Bielefeld. Jens Ohlemeyer, Geschäftsführer und Tour-Manager der Elektro-Rallye „e-Cross Germany“ und Vorsitzender der „Klimawoche Bielefeld“, spricht im Interview über E-Scooter, Elektromobilität in Bielefeld und Radschnellwege in Ostwestfalen. Der 47-Jährige ist Lehrer für Englisch und Sport am Gymnasium der Friedrich-v. Bodelschwingh Schulen in Bielefeld. Er engagiert sich seit Jahren für Nachhaltigkeit. Mit seinen Projektpartnern plant er aktuell neue Aktionen für 2020.
Herr Ohlemeyer, wie haben sich die Angebote und die Infrastruktur für Elektromobilität in Ostwestfalen in den vergangenen Jahren weiterentwickelt?
Jens Ohlemeyer: Wir haben inzwischen etwa 60 öffentlich zugängliche Elektroladesäulen in Bielefeld mit einer Ladeleistung von 11 bis 22 KW. Davon sind vier Schnell-Ladestationen mit 50 KW Gleichstrom-Leistung. Das ist schon ein guter Fortschritt in den vergangenen fünf Jahren. Am Niederwall gegenüber des Rathauses befinden sich zum Beispiel zwei Ladesäulen mit einer Leistungsstärke von je 22 KW. Die werden aktuell sehr gut frequentiert.
Wie viele Elektroautos sind in Bielefeld und Ostwestfalen unterwegs?
Ohlemeyer: In Bielefeld gibt es derzeit gut 700 Elektrofahrzeuge, Tendenz steigend. In NRW waren es am 1. Januar dieses Jahres gut 14.000 reine Elektrofahrzeuge. Im Vergleich zum Jahresbeginn 2018 sind das 53,4 Prozent mehr. 2020 wird es weitere massentaugliche E-Fahrzeuge geben. Die erste Edition des „ID 3“ von VW ist mit 30.000 Exemplaren bereits ausverkauft. Der „e.Go Life“, von einem Hochschulprofessor der Uni RWTH Aachen konzipiert, ist ebenfalls ein gutes und erschwingliches E-Auto.
Was ist noch für den Fortschritt wichtig?
Ohlemeyer: Wichtig ist ein weiterer Ausbau der Lade-Infrastruktur. Künftig ist es nicht mehr zu akzeptieren, wenn es irgendwo auf einer Fahrtstrecke Ladepunkte mit nur einer Ladesäule gibt. Es müssen fünf bis zehn nebeneinander sein. Aber es gibt absolute Fortschritte. Zurzeit wird ein Schnellladenetz an deutschen Autobahnen ausgebaut. Dahinter steckt Ionity, das ist eine Initiative, die von den großen Automobilunternehmen gefördert wird. Durch den Ausbau lassen sich auch längere Distanzen mit Elektrofahrzeugen überwinden. Das wird in Zukunft kein Problem mehr sein und ist auch aktuell schon zu meistern.
Gibt es für private Ladesäulen eine Förderung vom Land NRW?
Ohlemeyer: Ja. Vom Land NRW werden Ladesäulen mit bis zu 1.500 Euro bezuschusst. Wer eine zu Hause installieren möchte, kann sich bei der Bezirksregierung in Arnsberg für eine Förderung bewerben. Wer neu baut, sollte hier gleich mitdenken. Es ist eine gute Förderung, die sich lohnt. 11 KW Ladeleistung sind für den privaten Gebrauch zu Hause ausreichend.
In welchen E-Mobilitätsbereichen gibt es in Deutschland generell Verbesserungsbedarf?
Ohlemeyer: Bei individueller Mobilität. Beim Fahrradverkehr haben wir in Deutschland ganz großen Aufhol- und Nachholbedarf. In den skandinavischen Ländern werden pro Kopf bis zu 70 Euro - zum Beispiel in Oslo in Norwegen - für Fahrrad-Infrastruktur ausgegeben. Bei uns bewegt sich das bei zwei bis fünf Euro. Die Fokussierung auf den Fahrradverkehr muss hierzulande stärker werden. Mit dem Fahrrad zu fahren muss sicherer, attraktiver und leichter werden.
Welche weiteren Bereiche gibt es?
Ohlemeyer: Großen Chancen bestehen im Bereich der vernetzten und digitalisierten Mobilität. Dafür gibt es Apps. Die Stadtwerke Bielefeld werden zum Beispiel als Pilotprojekt auch Busse mit Brennstoffzellen anschaffen, die mit Wasserstoff und einer Puffer-Batterie betrieben werden. Was halten Sie von E-Scootern? Ohlemeyer: Die Idee, die hinter E-Scootern steht, halte ich grundsätzlich für sehr gut. Aber der Umgang und der Einsatz sind zurzeit sehr diskussionswürdig. Es muss striktere Regeln geben, wie damit umzugehen ist. Da geht es ums Abstellen und Aufladen. Durch Elektro-Scooter wird ein Paradigmenwechsel bei der E-Mobilität innerhalb von urbanen Ballungsräumen gefördert. Auf das Auto kann in diesen Bereichen mehr und mehr verzichtet werden. E-Roller sollten an fixen Stationen stehen, wo sie abends nicht wieder eingesammelt werden müssen. Zum Beispiel bietet „Stadtrad“ in Hamburg so etwas an. Dort gibt es Verleihstationen, an denen die E-Scooter mit zertifiziertem Ökostrom wieder aufgeladen werden.
