Paderborns Trainer im Interview: "Ich will kein Ja-und-Amen-Sager werden"

Paderborn. Der SC Paderborn kassierte zwar am Sonntag im Zweitliga-Saisonfinale beim SV Darmstadt 98 eine 0:3-Schlappe. Doch mit dem siebten Platz und 51 Punkten kann der OWL-Zweitligist wahrlich zufrieden sein. Chefcoach Lukas Kwasniok zieht im Interview mit nw.de eine ausführliche Bilanz seiner ersten Saison als Zweitliga-Trainer und blickt zugleich auf die Spielzeit 2022/23, die besondere Herausforderungen zu bieten hat. Zudem spricht er über seine Karrierepläne, die Perspektiven des SCP und den Umgang mit Kritik. Herr Kwasniok, wie fällt Ihr Saisonfazit aus?Lukas Kwasniok: Das letzte Spiel in Darmstadt haben wir leider verloren, aber unterm Strich ist die Saison sehr positiv gelaufen. Ich habe nichts daran auszusetzen. Wir sollten das alle in Paderborn als keine Selbstverständlichkeit sehen, wenn der SCP auf einem siebten Platz landet. Das ist schon etwas Besonderes. Sie hatten unlängst gesagt, dass sich Ihre Spieler durchaus ärgern dürfen und sollen, wenn sie im Urlaub am Strand liegen und vergebenen Punkten hinterher trauern. Sie werden das aber dann nicht tun?Ich werde es nicht machen, weil ich erst gar nicht in den Urlaub fahre. Aber abgesehen davon glaube ich, dass wir mehr als das Maximum herausgeholt haben. Man darf nicht vergessen, dass wir im Sommer einen Chris Führich verloren haben. Im Winter dann einen gewissen Sven Michel. Insofern war das schon eine außergewöhnlich gute Saison. Für ganz oben hat es dann aber doch nicht gereicht. Am Ende haben sich mit Schalke, Bremen und Hamburg die großen Drei durchgesetzt.Exakt dies habe ich aber auch vom ersten Tag an prognostiziert, auch wenn es keiner hören wollte. Ich habe immer gesagt: Die drei Klubs kommen noch. Daher ist das für mich überhaupt keine Überraschung. Wenn diese Vereine hinter uns eingelaufen wären, hätten sie ja alles verkehrt gemacht. Abgesehen vom 0:3 beim Saisonfinale in Darmstadt und dem 0:2 auf Schalke hat der SCP kein Spiel mit mehr als einem Tor Differenz verloren. Was sagt das über Ihr Team aus?Das zeigt einfach den Charakter dieser Mannschaft. Sie gibt sich nie auf, steckt Rückschläge weg und lässt sich nicht abschlachten. Das erwarte ich auch von den Jungs und ich versuche es vorzuleben. Und wenn du dieses Gefühl hast, dass es immer eng ist, dann weißt du, dass du Spiele gewinnen kannst. Deshalb habe ich mir während der Delle, die wir zwischendurch hatten, keine Sorgen gemacht. Wir haben aber leider zu oft Unentschieden gespielt. Oftmals fehlte halt das gewisse Quäntchen. Frappierend ist der Unterschied zwischen der bärenstarken Auswärtsbilanz und der bescheidenen Siegquote in den Heimspielen. Haben Sie mittlerweile eine Erklärung dafür?Da gehören so viele Parameter dazu, da könnte man einen ganzen Aufsatz schreiben. Aber es hatte sicher auch mit unserem Auftaktprogramm zu tun. Wir haben bei damals völlig verunsicherten Bremern gewonnen und auch Aue hat es uns nicht allzu schwer gemacht. Zuhause hatten wir Teams wie Nürnberg und Schalke, gerieten dann gegen Kiel in Unterzahl. Durch die Resultate hat sich dann etwas verselbstständigt, denn es macht mit den Jungs und dem Umfeld was. Das bekommst du nur schwer auf den Köpfen. Es war sicherlich kein Vorteil für uns, dass wir in vielen Heimspielen keine Zuschauer hatten. Und zuhause fehlte uns letztlich das Glück, das wir auswärts oft hatten. Wir haben ja auch bei der Heimspiel-Bilanz ein positives Torverhältnis, wir wurden nie hergespielt. Es waren nur zu viele Unentschieden dabei. Die schwache Heimbilanz sorgte maßgeblich dafür, dass die Stimmung im Umfeld oftmals deutlich schlechter war als der Tabellenplatz und die Punkte-Ausbeute. Wie haben Sie das wahrgenommen?Leider wird meistens das reine Ergebnis beurteilt und nicht die eigentlich gezeigte Leistung. Ergebnistechnisch