2016 schloss Mindener Arne Niemeyer das Kapitel Handball: Nun ist ein verlorenes Gefühl wieder da

Minden. Der Handballsport hat sein Leben geprägt. Mehr noch: Handball war das Leben von Arne Niemeyer. Die Routine des Trainings, das Adrenalin der Bundesligaspiele vor Tausenden Zuschauern. Nahezu zwei Jahrzehnte bestimmt die Arbeit als Profi seinen Alltag. Im Sommer 2016 war dann Schluss. Beim TBV Lemgo endete nach 450 Bundesliga-Spielen die Profi-Karriere des 13-maligen Nationalspielers. Beim TSV Hahlen griff er danach noch einige Monate zum Ball, und er half Anfang 2019 ein paar Spiele beim Landesligisten SG Bünde-Dünne aus, wo jeweils sein Cousin Dennis Eichhorn als Trainer tätig war. Freundschaftsdienste einerseits und zum anderen holte Niemeyer nach, was er nie erleben durfte: &bdquo;Ich hatte Lust, mal ganz normal Handball zu spielen. Spaß haben, ein Bierchen trinken. Und wenn man verliert, geht nicht die Welt unter, hängen keine Existenzen davon ab“, berichtet der 43-Jährige. Tief eintauchen konnte der vom Leistungssport geprägte Ex-Profi in diese Welt nicht. Er stellt fest: &bdquo;Das war ein schöner Abschluss, aber klar, das war was anderes als Bundesliga.“ &bdquo;Aus der Schublade wollte ich raus“ Der innere Schlussstrich, den er nach seinem Abschied in Lemgo zog, war deutlich. &bdquo;Ich habe eine Pause gebraucht, ich musste mich neu finden. Ich war immer Arne der Handballer. Aus der Schublade wollte ich raus“, erzählt er. Das sei für die Familie manchmal nicht leicht gewesen: &bdquo;Ich musste schon mit mir ringen, aber es ist ganz gut gelungen.“ Der Betriebswirtschaftler arbeitete zunächst für ein Hamburger Unternehmen als Vertriebler für medizinische Hilfsmittel. In der Branche ist er noch heute tätig, mittlerweile als Geschäftsführer bei &bdquo;Homecare von Morgen“. Er ist viel unterwegs und oft zu Hause im Home-Office. Ein bisschen wie früher und doch ganz anders. &bdquo;Früher bin ich an den Wochenenden so oft alleine zu allen möglichen Feiern gegangen, jetzt kommt Arne mit“, erzählt seine Ehefrau Claudia, die sich an den harten Schnitt im Sommer 2016 erinnert: &bdquo;Arne hat Handball damals auf Null gestellt.“ Er kennt die Leute in seiner Straße. Auch die neuen Nachbarn. Als Profi habe er seine Tochter Lilly – mittlerweile 16 und Schülerin am Besselgymnasium – früher jeden Morgen in den Kindergarten bringen können. &bdquo;Und mittags nach dem Training habe ich sie wieder abgeholt“, erzählt Niemeyer von guten Aspekten der Handballzeit und sinniert: &bdquo;Das Leben früher war für uns ein normales Leben, jetzt führen wir ein anderes normales Leben.“ Dieses Leben leben die Niemeyers in Südhemmern. Von Stemmer sind sie 2018 in Arnes umgebautes Elternhaus gezogen. Seine Mutter hat eine Einliegerwohnung, viel Familie wohnt nebenan. Es ist eine gewachsene Nachbarschaft, der BVB-Fan kennt die Leute in seiner Straße. Auch die neuen Nachbarn: Nur ein paar Meter entfernt baut der einstige GWD-Spielmacher Sören Südmeier ein Haus. Am Kanal, der an den Garten grenzt, geht Niemeyer hin und wieder angeln, manchmal gemeinsam mit Freunden wie dem GWD-Geschäftsführer Nils Torbrügge. Der Junge aus Südhemmern, der in der C-Jugend einst nach Dankersen wechselte, ist dort eine Vereinslegende geworden. Was früher Lübking oder Spannuth und dann die Weltmeister Walkte und sein im Mai 2016 verstorbener Vater Rainer waren, setzten in der Neuzeit Jungs wie Frank von