Paderborns Sportchef im Interview: "Der SCP hat seine Nische gefunden"

Paderborn. Fabian Wohlgemuth hatte in den vergangenen Monaten äußerst knifflige Aufgaben zu meistern. Zum einen musste der Sport-Geschäftsführer des SC Paderborn einen geeigneten Nachfolger für Erfolgscoach Steffen Baumgart finden. Zum anderen galt es die Abgänge diverser Leistungsträger zu kompensieren. Offenbar hat der 42-Jährige diese Aufgaben mit Bravour gelöst. Der SCP ist aktuell Tabellendritter der 2. Fußball-Bundesliga und spielt weiter attraktiven Offensivfußball. Im Gespräch mit nw.de nennt Wohlgemuth Gründe für den sehenswerten Saisonstart. Zudem nimmt er Stellung zu Transferbilanzen und Kaderplanungen, zu Perspektiven für den SCP und zur speziellen Rolle des Vereins im deutschen Profifußball. "Steffen Baumgart ist in seiner Art nicht zu kopieren" Herr Wohlgemuth, nach den ersten drei Pflichtspielen hatten sie gewarnt, dass diese Saison ein Stresstest für den SC Paderborn und anspruchsvoller als die letzte werde. Bislang waren es aber eher Stresstests für die SCP-Gegner. Sind Sie selbst vom fulminanten Saisonstart überrascht und was sind die Gründe für den aktuellen Höhenflug? Fabian Wohlgemuth: Die Mannschaft hat selbst nach dem frühen Pokal-Aus schnell Stabilität gefunden und eine gute Mentalität entwickelt. Wir sind mit der bisherigen Entwicklung zufrieden. Im vergangenen Jahr sind wir als Erstliga-Absteiger mit vielen enttäuschten Erwartungen im Gepäck ins Rennen gegangen. Diese Hypothek hatten wir in diesem Sommer nicht. Auch haben sich viele der Neuzugänge nicht nur integriert, sondern sind in kürzester Zeit zu echten Leistungsträgern geworden. Wir hatten einfach weniger mit uns selbst zu tun und waren so in der Lage unsere gesamte Energie auf den Platz zu bringen. Steffen Baumgart war für den SCP mehr als ein Übungsleiter. Ihn zu ersetzen, schien eine fast unlösbare Aufgabe. Woran liegt es, dass anstelle des befürchteten großen Ruckelns nun ein so fließender Übergang gelungen ist? Wohlgemuth: Steffen Baumgart ist in seiner Art nicht zu ersetzen oder zu kopieren. Wir haben niemals nach einem Baumgart-Imitator Ausschau gehalten. Als Steffen im April seine Entscheidung getroffen hatte, ging es sofort darum, einen Trainer zu finden, der unsere sportliche Strategie versteht und weiterentwickelt. Das Ausscheiden von Steffen kam einer Zäsur gleich. Wir wollten einen Neuanfang, natürlich auf der Basis dessen, was hier in den letzten Jahren entwickelt wurde. Der SC Paderborn gehört zu den handverlesenen Clubs der Ersten und Zweiten Liga, denen man eine spezielle Mentalität und Spielweise zuordnet. Wir hatten und haben das Ziel, uns taktisch weiterzuentwickeln und unsere Mentalität zu bewahren. Und genau diesen Weg ist Lukas Kwasniok bisher gegangen. Mit 20 Toren stellt der SC Paderborn derzeit die zweitbeste Offensive der Liga, obwohl mit Chris Führich der Topscorer der vergangenen Saison in der Vorbereitung zum VfB Stuttgart wechselte. Was macht die Abteilung Attacke momentan so stark? Wohlgemuth: Es gibt ihn ja ganz selten, den einen Grund. In unserem Falle haben wir den sportlichen Substanzverlust durch gute Scouting-Arbeit entsprechend abfangen können. Dazu kommt, dass Schlüsselspieler vorangehen und sich aktuell in herausragender Form befinden. Und letztlich ist es immer ein Gesamtkunstwerk. Wenn es vorne funktioniert, sind die Ursachen auch weiter hinten zu finden. Wir sind schnell in der Umschaltbewegung, sind taktisch flexibler geworden und vor dem gegnerischen Tor bisher äußerst effizient. Es kommt also einiges zusammen. Stürmer Sven Michel ist mit 31 Jahren in der Form seines Lebens. Hätten Sie ihm eine solche Steigerung noch einmal zugetraut? Wohlgemuth: Sven war einer der sportlich besseren Akteure in unserem letzten Erstliga-Jahr 2019/20. Er stand nach unserem Abstieg bei einigen Vereinen auf dem Zettel. Verletzungsbedingt hat er in der vergangenen Saison sieben Spiele aussetzen und sich wieder an das Ausgangsniveau heranarbeiten müssen. Das, was er allerdings im Moment vor dem gegnerischen Tor und auch in der Kabine leistet, übertrifft natürlich unsere Erwartungen. An Michels Seite überzeugt Neuzugang Felix Platte, der in den vergangenen Jahren viel Verletzungspech