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Wolfenstein - The New Colossus im Test: Vollgas, Terror-Billy!

Super Story, starker Shooter: Machine Games baut die Uralt-Marke zum rasantesten Soloerlebnis des Genres aus

Zwei Schrotflinten, Explosionen und einfach völlig übertriebene Gefechte: Das ist Wolfenstein II - The New Colossus. | © Bethesda Softworks/Machine Games

Björn Vahle
06.11.2017 | 06.11.2017, 19:46
Terror-Billy ist zurück! Widerstandskämpfer William "B.J." Blazkowicz zieht in "Wolfenstein II: The New Colossus" in den zweiten Shooter-Rachefeldzug aus der Fabrik von Entwickler Machine Games. Und soviel sei verraten: Bessere Story-Schießbuden gibt es nicht. Bessere Spiele allerdings schon. Aber der Reihe nach.

Worum geht's?

Terror-Billy hat in der fast 40-jährigen Geschichte von "Wolfenstein"-Spielen immer denselben Auftrag: Den Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Herrschaft an sich gerissen haben, eben jene wieder zu entreißen. Im Vorgänger tat er das in Deutschland, jetzt sind die USA dran, die unter der Fuchtel der herrlich hassenswerten Generalin Engel stehen. Ihrer Propaganda hat er übrigens auch seinen Spitznamen zu verdanken.

Die üble Gegenspielerin Frau Engel (l.) zwingt ihre Tochter, einen unserer Mitstreiter zu enthaupten. In solchen Momenten emotionaler Angst wird das ansonsten überzeichnete Spiel ernst. - © Bethesda Softworks/Machine Games
Die üble Gegenspielerin Frau Engel (l.) zwingt ihre Tochter, einen unserer Mitstreiter zu enthaupten. In solchen Momenten emotionaler Angst wird das ansonsten überzeichnete Spiel ernst. | © Bethesda Softworks/Machine Games

Für den Kampf rüstet er sich mit dem wohl übertriebensten Waffenarsenal der Spielegeschichte aus und schießschlachtet sich unter Vergießen absurder Mengen Pixelbluts durch Horden von Schergen des Regimes, die in der deutschen Version aus unerfindlichen Gründen nicht Nazis heißen dürfen.

"The New Colossus" ist ein ultrabrutales Spiel, das zurecht ab 18 freigegeben ist. Aber - und das unterscheidet die Spiele von Machine Games von den Serienwurzeln - es erzählt auch eine packende Geschichte von Liebe und Opfer in Zeiten des Widerstandes, von kindlichen Erfahrungen mit Gewalt und Rassismus - und kommt dabei ohne Kitsch und Pathos aus. Zumindest ohne die Sorte, die sich selbst zu ernst nimmt. Und das ist im Shooter-Genre eine absolut seltene Blüte.

Was tun wir im Spiel?

Im riesigen U-Boot "Hammerfaust" planen wir mit unseren Verbündeten den nächsten Schlag gegen das Regime. - © Bethesda Softworks/Machine Games
Im riesigen U-Boot "Hammerfaust" planen wir mit unseren Verbündeten den nächsten Schlag gegen das Regime. | © Bethesda Softworks/Machine Games

Schießen. Laufen und Schießen. Schleichen und (schallgedämpft) schießen. "The New Colossus" ist auf den ersten Blick eine grelle Schießbude, das sogenannte "Run & Gun", also das Durchhasten durch die Levels mit durchgedrücktem Finger auf dem Abzug funktioniert prächtig.

Aber das Spiel räumt uns eben auch mehr Möglichkeiten ein. Klar, wir können unserem muskelbepackten Helden zwei Schrotflinten in die Hand geben. Wir können ihn aber auch sämtliche Gegner hinterrücks erledigen lassen, ohne dass die mitbekommen, dass wir überhaupt da sind. Die Waffen sind im Laufe des Spiels anpassbar, dazu gibt's "Kampf-Mods", mit denen wir das Arsenal unserem Spielstil noch genauer anpassen können.

So schießen (oder wieseln) wir uns durch die Levels, die wir auf der Suche nach allerlei Sammelbarem in neu eingeführten Nebenmissionen auch erneut besuchen können. Etwas unnütz, finden wir, denn die Gebiete sind Schauplätze der Story - und motivieren, einmal erlebt, nicht unbedingt zum erneuten Abstecher. Insgesamt stecken die Entwickler aber deutlich mehr Möglichkeiten ins Spiel.

Warum funktioniert das Spiel so gut?

Die Schauplätze von The New Colossus sind oft entstellte Varianten bekannter amerikanischer Städte, hier Roswell mit Nazi-Parade. - © Bethesda Softworks/Machine Games
Die Schauplätze von The New Colossus sind oft entstellte Varianten bekannter amerikanischer Städte, hier Roswell mit Nazi-Parade. | © Bethesda Softworks/Machine Games

Weil Machine Games, wie im Vorgänger "The New Order", den richtigen Ton trifft. Irgendwo zwischen völlig überzeichneter Gewaltdarstellung, Selbstironie und tieftrauriger Psychoanalyse. Die Schießeinlagen bleiben ein Vehikel für die Story, sind nie Gewaltfantasien zum Selbstzweck.

Beispiel? Leidtragende der Allmachtsfantasien von Frau Engel ist unter anderem deren übergewichtige Tochter, die sich uns zu Beginn des Spiels anschließt - und deren Bedürfnis nach Liebe so zutiefst menschlich ist, dass es uns inmitten der krachenden Action ernsthaft anrührt. Weil man das einfach nicht erleben möchte. Ebenso wenig wie die Gewalt, psychisch wie physisch, die B.J. selbst in seiner Kindheit erfahren hat. All das verleiht der Welt Tiefe und den Charakteren Glaubwürdigkeit.

Und wie man sich in einer Welt wie der von Wolfenstein fühlen muss, wenn man wie B.J.s Freundin Anya mit Zwillingen schwanger ist, wollen wir uns lieber gar nicht vorstellen.

Fazit

Gibt's auch nur bei Wolfenstein: Feuerspeiende Panzerhunde. - © Bethesda Softworks/Machine Games
Gibt's auch nur bei Wolfenstein: Feuerspeiende Panzerhunde. | © Bethesda Softworks/Machine Games

Komisch. Jetzt haben wir hier einen Test über einen Shooter geschrieben, und es ging fast nur am Rande ums Schießen. Willkommen in der Welt von Machine Games. Die schwedischen Entwickler schaffen es, dem gewaltgeschwängerten Wolfenstein-Kosmos einen zutiefst humanistischen Unterton mitzugeben, der dem Spiel und der Handlung eine für Shooter höchst rare Eigenschaft einträgt: Glaubwürdigkeit.

Das Spiel ist sich bewusst, und vermittelt uns als Spieler, dass seine Mechanik grotesk überzeichnet, die brutalen Gefechte keine Ode an die Gewalt sind, sondern deren Karikatur. Dabei machen die Entwickler die Gewalt selbst zum Thema, spüren ihren Ursprüngen in den Charakteren nach und liefern Erklärungsansatze für ihre Folgen in den Taten aller Beteiligten.

So ist "Wolfenstein II - The New Colossus" beides: unterhaltsamer Shooter und feinsinnig erzählte "History of Violence". Und hat damit seine Freigabe ab 18 gleich in mehrfacher Hinsicht verdient.