Als Paderborns „Fußballgott“ trotz des Zweitliga-Aufstiegs gehen musste

Paderborn. Der Vorgängerverein TuS Schloß Neuhaus hatte bekanntlich schon in der Saison 1982/83 in der 2. Fußball-Bundesliga gespielt. Der erste Zweitliga-Aufstieg des SC Paderborn 07 erfolgte unterdessen vor exakt 20 Jahren. Am 4. Juni 2005 machte der SCP mit einem 4:0-Sieg beim VfL Wolfsburg II den bis dato größten Erfolg der Vereinsgeschichte perfekt. Aufstiegstrainer Pavel Dotchev erinnert sich im Interview mit &bdquo;nw.de“ an eine turbulente Regionalliga-Spielzeit, in der sich seine Mannschaft auch vom Hoyzer-Skandal und einer umstrittenen Entscheidung der Vereinsführung nicht aus dem Konzept bringen ließ. Zudem blickt der 59-Jährige auf die Aufstiegsparty, bei der er von den Fans als &bdquo;Fußballgott“ gefeiert wurde, und seine zweite Amtszeit an der Pader zurück. Herr Dotchev, welche Erinnerungen haben Sie an den 4. Juni 2005? Pavel Dotchev: Wir brauchten für den Aufstieg einen Sieg in Wolfsburg. Dieser Schuss musste sitzen. Der Druck war groß, aber das war er in der gesamten Saison. Und unsere Zuversicht war groß. Aber es war nicht einfach. Wolfsburg stand als Absteiger fest und hatte eine junge Truppe, die befreit aufspielen konnte. So sicher, wie sich das 4:0 anhört, war es nicht. Wolfsburg hatte ein, zwei gute Chancen, um in Führung zu gehen. Ein Ball ging an den Pfosten. Aber am Ende haben wir es recht souverän über die Bühne gebracht. Eine Woche zuvor hatte der SCP den ersten Matchball vergeben und eine 1:3-Heimniederlage gegen den späteren Mitaufsteiger Eintracht Braunschweig kassiert. Wie lief anschließend die Vorbereitung auf das Endspiel in Wolfsburg? Haben Sie etwas anders gemacht? Wir haben drei Tage vor dem Spiel ein Trainingslager in Braunschweig bezogen. Die Mannschaft war relativ ruhig und sehr fokussiert. Jeder wollte unbedingt das große Ziel erreichen und es zu Ende bringen. Ich habe bewusst nicht versucht, die Mannschaft zusätzlich zu motivieren. Das hätte auch nach hinten losgehen können. Ich war damals erstmals in so einer Lage und wusste daher nicht, was auf mich zukommt. Aber ich hatte immer die Kontrolle über die Situation. Sie standen damals noch am Anfang ihrer Trainerkarriere. Ich hatte die Mannschaft im Februar 2003 von Uwe Erkenbrecher auf einem zweistelligen Tabellenplatz in der Regionalliga Nord übernommen. Ich war zu diesem Zeitpunkt Kapitän der Mannschaft. Präsident Wilfried Finke und sein Vize Ralf Hämmerling haben mich gefragt, ob ich Spielertrainer werden möchte. Zunächst als vorübergehende Lösung. Ich habe gesagt: Wenn ich es mache, dann auch richtig. Als Trainer, nicht als Spielertrainer. Wilfried Finke war skeptisch. Er meinte: Ich verliere einen guten Spieler und bekomme einen unerfahrenen Trainer. Aber nach zwei, drei Tagen hat er sich für mich entschieden. War es denn ihr langfristiger Plan, Trainer zu werden? Ja, ich hatte schon im Jahr 2000 die Fußballlehrerlizenz erworben und wollte nach meiner aktiven Laufbahn auf jeden Fall als Trainer arbeiten. Ob nun beim SC Paderborn oder woanders. Ich habe es natürlich als Chance gesehen. Ich konnte die Mannschaft kontinuierlich weiterentwickeln. Wir haben 2003 noch einen einstelligen Tabellenplatz erreicht. 2004 sind wir dann nach einer sehr guten Saison Dritter geworden. Und zweieinhalb Jahre nach meinem Amtsantritt sind wir aufgestiegen. Wir hatten eine gute und erfahrene Mannschaft mit sehr vielen Spielerpersönlichkeiten. Der Aufstieg war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Erst gab es den Hoyzer-Skandal. Dann verkündete der Verein vier Spieltage vor Schluss, dass Ihr Vertrag nicht verlängert wird. War die Saison 2004/05 die verrückteste Spielzeit, die Sie je erlebt haben? Es war tatsächlich eine turbulente Zeit, gerade für mich. Es ging alles gleich von null auf hundert. Viel zu viele Dinge sind auf einen eingeprasselt – sowohl positive als auch negative. Ende Januar 2005 erschütterte die Nachricht, dass Schiedsrichter Robert Hoyzer unter anderem das DFB-Pokalspiel des SC Paderborn gegen den Hamburger SV manipuliert hatte, ganz Fußball-Deutschland. Es wurde auch bekannt, dass