haben wir auswärts halt oft überperformt, während das nächste Heimspiel dann nur 1:1 endete. Aber die Leistungen war letztlich identisch. Und wenn du konstant deine Leistungen abrufst, dann stellen sich auch die Erfolge ein und dann stimmt am Ende auch die Gesamtausbeute. Das hat sich auch in dieser Saison gezeigt. "Da verrutschen aber ein paar Dinge" Herrschte eine zu hohe Erwartungshaltung?Eine Saison zählt nun einmal 34 Spieltage. Wenn du nach acht Spieltagen mal Tabellenerster bist, heißt das wenig, denn das Saisonende ist noch meilenweit entfernt. Selbst die großen Vereine mussten erfahren, dass es Wellenbewegungen gibt. Unsere Tabellenführung war etwas Außergewöhnliches, aber es schien fast als Selbstverständlichkeit wahrgenommen zu werden. Da habe ich schon gedacht, da verrutschen jetzt aber ein paar Dinge. Und darauf habe ich auch mehrmals hingewiesen. Als es nicht so gut lief, prasselte vor allem in den sozialen Medien gerade auf den Cheftrainer viel Kritik ein. Wie gingen und gehen Sie damit um?Ich versuche möglichst wenig davon an mich ranzulassen. Ich hatte unlängst mein Handy verloren und war sozusagen eine Woche offline. Und ich war ein sehr glücklicher Mensch. Meistens herrscht halt die Devise &bdquo;Only bad News are good News". Und dann geht es in den sozialen Medien oft unter die Gürtellinie. Es ist sicher kein Zufall, dass wir eine extreme Zunahme psychischer Erkrankungen haben. Das liegt auch an der Dauerbeschallung mit negativen Nachrichten, auf die sich viele Menschen dann auch noch stürzen und anonym kommentieren. Das ist schon ein Verfall der Gesellschaft und es betrifft ja nicht nur den Profifußball. Das kann man wohl auch kaum stoppen, denn selten wurde das Rad der Geschichte zurückgedreht. Aber ich kann versuchen, meine Familie und mich davor zu schützen, indem ich möglichst nicht in den sozialen Medien unterwegs bin. Sie sagen selbst über sich, dass Sie kein kerzengerader Typ sind. Sie nehmen selten ein Blatt vor den Mund und ecken auch schon mal an. Mussten und müssen Sie sich als Trainer im Profifußball nicht zügeln, denn in diesem Metier wird ja oft jedes Wort auf die Goldwaage gelegt?Es ist schon ein schleichender Prozess, dass man sich ein wenig an die Begebenheiten des Profifußballs anpasst. Aber ich lasse mich nicht verbiegen. Ich höre eher auf, als ein komplett weichgespülter Ja-und-Amen-Sager zu werden. Meine Leidenschaft ist es, Trainer zu sein, ob im Jugend- oder im Profifußball. Und wenn du nur noch hin und her schwadronieren musst, statt deine Meinung sagen zu dürfen, dann ist das nicht meins. Ungewöhnlich war Ihre Maßnahme, für das Spiel in Ingolstadt nur 18 statt der erlaubten 20 Spieler zu nominieren? Was waren Ihre Beweggründe?Ich muss die Jungs, die mitziehen wollen, vor denen schützen, die mal nicht mitziehen wollen. Wenn du eine Schwächephase hast, musst du im Notfall auch mal mit 14 Spielern antreten. Es gibt kein Anrecht auf einen Kaderplatz. Und seit dieser Entscheidung haben wir ja nicht mehr allzu oft verloren. Denn es bestand schon die Gefahr, dass du die Saison locker auslaufen lässt. Da tat dieser Impuls offensichtlich ganz gut. "Noch nie so eine geschlossene Mannschaft erlebt" Welche Spieler haben Sie positiv überrascht? Wer hat die größten Entwicklungsschritte gemacht?