
Braunschweig. Präsident Rainer Schütte stand am Zaun und diskutierte mit abermals aufgebrachten Fans, Aufsichtsratschef Hartmut Ostrowski stand im Innenraum, Geschäftsführer Christoph Wortmann blickte von der Tribüne aus, tief in Gedanken versunken, in die Weite. Arminia Bielefeld hatte nach einem halben Jahr mal wieder die Punkte geteilt, doch das 3:3 (3:2) bei Eintracht Braunschweig am Sonntagnachmittag fühlte sich für alle wie der schmerzhafteste Tiefschlag der ganzen Saison an.
Die Luft für Trainer Daniel Scherning und womöglich auch weitere Verantwortliche wird immer dünner. Allerdings stellte sich am Montagmorgen heraus: Die Leitung der Spielersatzeinheit oblag nach wie vor dem 39-Jährigen, der seine Spieler um kurz nach 11 Uhr auf den Platz bat. Scherning ist mit vier Punkten aus den ersten sechs Pflichtspielen in 2023 - darunter vier Duelle gegen die direkte Konkurrenz - nach Ergebnissen schwer angezählt. Für den weiteren Wochenverlauf muss der Verzicht auf eine Kurzfrist-Reaktion bei Arminia nicht viel bedeuten.
Braunschweigs Trainer erwartete schon ein halbes Dutzend Gegentore
Drei Tore hatte Arminia am Sonntag in den ersten 20 Minuten erzielt, dreimal hatte Ex-Braunschweiger Jomaine Consbruch assistiert. Zweimal schoss er nach einer abgewehrten Flanke direkt aufs Tor von Jasmin Fejzic. Einmal prallte der Ball erst an den Pfosten, dann an die Hacke des Torhüters – 1:0 für Arminia (6.). Dann ließ Unglücksrabe Fejzic den zweiten Versuch nach vorne prallen, wo Bryan Lasme abstaubte – 2:0 (11.). Anschließend flankte Consbruch auf den Kopf von Guilherme Ramos – 3:0 (20.). Alles schien zu gelingen, „es sah aus, als würden wir heute fünf oder sechs kriegen“, sagte BTSV-Trainer Michael Schiele nach der Partie. Aber es sollte ganz anders kommen.
Arminia schien einen Durchbruch geschafft zu haben. Die Fans der Gastgeber wurden still, endlich einmal ertönte „Wir wollen euch kämpfen sehen“ auf der anderen Seite. Doch die Eintracht arbeitete sich ins Spiel und merkte, dass sich hinter einer souveränen Maske der Bielefelder schwere Unsicherheit verbarg. Auf das postwendende 1:3 von Immanuel Pherai (22.) drückte Braunschweig weiter, der Niederländer erzielte gegen konsternierte Arminen gleich den Doppelpack (34.). Ihn hatte Scherning im Vorfeld noch als Unterschiedsspieler klar benannt.
Arminia versucht, über die Zeit zu retten - es gelingt nicht
Der DSC kämpfte sich danach mit Mühe in die Pause, die Defensive hatte in Abwesenheit der erkrankten Andrés Andrade und Frederik Jäkel da aber schon 15 Abschlüsse zugelassen und spürbar gewankt, sobald die Hausherren ihr Tempo plötzlich verschärften. Das Spiel war gekippt.
Nach der Pause passierte, was abzusehen war: Arminia versuchte, das Ergebnis über die Zeit zu retten – und stellte dafür das Fußballspielen weitestgehend ein. Es ging trotz etlicher zugelassener Flanken lange gut, dann wuchtete der eingewechselte Anthony Ujah einen Schuss von der Strafraumgrenze flach ins rechte Eck (72.). Kurz zuvor hatte Masaya Okugawa Arminias einzige, dafür aber riesige Chance der zweiten Halbzeit frei vor Fejzic vergeben.
Braunschweig wollte nun mehr, spürte aber die müden Beine. Mit 38 Prozent Ballbesitz, 62 Prozent Passquote und 11:21 Torschüssen rettete sich der DSC als klar unterlegene Mannschaft zum Punktgewinn ins Ziel.
Arminen suchen Erklärungen für das Unerklärliche
2.200 mitgereiste Arminen hatten nach diesem Leistungseinbruch genug gesehen. „Absteiger, Absteiger!“, skandierten sie geschlossen nach Abpfiff. Das Team trottete hin, wurde dann aber zurückgerufen – weitere Unmutsbekundungen folgten. Später stellten sich einige Profis wie Kapitän Fabian Klos, Torhüter Martin Fraisl und auch Co-Trainer Sebastian Hille.
Sie versuchten zu erklären, was unerklärlich war: Wie Arminia Bielefeld den auf dem Silbertablett servierten Auswärtssieg im Sechs-Punkte-Spiel so leidenschafts- und planlos verspielen konnte.