Schwedin prägt 2019

Das Jahr der Greta Thunberg - wie weiter im Klimaschutz?

Greta Thunbergs Bewegung Fridays for Future ruft besonders in Deutschland lautstark nach entschiedenem Handeln gegen die Klimakrise.

Die schwedische Aktivistin hat Schüler auf der ganzen Welt zum Streik für mehr Klimaschutz aufgerufen. | © picture alliance

09.12.2019 | 09.12.2019, 13:31

Stockholm. Als in Deutschland die Bewegung gegen die Klimakrise langsam größer wird, sitzt eine junge Schwedin 32 Stunden lang im Zug zurück in ihre Heimat. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich Greta Thunberg drei Wochen nach ihrem 16. Geburtstag soeben die politische und wirtschaftliche Elite der Welt vorgeknöpft.

"Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es", hat sie den Mächtigen an den Kopf geworfen. Ihr Worte schaffen es auf die Titelseiten. Seitdem hat sich viel getan. Die Art und Weise, wie hier und in anderen Ländern über wirksame Klimamaßnahmen debattiert und gestritten wird, hat sich gewandelt - daran hat Thunberg mit ihrem einst einsamen "Schulstreik fürs Klima" einen gewaltigen Anteil.

Thunberg polarisiert

Die junge Schwedin kennt heute jeder. Millionen Menschen halten sie für einen Weltstar, andere finden sie und ihre Forderungen völlig daneben. Thunberg polarisiert. Sie traf alle - Obama, Merkel, den Papst, DiCaprio, Schwarzenegger - bis auf Trump, der sich mehrfach skeptisch geäußert hat, ob es den Klimawandel überhaupt gibt und falls ja, ob er vom Menschen verursacht ist. Als sie im Dezember während der Klimakonferenz in Madrid demonstriert, müssen Sicherheitsleute sie von Schaulustigen abschirmen, so riesig ist der Rummel geworden.

Die ersten größeren freitäglichen Klimaproteste in Deutschland haben sich nach Thunbergs Vorbild im Dezember 2018 formiert. Im Dezember 2019 sind sie aus vielen Städten des Landes kaum noch wegzudenken. Erst waren es einige Hundert, dann Tausende Demonstranten, die für das Klima auf die Straße gegangen sind. Am 20. September waren es sogar 1,4 Millionen. Längst sind neben Schülern und Studenten auch Eltern und Großeltern dabei. Aber: Hat es auch was gebracht?

Klimaschutz beschäftigt Politik

Das ist eine Frage der Perspektive. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt offen zu, dass Fridays for Future der Bundesregierung Dampf gemacht hat. Kaum ein Thema hat Union und SPD im abgelaufenen Jahr so beschäftigt wie der Klimaschutz, monatelang tagte ein Klimakabinett, an Teilen des Klimapakets wird noch bis ins neue Jahr hinein gefeilt werden.

Vor einem Jahr hätte wohl kaum jemand gedacht, dass es ein eigenes Klimaschutzgesetz mit jahresgenauen Vorgaben fürs Einsparen von Treibhausgasen geben würde, und dass die große Koalition einen nationalen CO2-Preis einführt, der Diesel und Benzin, Heizöl und Erdgas teuerer machen soll. Zugegeben: Der Einstieg ist so niedrig, dass Experten ziemlich einstimmig sagen, dass er nichts bringen wird. Aber der Einstieg ist trotzdem da.

Ausstoß von Kohlendioxid nimmt zu

Keine Partei kann den Klimaschutz ignorieren - die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will ihn sogar zu einem ihrer Schwerpunkte machen. Wenn US-Präsident Donald Trump sein Land aus dem Pariser Klimaabkommen nimmt, sagen zig US-Staaten, Regionen, Städte und Unternehmen: "Wir sind noch drin."

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Ausstoß von Kohlendioxid aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas im Jahr 2019 weltweit wieder zugenommen hat. Dass neue Kohlekraftwerke geplant und gebaut werden, dass mit dem Wirtschaftswachstum in Staaten wie China und Indien auch die Emissionen wachsen.