(überlegt lange) Ich tue mich da schwer, denn es gab bei allen Spielern so unterschiedliche Phasen, in denen es mal gut und mal weniger gut lief. Es wäre ungerecht, zu sagen, der hat aber brutal überrascht oder der hat besonders herausgeragt. Es fällt mir vermutlich auch so schwer, weil ich noch nie eine so geschlossene Mannschaft erlebt habe. Das ist wirklich ein verschworener Haufen. Wenn du um 12.30 Uhr eine Besprechung hast, kommt keiner einzeln in den Raum. Die tauchen pünktlich alle zusammen auf und kommen wie Soldaten da reingelaufen. Und diese Geschlossenheit ist wohl auch unser Erfolgsgeheimnis. Ihr &bdquo;Soldat" Sven Michel kam Ihnen jedoch im Winter abhanden? Wie sehr schmerzte dieser Abgang? Und inwieweit mussten Sie dadurch die Spielweise umstellen?Jede Veränderung bietet auch wieder eine neue Chance. Das ist auch mein Lebensmotto. Aber was im Fußball gerne vergessen wird: Es benötigt schon mal drei, vier Spiele, um so einen Abgang zu kompensieren. Zumal uns in dieser Phase mit Felix Platte der zweite Stürmer im Zentrum fehlte, so dass wir unser komplettes System umstellen mussten. Schon damals hatten wir die Idee, Maxi Thalhammer in die Dreier-Abwehrkette zu stellen, was im Saisonendspurt ja so hervorragend funktioniert hat. Doch leider verletzte er sich an der Schulter. Zudem hatten wir zwischendurch immer wieder Corona-bedingte Ausfälle. Dann spielst du zwei Mal Unentschieden und verlierst zwei Mal – und plötzlich brennt der Baum. Dabei sind solche Phasen während einer Saison normal. Was mir da zu kurz kam, war die ganz klare Kommunikation, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, auf Anhieb ein komplettes System zu verändern. Letztlich ist uns das ganz gut gelungen, denn die Torbilanz ist kaum schlechter als in der Hinrunde. Erfahrene Spieler wie Marco Stiepermann und Robin Yalcin konnten in der Rückrunde allerdings nur noch selten ihre Leistungen abrufen. Woran lag das?Andere Spieler sind halt an ihnen vorbeigezogen. Die Saison ist lang und die Jungs sind auch keine 22 mehr. Da brauchst du auch mal eine längere Regenerationszeit. Aber man darf nicht vergessen, dass Marco und Robin gerade in der Vorrunde extrem wichtig waren. Daher werde ich den Teufel tun und Spieler negativ beurteilen. Das gilt auch für Kelvin Ofori, der maßgeblich am 4:2-Sieg in Karlsruhe beteiligt war. Wie groß ist Ihre Sorge, dass dem SCP im Sommer Leistungsträger wie Ron Schallenberg oder Julian Justvan verloren gehen?Mir sind keine Angebote bekannt. Fabian Wohlgemuth und ich arbeiten daran, einen Kader zusammenzustellen, der unsere Vorstellungen vom Fußball umsetzen kann. Und da sind beide wichtige Bestandteile. Welcher Fußball schwebt Ihnen denn vor?Wir müssen variabel bleiben. Wir sind momentan im Spielaufbau kaum zu greifen. Dafür brauchst du Spieler, die auf verschiedenen Positionen Lösungen parat haben. Und wir wollen die Laufintensität in der Arbeit gegen den Ball erhöhen. Dafür haben und werden wir Spieler verpflichten, die ein möglichst gutes Pressingverhalten haben. Auf der Habenseite stehen bereits sechs Neuzugänge, Verträge mit weiteren Verstärkungen wurden vermutlich schon abgeschlossen. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Zwischenbilanz?Ich bin sehr zufrieden, denn wir sind da schon sehr weit. Weiter, als es in der Öffentlichkeit derzeit bekannt ist. Das war mir auch wichtig, denn wir wollen bei unserem Trainingslager in den USA schon möglichst viele Neuzugänge an Bord haben. Da sind wir auf einem sehr guten Weg. "Natürlich ist das ein Highlight" Welche Chancen und Gefahren birgt dieses ungewöhnliche US-Trainingslager?Das wird sicherlich eine tolle Erfahrung für uns alle. Natürlich ist das ein Highlight. Aber wir müssen dafür sorgen, dass aus diesem besonderen Trainingslager ein normales wird und daraus etwas Großes erwächst. Die Orte werden ungewöhnlich sein, aber wir werden dort wie in jedem anderen Trainingslager vor allem hart arbeiten, damit die eigentlichen Highlights dann in der Saison kommen. Man verliert sicherlich drei, vier Tage durch das Reisen. Aber das kannst du gut auffangen. Und so ein Event ist wichtig fürs Teambuilding. Wenn du zehn, zwölf Tage aufeinander hockst, dann weißt du, wie die Jungs ticken. Und die Jungs wissen, wie der Trainer tickt. Ungewöhnlich ist diesmal auch die dreimonatige Winterpause, die es wegen der WM in Katar gibt. Welche Herausforderungen bringt das mit sich?Drei