gehabt hatte. Warum hatten Sie sich für seine Verpflichtung entschieden und was macht Felix Platte so wertvoll? Wohlgemuth: Felix ist ein großer, robuster und sehr schneller Spieler, der im Grunde alle Qualitäten eines Zweitliga-Stürmers abbildet. Seine Verpflichtung ist ein gutes Beispiel für Teamarbeit. Gemeinsam mit den sportlich und medizinisch Verantwortlichen haben wir Chancen und Risiken analysiert. Im Ergebnis haben wir jetzt einen Spieler, der nach einem individuellen Konzept physiotherapeutisch begleitet wird und inzwischen schon vier Mal getroffen hat. Wenn es gelingt, ihn durch die gute Arbeit unseres Medi-Teams gesundheitlich zu stabilisieren, kann er bei uns eine sehr gute Entwicklung machen. In der Defensive musste der SCP derweil den Abgang von Kapitän und Abwehrchef Sebastian Schonlau wegstecken. Wie gut konnte dieser Abgang aus Ihrer Sicht kompensiert werden und wie zufrieden sind Sie mit der Abwehr? Wohlgemuth: Ich bin überzeugt davon, dass es unserem Cheftrainer speziell hier gelungen ist, mit seiner Ansprache und über seine inhaltlichen Prioritäten eine gute mannschaftliche Struktur zu formen. Unser enormes offensives Engagement sorgt auch im Defensivbereich für Entlastung. Anspielpunkte sind da, Automatismen im Spiel nach vorn funktionieren immer besser. So gelingt es uns oft, gegnerischen Druck vom eigenen Tor fernzuhalten. Auf der anderen Seite, und das war zuletzt im Spiel gegen Fortuna Düsseldorf zu sehen, ist Defensivarbeit nichts, was sich bei uns auf die letzte Reihe beschränken würde. Diese gemeinschaftliche Herangehensweise macht es den Neuen innerhalb unseres Defensivverbandes leichter, sich schnell zu integrieren und vorhandene personelle Abgänge auszugleichen. Christian Preußer, Trainer des letzten SCP-Gegners Fortuna Düsseldorf, sprach nach Spielende von &bdquo;Pingpong-Fußball, den er so nicht haben wolle". Sind Sie denn mit der taktischen Ausrichtung zufrieden und was macht den Fußball unter dem neuen Chefcoach Lukas Kwasniok aus? Wohlgemuth: Es ging tatsächlich hin und her. Was einerseits enormen Unterhaltungswert hat, ist auf der anderen Seite mit großem Risiko verbunden und macht am Ende nur dann Spaß, wenn wir im Schlagabtausch ein Tor mehr machen als der Gegner. Wir müssen daran arbeiten, schneller ins Gegenpressing zu kommen, das heißt nach Ballverlust schneller wieder als gesamte Formation Ordnung zu haben und den Gegner im Spielaufbau zu stören. Hier geht es um gedankliche und physische Schnelligkeitsleistungen. Daran arbeiten wir. Wo sehen Sie darüber hinaus noch Luft nach oben? In welchem Bereich kann das Team noch zulegen? Wohlgemuth: Wir müssen unsere gute Ausgangsposition natürlich jetzt bestmöglich nutzen. Die Arbeit hört nie auf. Es ist unser Trainerteam, das unserer Mannschaft täglich neu den Glauben an sich selbst und einen unstillbaren Erfolgshunger einimpfen muss. Inhaltlich bildet das schon angesprochene Umschalten nach Ballverlust einen Verbesserungsschwerpunkt. "Anstelle von Absichten nur Fakten in die Öffentlichkeit" Sie sind jetzt anderthalb Jahre beim SC Paderborn, haben den mannschaftlichen Umbau und auch den Wechsel auf der Kommandobrücke koordiniert. In welchen Bereichen sind Sie als Sportchef am meisten gefragt? Wohlgemuth: Einmal ist es natürlich das Transfergeschehen. Auch außerhalb der Wechselperioden sind wir permanent im Planungsmodus. Wir wollen unseren Kader stetig verbessern und prüfen entsprechende Optionen. In diesen Prozess ist von der Scouting-Abteilung bis hin zum medizinischen Team die gesamte Führungsstruktur um unsere Erste Mannschaft mit einbezogen. Wir haben keine Knautschzone und sind deshalb auf eine hohe Trefferquote bei Zu- und Abgängen von Spielern angewiesen. Ein zweiter Schwerpunkt liegt in der sehr engen Zusammenarbeit mit dem Trainerstab. Dabei geht es um tagesaktuelle Fragen, aber auch langfristige Themen. Gute Kommunikation, kurze Wege machen uns manövrierfähig und sind oft ein Vorteil gegenüber größeren Vereinen. Am Saisonende laufen Verträge mit Spielern wie Collins, Huth, Hünemeier, Justvan, Srbeny und Thalhammer aus. Führen Sie bereits Gespräche mit Spielern über eine mögliche Vertragsverlängerung? Und wer soll unbedingt gehalten werden? Wohlgemuth: Es ist