Vergiftete Pausenbrote: Wer ist der Verdächtige und welches Motiv steckt dahinter?

Schloß Holte-Stukenbrock. Für die Mordkommission &bdquo;Mergel" beginnt in Bielefeld nun die Feinarbeit: Krankenakten von 21 früh verstorbenen Arbeitskollegen des Verdächtigen werden gewälzt, Ärzte befragt, Angehörige vernommen. Das 15-köpfige Team von Kriminalhauptkommissar Bernd Kauschke und Staatsanwalt Veit Walter sucht nach Indizien für Giftmorde im Kollegenkreis des 56-jährigen Klaus O. Dass der Industriemechaniker in seinem Wohnhaus in Bielefeld-Brackwede mit giftigen Schwermetallen und Substanzen experimentierte, wie sie auch in dem Schloß-Holter Unternehmen Ari-Armaturen zum Einsatz kommen, hatten die Ermittler bei Durchsuchungen festgestellt. Wer ist Klaus O., der in den schrecklichen Verdacht geraten ist, das Pausenbrot von mindestens zwei Kollegen vergiftet und ihren Tod vielleicht billigend in Kauf genommen zu haben? Die Nachbarschaft im Bielefelder Süden weiß nur wenig über den Tatverdächtigen zu berichten. Hier, in einem schönen Umfeld mit viel Grün, Ruhe und gepflegten Häusern, wohnte der 56-Jährige mit seiner Frau und zwei Kindern in einem Einfamilienhaus. "Verschlossen, unnahbar, unzufrieden" &bdquo;Nachbarschaftskontakte gab es kaum, an gemeinsamen Festen nahm Klaus O. nicht teil, er wirkte verschlossen, unnahbar und unzufrieden", erzählt ein Nachbar. Auch im Armaturenwerk in Schloß Holte, wo der 56-Jährige lernte und 38 Jahre beschäftigt war, zeichnen Kollegen das gleiche Bild. Er sei schweigsam und teils mürrisch gewesen, heißt es. Seit der Festnahme von Klaus O. vertritt ihn der Bielefelder Rechtsanwalt Henning Jansen. Der 42-jährige Jurist will sich zu den neuesten Erkenntnissen der Mordkommission nicht äußern. &bdquo;Ich beteilige mich in keinerlei Weise an den Vermutungen, die Bielefelder Staatsanwaltschaft und Polizei in einer Pressemitteilung veröffentlicht haben", sagte der Strafverteidiger. Wenn Todesfälle und Erkrankungen in den Fokus der Ermittlungen gerückt seien, müssten Fakten auf den Tisch, die er dann bewerten könne. Gleichwohl überrasche es, dass konkrete Zahlen genannt würden, wie die Aufklärung von 21 Todesfällen in der Firma. Hier soll es eine auffallend hohe Anzahl von Herzinfarkten und Krebserkrankungen gegeben haben, vielleicht verursacht durch Schwermetallvergiftungen. Motiv bleibt bislang ein Rätsel Der Neuen Westfälischen ist auch der Fall eines 21-jährigen Kollegen bekannt, der vor vier Jahren an einer Quecksilbervergiftung erkrankte. Nur regelmäßige Dialysen halten den jungen Mann am Leben. Ein anderer Mitarbeiter soll angeblich im Koma liegen. Das Motiv für die vermuteten Giftanschläge bleibt ein Rätsel, solange Klaus O. sich nicht äußert – doch der schweigt nun schon seit Wochen. &bdquo;Dabei ist die Motivlage zentral, auch für die Suche nach Beweisen", sagt ein ostwestfälischer Kriminalist. Der Verdächtige gelte als introvertiert, aber zugleich keinesfalls als dumm – immerhin experimentierte er zuhause mit heiklen Substanzen wie Bleiacetat und Quecksilber. Der Vergleich mit gängigen Mustern scheint diesmal kaum weiterzuhelfen. Von einem &bdquo;sehr ungewöhnlichen Fall" spricht die Informationszentrale gegen Vergiftungen an der Universität Bonn. Und die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh, Gutachterin und ehemalige Leiterin der Forensik in Eickelborn, möchte sich nicht an weitergehenden Spekulationen beteiligen. Täter von Giftmorden haben meist Zeit, nach der Tat Distanz zu schaffen Grundsätzlich habe der Einsatz von Gift für den Täter den Vorteil, das Leiden der Opfer nicht direkt miterleben zu müssen: &bdquo;Ganz allgemein zu konventionellen Delikten mit Gift kann man sagen, dass man heimlich eine Substanz verabreichen, vielleicht noch gemütlich miteinander plaudern und dann den Tatort verlassen kann", sagt Saimeh. Während das Gift oft erst schleichend seine Wirkung tut, kann der Täter Distanz schaffen und sich noch ein Alibi verschaffen. Typische Giftmorde seien die Taten der &bdquo;Schwarzen Witwen", psychopathische Frauen, die ihre Gatten erst umsorgen, um sie in Sicherheit zu wiegen, und sie irgendwann um des Geldes willen töten. Spektakulär war der politisch motivierte Einsatz hochgiftiger Substanzen durch Geheimdienste in den vergangenen Jahren. So wurde der russische Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko 2006 durch radioaktives Plutonium ermordet. Ähnliche (noch unbewiesene) Anschläge auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter im März 2018 führten nicht zum Tode.Eine weitere Kategorie sei der Einsatz von chemischen Substanzen in mehreren Serien von Tötungen durch Pflegepersonal – wobei die Täter ihre Patienten zum Beispiel von vermeintlichen Leiden erlösen wollen oder sich etwa als Retter inszenieren möchten. All diese Motivlagen passen aber nicht zu dem Fall von Schloß Holte. Unter Arbeitskollegen gibt es daher ganz eigene Vermutungen: So soll eines der Kinder des Verdächtigen unter einer Behinderung leiden. Hat das Leiden seines Kindes den 56-Jährigen so verbittert, dass er seinen Mitmenschen ebenfalls Leid zufügen wollte? Dann müssten mögliche Taten nicht auf die Firma beschränkt gewesen sein. Bei der Suche nach dem Motiv könnten die Ermittler noch auf überraschende Spuren stoßen.

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