Monate Unterbrechung habe ich zuletzt in der Landesliga erlebt. Das wird den Charakter der Saison sicher verändern. Aber so weit denke ich eigentlich noch gar nicht. Wir sollten uns erst einmal auf die Sommervorbereitung und die Hinrunde fokussieren. Das wird eine sehr intensive Zeit, denn es gibt nur eine Länderspielpause. Und was haben Sie sich mit dem SCP für die kommende Saison vorgenommen? Was wäre der nächste Entwicklungsschritt?Solange der SC Paderborn 07 einstellig in der 2. Liga einläuft, ist das immer eine extrem gute Leistung. Wenn es zwischendurch mal besondere Highlights gibt, weil es richtig gut läuft und andere schwächeln, dann soll und muss der Verein das gerne mitnehmen. Aber immer dieses &bdquo;Wir müssen den nächsten Schritt machen"-Gerede bringt doch nichts. Die Stabilisierung im einstelligen Tabellenbereich wäre schon ein großer Schritt. Wenn man das schafft, leistet der Verein tolle Arbeit. Dann wäre das auch eine weitaus bessere Basis, falls man doch mal wieder aufsteigen sollte. Apropos Aufstieg. Wie wichtig wäre es, dass die U21 den Sprung in die Regionalliga schafft?Es wäre ein großer Vorteil, denn die Lücke zwischen der Oberliga und der 2. Liga ist schon gewaltig. Unsere Talente könnten sich besser entwickeln, denn in der Regionalliga wirst du ganz anders gefordert. Und der SCP muss auch den Anspruch haben, diese Liga zu halten. "Langsam versteht die Mannschaft meinen Humor" Ihr Vertrag läuft im Juni 2023 aus. Gab oder gibt es schon Gespräche über eine Vertragsverlängerung?Fabian Wohlgemuth und ich sprechen sehr viel miteinander, aber das war noch kein Thema. Und ich sehe dafür aktuell auch keine Notwendigkeit. Es kann ja schnell gehen: Der Vertrag wird verlängert, der Saisonstart ist schlecht, der Trainer muss weg. Und dann kostet es dem Verein viel Geld. Ich bin da völlig entspannt. Ich bin kein sicherheitsorientiert denkender Mensch, lebe lieber im Hier und Jetzt und genieße es, Trainer beim SC Paderborn 07 sein zu dürfen. Denn das ist total cool. Wir haben uns jetzt innerhalb des Trainerteams noch besser kennen gelernt. Und die Mannschaft versteht so langsam meinen Humor. Sie haben ja schon erwähnt, dass in diesem Jahr kein Strandurlaub ansteht. Wo und wie werden Sie denn die freien Tage verbringen?In meiner Karlsruher Heimat. Ich werde viele Freunde besuchen und viele Freunde einladen. Meine Frau ist unterwegs bei meiner Tochter in Amerika, so dass wir diesmal nicht gemeinsam in den Urlaub fahren können. Ich werde daher einfach die Zeit zuhause genießen. Wie ließen sich denn Beruf und Familie in dieser Saison vereinbaren? Zwischen Paderborn und Karlsruhe liegen ja doch ein paar Kilometer.Das hat ganz gut geklappt. Meine Kinder sind ja schon erwachsen beziehungsweise fast erwachsen. Wenn die Sehnsucht da war, hat mich meistens meine Frau in Paderborn besucht. Ich bin selten heimgefahren, weil du sonst nicht so gut vorbereitet in die neue Woche kommst. Du verlierst halt acht bis zehn Stunden auf der Autobahn, in denen du das eigene Spiel analysiert und die Gegnervorbereitung schon aufgenommen hast. Können Sie dann überhaupt einmal vom Fußball abschalten?Nein. Sollte diese Leidenschaft für den Fußball und das Trainerdasein mal verloren gehen, würde ich auch sofort aufhören. Der Fußball ist irgendwie immer Thema, das ist der Preis für diesen Job. Den bezahle ich gerne. Ich werde nach meiner Trainer-Laufbahn genügend Zeit für andere Dinge haben, denn ich möchte diesen Job nicht allzu lange machen. Womöglich ist in zehn Jahren schon Schluss. Dann will ich die Zeit mit meiner Frau genießen, irgendwann für die Enkelkinder da sein, der Gesellschaft etwas zurückgeben und vielleicht als Jugendtrainer tätig sein. Das ist mein großer Wunsch. Lukas Kwasniok im (vor dem letzten Spieltag aufgezeichneten) Video-Interview:

Meistgelesen

Paderborn Mann für Mann