Arminia und der Bundesliga-Skandal: Böses Erwachen am Ostseestrand

Bielefeld. In der ersten Folge zum Fußball-Bundesliga-Skandal schilderte Arminia Bielefelds Urgestein Albrecht Lämmchen, der am 13. Dezember seinen 85. Geburtstag feiert, die Geschichte, wie Arminia und einige andere Vereine in der Saison 1970/71 zu Geldmitteln gegriffen hatten, um Bundesligaspiele zu ihren Gunsten zu manipulieren. Lämmchen ist seit dem 1. August 1957 Vereinsmitglied. Als Stadionsprecher auf der Alm, als Leiter der Pressekonferenzen (25 Jahre) sowie als Gründungsmitglied des Verwaltungsrates sowie von 2002 bis 2009 als Vorstandsmitglied hat er in den unterschiedlichsten Funktionen verantwortungsvolle Führungsaufgaben unternommen. Nach dem 1:0-Sieg in Berlin, der den Klassenerhalt in der Bundesliga gesichert hatte, fuhr Arminias Delegation auf schnellsten Weg an die Ostsee. Schon Wochen vorher hatten die Arminen Zimmer im Strandhotel in Travemünde für die Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1971 reservieren lassen. Direkt aus Berlin war die Mannschaft plus Betreuer an die Ostsee gefahren. Es wurde eine rauschende Partynacht. Vorstandsherren, Spieler, engste und weniger enge Freundinnen feierten die ganze Nacht. Offenbach-Präsident lässt Bombe platzen Das Nachrichtenmagazin &bdquo;Der Spiegel“ beschrieb die Atmosphäre wie folgt: &bdquo;Im Morgengrauen ging Trainer Egon Piechaczek als erster, baden, er sprang mit Blazer und Zigarre in den Swimmingpool. Er krakeelte, man werfe mir den Canellas nach, und Weiber. Angeekelt verfolgte Präsident Stute vom Beckenrand das Geschehen. Der Mann ist voll. Wir müssen ihn in sein Zimmer schaffen, bevor er wieder zu viel schwatzt.“ Das Unheil nahm seinen Lauf. Am Vormittag des 6. Juni 1971 war die deutsche Fußballwelt noch in Ordnung. Kickers Offenbachs Präsident Canellas feierte mit prominenten Gästen ein rauschendes Gartenfest anlässlich seines 50. Geburtstages. Vor dem Essen ließ der Großhändler für Südfrüchte ein Tonbandgerät aufstellen. Zu hören bekamen die Gäste nicht einen netten Happy-Birthday-Song, sondern die tiefsten nur möglichen Molltöne. Zu hören waren mitgeschnittene Telefongespräche zwischen Canellas und verschiedenen Bundesligaprofis. Sogar Nationalspieler waren dabei. Es wurde deutlich, dass im Abstiegskampf sehr viel Geld geflossen war, um Spiele zu manipulieren. Angewidert verließ Bundestrainer Helmut Schön das Gartenfest. Der deutsche Fußball erwies sich als ein einziger Sumpf. In Travemünde waren fast zeitgleich die Arminen mit noch dicken Köpfen aufgewacht. Buchhändler Stute hatte als Erster von Canellas` &bdquo;Bombe“ erfahren. Von einem Moment zum anderen zogen Nüchternheit und Panik im Arminentross ein. Und wieder folgten Krisensitzungen. Nicht nur in Bielefeld. Beweise gegen Arminia sind eindeutig Für die Fans und erst recht für Albrecht Lämmchen brach eine Welt zusammen. Er, der für seinen Klub das letzte Hemd gegeben hätte, fühlte sich verprellt. &bdquo;Die Erschütterung in der Stadt war unbeschreiblich“, sagt Lämmchen. &bdquo;Das kann und darf doch nicht wahr sein“, lautete die allgemeine Stimmungslage. Und wie reagierten die Verursacher des DSC-Desasters? Hartnäckiges Leugnen sämtlicher Verdachtsmomente stand rund um die Alm auf der Tagesordnung. Präsident Stute wollte sich sogar die Hand abhacken lassen für den Fall, dass der DSC in den Skandal involviert sein sollte. Chef-Ankläger Hans Kindermann ließ sich nicht einlullen und ging konsequent der Aufklärung nach. Lesen Sie auch: Wie Arminia Bielefeld zum Hauptakteur im Bundesliga-Skandal wurde Scheinbar unschuldig startete Arminia in ihre zweite Bundesligasaison 1971/72. Dann der Paukenschlag am 26. Oktober 1971. Präsident Stute musste die Schiebungen, Geld für Punkte, zugeben. Die Beweise waren zu eindeutig. Leugnen zwecklos. Die Vorstandsmitglieder stellten umgehend ihre Ämter zur Verfügung und traten aus dem Verein aus, was sich später als cleverer Schachzug erweisen sollte. Sie waren für die DFB-Gerichtsbarkeit nicht mehr greifbar. Als Konsequenz absolvierte Arminia in der laufenden Spielzeit nur noch Geisterspiele. Alle Partien wurden für die Gegner gewertet. Arminia wird mit Lizenzentzug bestraft DFB-Chefankläger Hans Kindermann, ein gnadenloser Hüter des Regelwerkes, fasste die Strafen des Skandals wie folgt zusammen: 18 Spiele wurden manipuliert Sieben Klubs haben betrogen (Hertha BSC/15 Spieler), VfB Stuttgart (3), Schalke 04 (13), Arminia Bielefeld (2), MSV Duisburg (2), 1. FC Köln (1), Eintracht Braunschweig (16). 