Behren, Moritz Schäpsmeier oder Arne Niemeyer fort. Für Niemeyer wurde diese Rolle Verpflichtung und Bürde. &bdquo;Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“ Sein damals letztes Heimspiel im Mai 2008 vor dem Wechsel zum HSV Hamburg geriet zum emotionalen und tränenreichsten Abschied der jüngeren GWD-Historie. Nach der Pleite gegen den TuS N-Lübbecke schien das Team abgestiegen, der Sohn verließ die Dankerser Familie. Für die Fans, die damals ein riesiges Arne-Plakat und ein Banner mit der Aufschrift &bdquo;Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“ ausrollten, war kaum auszumachen, was mehr schmerzte. Wenige Spieler bestritten mehr Spiele für GWD, mit 1.032 warf keiner mehr Bundesligatore für den 100-jährigen Verein. Niemeyer hat Spuren hinterlassen. Er spielte für den TuS N-Lübbecke, in der Saison 2013/2014 nochmal für GWD und schließlich beim dritten OWL-Klub in Lemgo. Dort schlug er 2016 das Kapitel Handball zu. &bdquo;Es gab Optionen, dabei zu bleiben. Ich habe damals mit Flo Kehrmann (Trainer des TBV Lemgo) gesprochen, eine Tätigkeit als Co-Trainer stand im Raum“, erzählt Niemeyer, doch diese Gedanken fielen in einen falschen Zeitraum. Sein Vater Rainer, der ein enger Begleiter war, starb damals. Niemeyer empfand ein tiefes Bedürfnis: &bdquo;Ich musste weg vom Handball.“ Die Trennung war radikal. Seine Tochter Lilly half ihm indirekt, die Beziehung wieder aufzunehmen: In der Not übernahm der Vater 2020 die Aufgabe als Trainer ihrer Mannschaft beim TV Hille. &bdquo;Übergangsweise“, wie er sagt, &bdquo;es gab keinen Trainer und ich war ja eh bei den Spielen. Daraus sind dann fünf Jahre geworden.“ Er coacht das Team gemeinsam mit Christoph Koch, frischte sogar seine 2012 gemeinsam mit Stephan Just erworbene B-Lizenz auf. &bdquo;Das macht mir Spaß und es tut gut“, genießt er die Arbeit mit den Mädchen. Und er stellt fest: &bdquo;Darüber ist wieder ein Gefühl für Handball entstanden.“ Niemeyer ist wieder näher an GWD herangerückt. Er war Talkgast beim Sportstudio im BÜZ, begleitet bisweilen Spiele als Co-Kommentor für die Liveübetragungen. Er schaut GWD im Fernsehen oder in der Halle. &bdquo;Die Bindung ist wieder enger“, sagt er, sie sei auch nie wirklich weg gewesen: &bdquo;Ich habe bei GWD so viel erlebt. Es gibt einfach keinen Verein, mit dem ich emotional so sehr verbunden bin.“ Der letzte A-Jugend-Titel im Jahr 2000 Auch einen Titel holte Niemeyer nach Minden: Er gewann 2000 für GWD letztmalig die Deutsche Meisterschaft mit der A-Jugend. Im Juni will sich die Truppe von damals um Marcel Richter, Fiete Buschmann, Rolf Hermann, Markus Ernst oder Michi Boy zum 25. Jahrestag wiedersehen. &bdquo;Wir wissen noch nicht genau, was wir machen, aber wir haben immerhin eine WhatsApp-Gruppe gegründet“, erzählt Niemeyer. Einige der alten Mitspieler sind Freunde geworden und geblieben. &bdquo;Fiete und Rolf natürlich“, sagt Niemeyer, &bdquo;und Jungs wie Schäppi läuft man ja auch immer wieder gern über den Weg. Leider sieht man sich viel zu selten.“ In Kürze hört Niemeyer als Trainer der Hiller B-Mädchen auf. &bdquo;Die brauchen mal ein neues Gesicht“, meint er. Doch er weiß: Es wird ihm schwer fallen. &bdquo;Die Mädchen sind mir ans Herz gewachsen. Ich kann gar nicht daran denken, dass das endet. Ich vermute, ich werde feuchte Augen haben.“ Abschiede sind seine Sache bis heute nicht.

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