Trendwende ist notwendig

Da hilft es nichts, dass Klimaforscher mahnen: Bei einem "Weiter so" könnte die Welt Ende des Jahrhunderts um knapp vier Grad wärmer sein, mit katastrophalen Folgen. "Deutlich unter zwei Grad" ist das Ziel des Pariser Abkommens, möglichst 1,5 Grad. Dafür müssten den Vereinten Nationen zufolge die Emissionen weltweit betrachtet Jahr für Jahr um 7,6 Prozent zurückgehen - und zwar ab 2020. Nur große Optimisten dürften glauben, dass das gelingt.

2020 wird nicht nur wichtig, weil Wissenschaftler eine Trendwende bei den Emissionen in diesem Jahr für dringend notwendig halten, wenn die Erderwärmung und ihre Folgen noch halbwegs kontrollierbar bleiben sollen. Es ist auch das Jahr, in dem die Mitgliedsstaaten des Pariser Abkommens neue und ehrgeizigere Klimaschutzpläne vorlegen sollen.

Jahrestag der Klimaproteste

Für Greta Thunberg und Fridays for Future wird es weiterhin reichlich Anlässe zu Protesten geben. Am 3. Januar wird die Schwedin 17 Jahre alt. Am 20. August wird sie den zweiten Jahrestag ihres Klimaprotests feiern, der von einer Einzelaktion zu einer weltweiten Bewegung geworden ist. Doch Thunberg dürfte auch einen Termin drei Tage vorher im Hinterkopf haben, den 17. August. Dann enden in Stockholm die Sommerferien - und für sie beginnt dann nach einem Jahr Schulpause fürs Klima, zwei Atlantik-Überquerungen, einem Alternativen Nobelpreis und Weltruhm aller Voraussicht nach die Zeit auf dem Gymnasium.

Kommentar der Redaktion

Der Aufstand der jungen Generation

Die Jugend rebelliert gegen den UN-Klimagipfel in Madrid. Und dies ist gut so. Denn es sieht derzeit ganz so aus, als ob diese wichtige Umweltkonferenz zu Ende gehen wird, ohne dass neue einschneidende Schritte für einen besseren Klimaschutz vereinbart werden. Auch etliche alarmierende Forschungsstudien, die in den letzten Tagen auf dem UN-Gipfel vorgelegt wurden, scheinen daran wenig zu ändern.

Man muss der Jugend deswegen dankbar sein, dass sie nun massiv auf die Straße geht. Inspiriert von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg, die mit ihrer Hartnäckigkeit zum Idol einer ganzen Generation wurde. Die Stimme der jugendlichen Klimaschutzbewegung ist auf diesem UN-Klimagipfel in Madrid so laut wie noch nie zu hören. Dies bereichert die Debatte und erhöht den Druck auf die Klimadiplomaten.

Nicht wenige Erwachsene und erst recht etliche Mächtige dieser Welt fühlen sich durch diese jugendliche Aufmüpfigkeit auf den Schlips getreten. Denn der Aufstand der Jugend passt so gar nicht in das traditionelle Weltbild, demzufolge die Älteren immer das letzte Wort haben. Wer will sich schon eingestehen, dass es die Kinder besser wissen als ihre Eltern?

Greta Thunberg und ihre Millionen von jungen Mitstreitern untermauern derzeit mit ihren lautstarken Forderungen eine Erkenntnis, welche Grund zum Stolz sein sollte: Die vielgescholtene Jugend ist besser als ihr Ruf. Sie ist politisch engagiert, umweltbewusst, sie hat gute Argumente, und sie handelt mit Verantwortungsgefühl.

Hinzu kommt ein wichtiger Faktor, der die Rebellion der Kinder antreibt: die Angst vor dem Klimakollaps. Die Teenager werden in der Zukunft die Fehler der heutigen Generation der politischen Entscheider ausbaden müssen. Die Folgen des Klimawandels, welcher die Lebensbedingungen auf dem Planeten massiv verändern könnte, wird vor allem die heutige Jugend treffen.

Die Botschaft der Jungen an die Klimapolitiker sollte daher eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein: Hört endlich auf die Wissenschaft. Die Erkenntnisse der Forschung sind eindeutig und nicht ernsthaft bezweifelbar. Und sie lassen sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Dieser Klimawandel ist vom Menschen verschuldet. Und die Treibhausgase müssen, um Schlimmeres zu verhüten, sehr viel drastischer und schneller als bisher reduziert werden.

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