Fehlen Radschnellwege in Ostwestfalen?
Ohlemeyer: Da muss es auf jeden Fall dringend mehr geben. Wir haben aktuell ja noch gar keine richtigen Radschnellwege, die uns voranbringen. Wir waren mit E-Bike-Touren der „e-Cross Germany“ und unserer Schule, den Friedrich-v. Bodelschwingh Schulen, schon in ganz NRW und Europa unterwegs. Im Ruhrgebiet, den Niederlanden oder Norwegen, wo wir auch schon mit E-Bike-Touren unterwegs waren, gibt es ganz andere Möglichkeiten. Auf Radschnellwegen muss es Vorrang für das Rad geben. Das ist vor dem Bau zu bedenken. Wichtig ist ausreichend Platz, um langsamere Radfahrer auch mal überholen zu können. In der eigenen Fahrtrichtung. Es besteht Bedarf an reinen Fahrradstraßen.
Wie sollte so eine Fahrradstraße aussehen?
Ohlemeyer: Mit möglichst wenig Ampeln. Die Überquerung von Straßen über Brücken und durch Unterführungen ist ein wichtiger Aspekt. Das ist auch ein Vorteil beim Pendeln zur Arbeit. Da sind schnellere Fahrten möglich. Auch bei Regen. Wer frischer und schneller auf dem Rad unterwegs sein kann, wird auch eher umsteigen. Das sollte mehr zur Gewohnheit und ein guter Stil werden. Auch bei Einkäufen. Es ist smart, mit dem Fahrrad zu fahren. Die Kinder sitzen in Lastenrädern, lassen sich fahren und fühlen sich wohl. In den Niederlanden fahren die Leute sogar im Anzug mit dem Fahrrad zur Arbeit.
Was waren die Highlights der Rallye „e-Cross Germany“ 2019 und welche Ziele haben Sie für 2020?
Ohlemeyer: 70 Teams waren dieses Jahr bei der E-Rallye dabei. 69 Elektro-Autos verschiedenster Bauart - von klein bis groß - und ein Team mit einem Elektro-Motorrad. Zwölf E-Biker sind auch mitgefahren. Wir wollen E-Mobilität weiter ausbauen und mehr Menschen an der „e-Cross Germany“ teilnehmen lassen, um sie mit emissionsfreier Mobilität zu begeistern. Auch Teilnahmen ohne eigenes E-Fahrzeug sind möglich. Von unseren Kooperationspartnern werden auch Testfahrzeuge und E-Bikes für drei Tage zur Verfügung gestellt. 2020 fahren wir vom 21. bis 23. August von Bielefeld quer durch NRW über Dortmund und Bochum nach Düsseldorf. Mit einer zweitägigen E-Rallye und E-Bike-Tour. Auch dieses Jahr sind viele unserer Teilnehmer nach der Tour auf Elektrofahrzeuge umgestiegen. Wenn wir im nächsten Sommer durchs Rheinland fahren, zeigen wir Pendlern, dass sich das auch auf dem täglichen Weg zur Arbeit mit dem E-Bike machen lässt. Mobilität für alle sinnvoll und smart einzusetzen, ist eines unserer wichtigsten Ziele.
Welche Anreize schaffen Sie?
Ohlemeyer: Es gibt wieder den „Städte- und Kommunen-Cup“, den wir 2020 ausbauen wollen. Sieger 2019 ist die Stadt Verl. Im Rahmen eines Projekts des Wirtschaftsministeriums ist Andreas Pinkwart, NRW-Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, unser Schirmherr. Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen ist ebenfalls Schirmherr der „e-Cross Germany“ und der „KlimaWoche Bielefeld“. Der „Städte- und Kommunen-Cup“ soll das NRW-Projekt „Emissionsfreie Innenstädte“ unterstützen und aufgreifen. Es geht um die besten Mobilitätskonzepte. Dafür gibt es Auszeichnungen. Es geht um Ideen für die Mobilität der Zukunft und auch die Anzahl der Startplätze von E-Bikes und Elektroautos bei der „e-Cross Germany“ wirkt sich positiv auf die Bewertung aus. Außerdem gibt es einen Firmen-Cup. Hier geht es darum, die elektromobilsten Firmen in OWL und NRW mit den meisten Fahrzeugen im Vergleich zur Mitarbeiterzahl zu präsentieren. Die Anzahl von E-Bikes und ÖPNV-Jobtickets wirkt sich ebenfalls positiv auf die Bewertung aus.