52 Spieler wurden gesperrt, darunter die beiden Arminen Waldemar Slomiany und Jürgen Neumann (Geldboten). Sechs Funktionäre wurden gesperrt, vier aus Offenbach sowie jeweils ein Offizieller von Hertha BSC und Rot-Weiß Oberhausen. Zwei Trainer wurden gesperrt (Arminias Egon Piechaczek und Oberhausens Günter Brocker). Zwei Lizenzentzüge wurden verhängt (Arminia Bielefeld und Kickers Offenbach). &bdquo;Der Spiegel“ hatte recherchiert, dass Kindermann nur an der Spitze eines Eisberges gekratzt habe. Laut des Nachrichtenmagazins solle in dieser Saison lediglich der Hamburger SV eine weiße Weste gehabt haben. Die meisten der Verurteilten wurden nach rund zwei Jahren begnadigt. Die wegen der Manipulationen abgestiegenen Essener blieben am Ende die Dummen. Sie bekamen keinerlei Wiedergutmachung. Bielefelder Oetker-Gruppe schaltet sich ein Arminias Bestrafung fiel drastisch aus, was vor allem der Oetker-Gruppe ein Dorn im Auge war. Man fürchtete um den Ruf von Bielefeld - weltweit. Firmen-Syndikus Jörg Auf der Heyde wurde daher von seinem Arbeitgeber ins Rennen geschickt, um den Imageverlust der Stadt zu stoppen. An seiner Seite standen mit Ulf Bosse und Hartwig Pfeil zwei weitere erfahrene Rechtsanwälte sowie der damalige Studienrat Wolfgang Walkenhorst, der Mitte der 80er-Jahre Präsident werden sollte. Auf der Heyde, zuerst nicht gerade begeistert über seine neue Aufgabe, gewann den Widerspruch gegen das vorangegangene Urteil des DFB-Gerichts, ins Amateurlager verbannt zu werden. Sein Ehrgeiz war geweckt. Auch der 10-Punkte-Abzug wurde gestrichen. Arminia wurde am 15. April 1972 die Bundesligalizenz entzogen und in die Regionalliga versetzt. Außerdem musste der Verein eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Mark bezahlen. In der Saison 1972/73 belegte Arminia in der Regionalliga West den elften Platz. Im April 1973 wurde Jörg Auf der Heyde zum neuen Präsidenten gewählt. &bdquo;Ihm hat Arminia sehr viel zu verdanken. Er hat den Verein vor dem Untergang bewahrt“, spricht Albrecht Lämmchen mit großem Respekt über den Retter, der bis 1986 die Geschicke des DSC lenkte. Skandal hat fatale Auswirkungen auf Arminia und Bielefeld Auch die ordentliche Gerichtsbarkeit hatte mittlerweile ein Auge auf das Geschäftsgebaren von Stute und Co. geworfen. Im Februar 1973 hatte die Bielefelder Staatsanwaltschaft Präsident Stute wegen Veruntreuung und Manipulation von vier Bundesligaspielen angeklagt. In dem Verfahren wurde bekannt, dass Arminia mehr als 700.000 Mark in Manipulationen investiert hatte. Stute wurde schließlich zu einer Geldstrafe von 25.000 Mark verurteilt. In der Berufung bekam er schließlich attestiert, dass er sich nicht strafbar gemacht habe. Das wahre Ausmaß der Schiebereien blieb im Verborgenen. Kritiker werfen dem DFB bis heute vor, aufgrund der Olympischen Spiele 1972 in München und der WM 1974 in Deutschland zu schnell und oberflächlich geurteilt zu haben. Auch die Bielefelder Mauscheleien sind nicht vollständig aufgeklärt. Für die Stadt Bielefeld und Arminia hat dieser Skandal eine fatale Auswirkung gehabt. Selbst heute noch wird der Bundesligaskandal in der Wahrnehmung vordergründig mit Arminia Bielefeld in Verbindung gebracht. Die verloren gegangene Glaubwürdigkeit der schönsten Nebensache der Welt wird immer mit der Saison 1970/71 verbunden bleiben. Eine wichtige Frage wird für immer unbeantwortet bleiben: Waren Arminias Spieler in den schmutzigen Geschäften der Top-Funktionäre involviert? Lesen Sie auch: Wie Norbert Leopoldseder half, Arminia Bielefeld vor dem Ruin zu retten Albrecht Lämmchen hat in dieser schweren Zeit und weiteren folgenden dunklen Phasen wie viele andere auch diesem Traditionsverein stets die Treue gehalten. &bdquo;Die Sucht nach attraktivem Fußball mit Arminia hat sämtliche Krisen überwinden lassen“, verdeutlicht Lämmchen die Stärken des Klubs und seiner Anhänger, stur, hartnäckig und kämpferisch zu sein.

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