SCP-Kapitän Thijs Waterink 10.000 Euro entgegengenommen und an seine Teamkollegen verteilt hatte. Sie waren mit Ihrer Mannschaft damals im Winter-Trainingslager auf Mallorca. Wie reagierten Sie auf die Nachricht? Ich war maßlos enttäuscht. Es war für mich ein Schlag ins Gesicht. Ich dachte, wir hatten mit dem 4:2-Sieg gegen den HSV etwas Sensationelles erreicht. Und dann erfährst du, dass alles manipuliert war. Dass Spieler von uns Geld angenommen hatten. Auch Präsident Wilfried Finke war sehr enttäuscht. Er überlegte damals, die Brocken hinzuschmeißen, hat sich dann aber zum Glück anders entschieden. Trotz dieses Skandals holte Ihre Mannschaft in der Rückrunde mehr Punkte als in der Hinrunde. Wie konnte das gelingen? Ganz einfach, diese Erlebnisse haben die Mannschaft noch mehr zusammengeschweißt. Es gab eine Trotzreaktion. Im Frühjahr 2005 sorgte allerdings die Vereinsführung selbst für die nächste große Unruhe. Sie wurden lange im Unklaren darüber gelassen, ob Sie über die Saison hinaus Trainer bleiben dürfen. Dann wurde klar, dass Sie es nicht dürfen. Wie schwierig war diese Situation für Sie? Entscheidend war für mich, dass ich mich bis zum Schluss professionell verhalte, dass ich mich auf die Mannschaft und unsere Ziele fokussiere und dass ich nicht die beleidigte Leberwurst spiele. Ich habe versucht, das Negative auszublenden. Ich wollte alles dem sportlichen Erfolg unterordnen, denn so ein Zweitliga-Aufstieg bleibt für immer in deiner Vita. Aber es war eine sehr schwierige Situation. Ich hatte erwartet, dass Günther Rybarczyk als Sportlicher Leiter mir gegenüber offen und transparent ist. Schließlich hatten wir schon lange miteinander gearbeitet. Es wäre o.k. gewesen, wenn mich der Verein frühzeitig informiert hätte. Aber ich wurde im Unklaren gelassen. Das empfand ich als sehr unfair. Und es war nicht nötig. Das hätte uns allen schaden können. Ihre Spieler haben sich jedenfalls klar positioniert. Kapitän Alexander Löbe erklärte öffentlich: &bdquo;Ganz Deutschland lacht über uns. Hier müssten andere Köpfe rollen.“ Und Guido Spork sagte: &bdquo;Die Entscheidung ist völliger Schwachsinn.“ Die Spieler wussten, was sie an mir haben. Und ich wusste, was ich an ihnen habe. Meine Mannschaft war mein Kapital. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Darauf habe ich auf all meinen Stationen viel Wert gelegt. Die zitierten Aussagen zeigen aber auch, dass der SCP damals über echte Spielertypen verfügte, die kein Blatt vor den Mund nahmen. Ob Löbe, Spork oder Daniel Cartus. Das waren ja alles echte Charakterköpfe. Das stimmt. Und für mich als Trainer war es wichtig, diese Spielerpersönlichkeiten unter einen Hut zu bekommen. Alle mussten ein gemeinsames Ziel verfolgen. Es ging nicht darum, den Konkurrenzkampf zu schüren oder immer wieder Druck zu machen. Du musstest diese Spieler von einer Sache überzeugen. Ich musste allen das Gefühl geben, dass sie wichtig sind. Das hat gut funktioniert. Wir hatten aber auch einfach eine gute Mischung aus erfahrenen Spielern und jungen Talenten. Da waren beispielsweise noch René Müller, Benjamin Schüßler, Dominic Peitz, Sebastian Schachten und natürlich Markus Krösche. Ich habe noch immer gute Kontakte zu einigen Spielern, unter anderem zu Markus Krösche. Markus Krösche war beim Aufstieg erst 24 Jahre alt. War er schon damals ein Führungsspieler? Absolut. Er war immer ein Vorbild, hat stets alles gegeben und ist keinem Zweikampf aus dem Weg gegangen. Trotz seines jungen Alters hat er bereits das Team geführt. Und das hat sich im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt. Markus war immer sehr klar im Kopf und hat damals schon studiert. Aber Kröschi war auch beim Feiern immer ganz vorne mit dabei. Apropos feiern. Welche Erinnerungen haben Sie noch an die Aufstiegsparty, die am 4. Juni 2005 direkt nach der Rückkehr aus Wolfsburg auf dem Paderborner Rathausplatz stieg? Ich wollte nicht auf die Bühne. Ich war einerseits glücklich über den Aufstieg, andererseits aber auch sehr enttäuscht, dass ich nicht weitermachen durfte. Ich hatte die Mannschaft zweieinhalb Jahre lang kontinuierlich aufgebaut. Und