immer das Ziel, die sportlichen Leistungsträger möglichst langfristig zu binden, um so entweder zu sportlicher oder wirtschaftlicher Wertschöpfung zu kommen. Das haben wir immer auf dem Zettel. Bei aller Sensibilität und Aufmerksamkeit in dieser Frage, liegt nicht alles in unserer Hand. Wir müssen auf unser Preisgefüge achten und dürfen den Klub durch Vorratswirtschaft nicht wirtschaftlich überfordern. Ein Spieler, der es sich aussuchen kann, wird die aus seiner Sicht beste Entscheidung treffen. Generell versuchen wir in diesen Kaderthemen diskret vorzugehen und anstelle von Absichten nur Fakten in die Öffentlichkeit zu bringen. "Arbeiten mit geschärften Sinnen" &bdquo;Der ständige Umbruch ist Teil des betrieblichen Konzeptes des SC Paderborn", wurden Sie unlängst in einer überregionalen Zeitung zitiert. Wünschen Sie sich nicht manchmal auch eine finanzielle Ausstattung, die mehr Kontinuität und Planungssicherheit für Ihren Arbeitsbereich erlaubt? Wohlgemuth: Der SC Paderborn führt seinen Behauptungskampf seit vielen Jahren in einer Liga ungleicher Voraussetzungen und hat dabei ganz offensichtlich seine Nische gefunden. Unsere Voraussetzungen zwingen uns, mit geschärften Sinnen zu arbeiten und das kann ein Vorteil sein. Natürlich ist die Vorstellung verlockend, aus dem Vollen schöpfen zu können. Dass dies nicht automatisch eine erfolgreiche Entwicklung nach sich zieht, machen uns andere Vereine vor. Ralf Rangnick hat sinngemäß einmal gesagt: Erfolgreiche Clubführung benötigt drei Dinge: Konzept, Kompetenz und Kapital. Gerade im Hinblick auf langfristige Entwicklungsziele sind dies in der Tat die entscheidenden Faktoren. Stellt sich die Frage nach einer langfristigen Perspektive für den SCP. Sehen Sie unter diesen Voraussetzungen eine echte Chance für die dauerhafte Sicherung des Profifußball-Standorts Paderborn? Wohlgemuth: Wir als Club und das Gesamtumfeld der Stadt Paderborn sind anpassungsfähig und schaffen nun schon seit vielen Jahren die Voraussetzungen für den Profi-Fußball. Sicher werden wir auf lange Sicht auch wirtschaftlich wachsen müssen, wenn wir unsere Wettbewerbschancen verbessern und das Gesamtrisiko verringern wollen. Beim Heimspiel gegen Holstein Kiel waren zuletzt nur 6.656 statt der möglichen 10.000 Fans. Auch bei vielen anderen Erst- und Zweitligisten werden die zugelassenen Zuschauer-Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Betrachten Sie diese Entwicklung mit Sorge? Wohlgemuth: Natürlich hätten wir uns einen größeren Zuschauerzuspruch gewünscht. Das wichtigste ist, dass wir unsere Fans dauerhaft mit Leistung überzeugen. Alles andere wird sich daraus ergeben. Im kommenden Heimspiel trifft der SCP nun auf Jahn Regensburg. Es ist das Duell der beiden Überraschungsteams, die auf den Plätzen drei und zwei rangieren. Warum stehen diese Underdogs so weit oben, während Schwergewichte wie Bremen, Schalke und der HSV schon reichlich Federn lassen mussten? Wohlgemuth: Es ist seit einigen Jahren so, dass sich große Namen nicht automatisch leicht in dieser Zweiten Liga tun. Dennoch kann ich nur über uns selbst sprechen. Wir haben jetzt zehn Pflichtspiele hinter uns – nicht mehr und nicht weniger. In dieser Phase ist uns vieles gelungen, was allerdings in jedem Spiel neu zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Feld ist noch relativ dicht beieinander und prognostische Ableitungen sind in jedem Fall mit Vorsicht zu genießen. Ist es nur eine Momentaufnahme oder kann der SCP in dieser Saison dauerhaft ganz oben mitmischen? Wo sortieren Sie ihren Club ein? Worauf dürfen die Paderborner Fans hoffen? Wohlgemuth: Die Fans dürfen eine Mannschaft erwarten, die alles daran setzt, den Stadionbesuch mit leidenschaftlichem Fußball zu belohnen. Wir halten es aktuell für nicht richtig, unsere Ziele an Tabellenständen auszurichten. Unser Hauptziel ist es, als Club an unserer Mentalität und Spielweise erkennbar zu bleiben und den Profifußball-Standort Paderborn dauerhaft zu sichern. Niemand wehrt sich gegen sportlichen Erfolg. Und dennoch brauchen wir innerhalb und außerhalb des Clubs eine realistische Erwartungshaltung, die uns über weniger erfolgreiche Phasen in dieser Saison trägt.

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