Ärger statt Euphorie: Der verkorkste Saisonstart des SC Paderborn

Paderborn. Vereinspräsident Thomas Sagel hatte vor der Saison erklärt, dass der SC Paderborn "in der Rolle des Jägers" die großen Klubs wie Schalke und Hertha ärgern wolle. Nach dem fünften Spieltag ist der SCP in der Tabelle zwischen den beiden Erstliga-Absteigern platziert. Dumm nur, dass Schalke und Hertha einen kapitalen Fehlstart erwischt haben. Und Paderborn steht mit nur vier Zählern auf Rang 16. Zum Vergleich: In der Saison 2021/22 war der SCP unter dem neuen Trainer Lukas Kwasniok nach dem fünften Spieltag Zweiter gewesen. In der vergangenen Spielzeit führten die Kwasniok-Schützlinge gar die Tabelle an, nachdem der Kader schon zu Beginn der Vorbereitung weitgehend komplett gewesen war. Dies war auch in diesem Sommer der Fall. "Genau das muss für uns auch immer ein Wettbewerbsvorteil sein, um gleich zum Saisonstart ins Rollen zu kommen", hatte der Cheftrainer im Trainingslager in Tirol erklärt. Doch diesmal kam der SCP nicht ins Rollen. Er geriet vielmehr ins Schlingern. Die Gründe dafür sind vielfältig. Spielstil Lukas Kwasniok wollte und will den bevorzugten Ballbesitzfußball in dieser Saison weiter perfektionieren, um noch mehr Spielkontrolle zu bekommen. Phasenweise sieht das auch recht beeindruckend aus. In den Spielen in Düsseldorf und gegen Kaiserslautern sollte sein Team den Gegner jeweils in der ersten halben Stunde komplett dominieren. Auch beim 1:2 in Kiel lieferte der SCP am Samstag zunächst eine sehenswerte Vorstellung ab. Doch bislang entwickelten die Paderborner aus dieser Spielweise heraus zu wenig Torgefahr. Dies dokumentiert auch die Zweitliga-Torschuss-Statistik, die den SCP derzeit auf Rang 17 führt. Ein Grund dafür ist das zu lasche Pressing und Gegenpressing. Der SCP generiert viel zu selten Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte und ist auch bei zweiten Bällen oftmals nicht präsent genug. Folge: Der Weg zum Tor ist zumeist sehr weit. Die Gegner können sich formieren und haben wenig Probleme, die Angriffe abzuwehren. Der Ballbesitzfußball erfordert zudem ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Doch auch daran hapert es. Die 0:5-Auftaktpleite in Fürth löste Verunsicherung aus. Der Umgang mit Rückschlägen lässt zu wünschen übrig. Die sogenannte Resilienz, wie es im Fußball-Neudeutsch gerne heißt, ist zu schwach ausgeprägt. Dabei war gerade dies in den vergangenen beiden Spielzeiten eine der großen SCP-Stärken. Immerhin: Das Bemühen kann man der Mannschaft nicht absprechen. Der Einsatzwille ist da. Ausfälle/Formschwächen Der besagte Spielstil funktioniert aber vor allem nur, wenn Automatismen greifen. Und das tun sie derzeit nicht. Ein Hauptgrund dafür sind die vielen personellen Ausfälle, die es seit dem Start in die Vorbereitung gegeben hat. Zunächst fielen mit Felix Platte und Adriano Grimaldi beide Stoßstürmer aus. Dann fehlte Vize-Kapitän Robert Leipertz, der sich nun in Kiel erneut verletzte. Promi-Neuzugang Max Kruse erwischte es am zweiten Spieltag. Maxi Rohr und Raphael Obermair mussten in den vergangenen Wochen Zwangspausen einlegen. Und Filip Bilbija, der in der oftmals zu statischen Offensive für Bewegung sorgte, wurde in Kiel schmerzlich vermisst. Bei allen Genannten handelt es sich um potenzielle Führungsspieler. Dies gilt zudem für die Neuzugänge David Kinsombi und Visar Musliu. Doch während sich der Erstgenannte bislang in keiner guten Verfassung präsentierte, erwischte Musliu mit seinem frühen Platzverweis in Fürth und der anschließenden Drei-Spiele-Sperre einen katastrophalen