dann wird dir diese Chance auf die 2. Liga genommen. Das hat mich sehr verletzt. Welchen Stellenwert hat der Aufstieg 2005 in Ihrer Vita? Es war mein erster Aufstieg. Das ist so wie das erste Baby für eine Mutter. Ich bin auch mit Aue aufgestiegen. Das war ebenfalls sehr schön. Aber das erste Mal ist halt etwas ganz Besonderes. Und ich würde sagen, dass ich mit Paderborn ja noch einen Aufstieg geschafft habe. Leider inoffiziell. Sie sprechen die Saison 2008/09 an. Zusammen mit Christian Schreier hatten Sie damals nach dem Abstieg in die 3. Liga einen Kader zusammengestellt, von dem der SCP noch jahrelang profitieren sollte. Der direkte Wiederaufstieg gelang, doch sie mussten zwei Spieltage vor Saisonende gehen. Für Christian Schreier war noch früher Feierabend. Wie schmerzhaft war das? Es war noch schmerzhafter als 2005. Ich war zum SCP zurückgekommen und hatte gedacht: Wilfried Finke und der Verein haben verstanden, dass sie damals einen Fehler gemacht hatten. Ich dachte, das passiert nicht noch einmal. Wir hatten eine tolle Mannschaft mit Topspielern zusammengestellt. Und dann wurde ich freigestellt. Das war sehr, sehr enttäuschend. Nach dem Relegations-Rückspiel in Osnabrück rief mich Wilfried Finke an, um mich zur Aufstiegsfeier einzuladen. Ich bin aber zu Hause geblieben. Es tat einfach zu weh. Lesen Sie auch: Pavel Dotchev geht, Andre Schubert übernimmt Gab es irgendwann eine Aussprache mit Wilfried Finke? Ja, wir haben uns damals ausgesprochen. Und wir sind als Freunde auseinandergegangen. Wilfried Finke war immer ein Visionär, der für die ganze Stadt Paderborn extrem viel geleistet hat. Ich bin ihm und dem SCP sehr dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gegeben haben, Trainer zu werden. Ich bin mit dem SC Paderborn absolut im Reinen. Und ich bin noch immer traurig, dass Wilfried Finke viel zu früh von uns gegangen ist. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Vereins? Es hat sich unheimlich viel getan. Ich habe noch genau das Hermann-Löns-Stadion vor Augen. Die kleinen Kabinen, das VIP-Zelt, es waren noch nicht so viele Fans da. Es ist einfach sensationell, wie sich dieser Verein entwickelt hat. 2005 haben wir vielleicht zum ersten Mal gesehen, dass der SCP das Potenzial für mehr hat. Das galt erst recht nach der Eröffnung des neuen Stadions. Eigentlich hätten wir schon das letzte Zweitliga-Heimspiel der Saison 2007/08 in der Arena austragen können. Aber Wilfried Finke legte sein Veto ein. Er wollte nicht im neuen Stadion absteigen. Darum gab es das erste Pflichtspiel in der Arena erst in der 3. Liga. Und es hat richtig Spaß gemacht. Die Fankultur entwickelte sich immer weiter. Und wenn man nun das Nachwuchsleistungszentrum und die Trainingsbedingungen sieht, ist das einfach super. Und welche Perspektiven hat der SCP? Der Verein ist ein etablierter Zweitligist, der den Aufstieg knapp verpasst hat. Aus meiner Sicht wäre es falsch, nun in der nächsten Saison den Klassenerhalt als Ziel auszugeben. Man sollte versuchen, erneut oben mitzuspielen. Vielleicht gelingt diesmal die kleine Sensation. Der Verein muss zumindest probieren, den nächsten Schritt zu machen. Die Ziele für die kommende Saison sollten ambitioniert sein. Stichwort kommende Saison. Sie sind seit Dezember 2024 ohne Beschäftigung. Wann wollen Sie wieder einsteigen? Ich habe bewusst diese Pause eingelegt, um mich zu erholen. Die zwei Jahre in Aue waren sehr anstrengend. Ich hatte in den vergangenen Monaten zwei konkrete Angebote, unter anderem ein Sportdirektor-Job in der 3. Liga. Aber ich habe abgelehnt. Ich brauchte eine Pause. Doch jetzt wäre ich bereit, wieder eine neue Aufgabe in Angriff zu nehmen. Würden Sie denn einen Job als Sportlicher Leiter bevorzugen? Oder möchten Sie lieber zurück an die Seitenlinie? Ich sehe mich mehr als Trainer. Ich genieße gerade die Zeit in Paderborn. Das ist mein Zuhause. Meine Familie ist hier, mein Enkelkind ist hier. Aber ich möchte wieder arbeiten. Ich fühle mich noch viel zu jung und zu gut, um aufzuhören. Insofern: Wenn mich jemand haben möchte, stehe ich zur Verfügung. (schmunzelt)

Meistgelesen

Paderborn Mann für Mann