angewiesen.

Mehr Empfänger von Grundsicherung

Während Ende 2006 noch 8.476 Männer und Frauen ab 65 Jahren in OWL Grundsicherung erhielten, waren es laut dem Statistischen Landesamt IT NRW Ende 2015 schon 13.258. Beim Zehn-Jahres-Vergleich überwiegt in jedem Jahr und in allen Kreisen die Zahl der Frauen, auch wenn die Lücke zwischen den Geschlechtern schrumpft: 2006 bekamen noch doppelt so viele Frauen Grundsicherung im Alter (5.674) wie Männer (2.802). Ende 2015, waren es 7.972 Frauen, 5.286 Männer.

Solche Zahlen haben Kristina Vaillant aufgeschreckt. Die Journalistin aus Berlin ist 1964 geboren. Deutschlands geburtenstärkster Jahrgang wird der erste sein, der anstatt mit 65 erst mit 67 Jahren im Jahr 2031 in Rente geht. In ihrem Buch „Die verratenen Mütter" beschreibt Vaillant, wie die Rentenpolitik ihrer Meinung nach Frauen in die Armut treibt. „In Deutschland berechnet sich die Rente knallhart danach, wie viele Stunden jemand gearbeitet und wie viel er verdient hat." Vom Eckrentner, der 45 Jahre in einer Vollzeitstelle tätig war und hohe Rentenbeiträge gezahlt habe, seien Frauen aber oft weit entfernt.

Vaillants Vorwurf: Unterschwellig spiele das Ernährermodell noch immer eine Rolle. „Die Politik geht davon aus, dass die Frau zusätzliche Einkünfte hat, durch den Mann, private Vorsorge oder eine Betriebsrente." Aber wenn die Ehe zerbricht oder das Geld nicht reicht, um etwas zurückzulegen, sieht es düster aus. Betriebsrenten würden nur große Industrieunternehmen zahlen. „Frauen arbeiten aber oft in kleinen Firmen des Dienstleistungssektors."

Forderung: Anhebung des Rentenniveaus

Empfiehlt Vorsorge: Autorin Kristina Vaillant. - © Christel Kuke
Empfiehlt Vorsorge: Autorin Kristina Vaillant. | © Christel Kuke

Monika Greve bestätigt das. Als Bezirksfrauenrätin der Gewerkschaft Verdi warnt sie vor Minijobs und Teilzeitstellen mit geringen Sozialversicherungsabgaben. „Frauen fällt es oft schwer, da wieder rauszukommen." Greve fordert eine Anhebung des Rentenniveaus, das von einst 70 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent sinken wird. „Außerdem sollten mehr Personen in den großen Topf einzahlen – auch Honorarkräfte und Soloselbstständige. Das könnte die gesetzliche Rente stärken."

Vaillant verweist auf die Nachbarländer. „In den Niederlanden bekommt jeder Einwohner eine Grundrente, die das Existenzminimum abdeckt, unabhängig davon, ob er jemals Beiträge gezahlt hat."


INFORMATION


Die Themenwoche

Unsere Themenwoche „Weg zur Lohngerechtigkeit" nimmt die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen in den Blick. Wir fragen: Wie groß ist das Problem? Kann die Politik Abhilfe schaffen? Was sagen Befürworter und Kritiker zum Lohngleichheitsgesetz? Und wie können sich Frauen helfen?
1. Aktionstag Equal Pay Day: Die Lohnlücke zwischen Mann und Frau
2. Interview: Gespräch mit einer Equal-Pay-Beraterin
3. Portrait: Die Probleme einer alleinerziehenden Mutter
4. Altersarmut: Viele Rentnerinnen sind auf Unterstützung angewiesen
5. Frauenförderung: Was machen Unternehmen?
6. Rechtliche Fallstricke: Ein Anwalt klärt auf und setzt sich ein
7. Selbsthilfe: So stärken Frauen ihre Position