Start. Und so haben es auch Youngster wie Mattes Hansen, Kimberly Ezekwem und Laurin Curda schwer. Denn in einer Mannschaft, in der es nicht läuft, lässt es sich nun einmal nicht unbekümmert aufspielen. Zudem hatte der Cheftrainer bei einigen Personalentscheidungen und Auswechslungen kein allzu glückliches Händchen. Im Heimspiel gegen Osnabrück (1:1) überraschte er beispielsweise mit einer Doppel-Sechs um Schuster und Kinsombi, was keine gute Wahl sein sollte. Transfers Die Abgänge von Sechser Ron Schallenberg, Edeltechniker Julian Justvan und Torjäger Marvin Pieringer konnten bislang nicht ansatzweise kompensiert werden. Auf der Doppel-Sechs strahlt zumindest Kai Klefisch derzeit Präsenz und Power aus, während Youngster Mattes Hansen zuletzt ein wenig schwächelte. Doch das ist in seinem ersten Profijahr auch wenig verwunderlich. Auf den Außenbahnen sind Marcel Hoffmeier und Raphael Obermair derzeit weit von ihrer Bestform entfernt. Viele SCP-Fans kritisieren unterdessen, dass kein halbwegs adäquater Ersatz für Pieringer geholt wurde. Doch momentan hätte es wohl jeder Neuner schwer, da Paderborn zu wenig Torchancen erspielt. Fakt ist, dass Neuzugänge wie Hansen, Ezekwem, Bilbija, Curda und auch Grimaldi bereits gezeigt haben, dass sie wertvolle Verstärkungen sein können. Die Königstransfers Kinsombi (Formschwäche), Kruse (Verletzung) und Musliu (Sperre) müssen dies erst noch beweisen. Erwartungshaltung Vor dem Saisonstart wurden beim SCP forsche Töne angeschlagen. "Wir wollen oben angreifen", sagte beispielsweise Präsident Thomas Sagel in einem Interview mit der vereinseigenen Medienabteilung. Allgemeiner Tenor war, dass man sich nach den Plätzen sieben und sechs aus den Vorjahren weiter verbessern will. Es ist auch nicht verwerflich, sich hohe Ziele zu setzen. Doch dies schürte zugleich eine Erwartungshaltung, die das neuformierte Team bislang nicht ansatzweise erfüllen konnte. Und so rief Lukas Kwasniok am Samstag nach dem 1:2 in Kiel die "Rolle rückwärts" aus. "Wir sollten uns erst einmal keine großen Ziele setzen", sagte der SCP-Coach und fügte an: "Wir müssen uns sagen: Unser Ziel muss sein, ein Tor zu schießen, einen Punkt zu holen. Das ist in dieser Liga schwierig genug." Prognose Es fällt enorm schwer, die wahre Stärke des neuformierten SCP-Teams einzuschätzen. Phasenweise strahlt es Dominanz aus, phasenweise totale Verunsicherung. Abgesehen von der Auftaktpleite in Fürth waren alle Ligaspiele extrem eng. Mit ein wenig Matchglück hätte der SCP gegen Osnabrück, Kaiserslautern und Kiel durchaus fünf bis sieben Punkte holen können. Dann würde niemand von einem Fehlstart reden. Es ist auch gut möglich, dass der SCP zeitnah die Kurve bekommt und zu einem Höhenflug ansetzt. Doch man sollte wachsam sein, denn es gibt durchaus Grund zur Sorge. Beispielsweise beim Blick in die Statistiken, in denen der SCP nur noch beim Ballbesitz und der Passquote vorne mit dabei ist. Bei der Anzahl der Torschüsse und bei den Laufwerten sind die Paderborner im Zweitliga-Ranking dagegen sehr weit unten zu finden. Das ist alarmierend. Fakt ist: Auch das neue SCP-Team kann sehr guten Fußball spielen. Ob dieser Fußball aber erfolgreich sein kann, ist eine andere Frage. Die bislang schon unzählige Male getätigte Aussage, dass im Team eine extrem hohe Qualität steckt, kann auch schnell den Blick auf Realitäten versperren. Beim Nachbarn aus Bielefeld erwies sich diese Aussage in der vergangenen Saison als äußerst trügerisch. Diesem Beispiel sollte der SCP tunlichst nicht folgen.

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