Arminia und die Bundesliga

NW+-Icon
"Vielleicht kehren manche nicht zurück" - Wie wird der Fußball nach Corona?

Auch die Bundesligisten erwarten den Impfstoff und das Ende der Pandemie. Die erzwungene Distanz zu den Fans reißt Gräben und könnte den Sport verändern. Bei Arminia ist man sich dessen bewusst.

Bielefelds Torhüter Stefan Ortega Moreno blickt in ein verlassenes Stadion. Dieses Bild, entstanden beim Topspiel gegen Borussia Dortmund, steht sinnbildlich für die Corona-Krise des Fußballs. Wie schnell die Normalität zurückkehren wird, weiß heute keiner. Foto: Witters | © Witters

Jan Ahlers
10.11.2020 | 10.11.2020, 19:37

Bielefeld. Es war die vielleicht aufsehenerregendste Pressemitteilung dieses Jahres: Die Unternehmen Biontech und Pfizer verkündeten am Montag, einen Corona-Impfstoff entwickelt zu haben, der zu mehr als 90 Prozent wirksam ist. Gastronomen und Kulturschaffende schöpfen neue Hoffnung, die Kapitalmärkte atmeten auf. Und auch im Profifußball dürfte diese Nachricht ein großer Mutmacher in schweren Zeiten sein. Es geht längst nicht mehr allein um das kurzfristige finanzielle Überleben, sondern um das Scheitern in der wohl größtmöglichen Dimension. Der Sport läuft Gefahr, seinen Stellenwert bei Fans zu verlieren.

An die alte Normalität können sich Anhänger von Arminia Bielefeld wohl nur noch vage erinnern. Ein Flugkopfball von Fabian Klos brachte die Alm vor mehr als acht Monaten ein letztes Mal in Wallung, 22.300 Zuschauer waren Zeugen eines 1:0-Siegs über Wiesbaden. Jeder verließ das Stadion im Glauben, auf dem Weg Richtung Bundesliga noch einige weitere dieser Momente erleben zu können, die Stimmung war zuversichtlich. Doch Corona war an jenem 1. März schon längst in der Gesellschaft angekommen.

Das Virus griff rasend schnell auf Deutschland über, zwei Wochen später stand der Spielbetrieb aufgrund der Pandemie flächendeckend still. Danach: Geisterspiele, die – mit kurzen Unterbrechungen – bis heute anhalten. Die Distanz zu den Fans ist groß geworden. Viele von ihnen haben längst durchschaut, wie wenig Geisterspiele fürs Fernsehgeld mit dem Fußball zu tun haben, der sie einst zu treuen Sympathisanten gemacht hat.

Wie Arminia versucht, die Fans an sich zu binden

Profivereine haben das sich anbahnende Problem erkannt, darunter auch Arminia Bielefeld. „Es ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Die Fans fehlen uns wirtschaftlich und sportlich", sagt Sport-Geschäftsführer Samir Arabi. „Viele haben jahrelang das Wochenende damit verbracht, ins Stadion zu gehen. Nun setzt man sich mit anderen Dingen auseinander." Daraus leitet Arabi die Befürchtung ab: „Vielleicht kehrt auch jemand nicht mehr zum Fußball zurück."

Umso mehr versucht der Klub, seine treuen Begleiter trotz erzwungener Distanz emotional an sich zu binden. So hat sich Arminia bereits mit einem Kurzfilm unter dem Motto „Ohne euch ist Sch....!" an die Fans gewandt und mit gleichem Zitat auch die Aufwärmkleidung beflockt.

Fans des FC St. Pauli sitzen mit Abstand auf der Stehtribüne am Millerntor. Mit dem ursprünglichen Stadionerlebnis habe das für viele nichts zu tun, sagt ein Fanforscher. - © picture alliance/dpa
Fans des FC St. Pauli sitzen mit Abstand auf der Stehtribüne am Millerntor. Mit dem ursprünglichen Stadionerlebnis habe das für viele nichts zu tun, sagt ein Fanforscher. | © picture alliance/dpa

Die Hoffnung aus dem Frühjahr, dass die Fußballstadien mit Ende der Pandemie von euphorischen Zuschauerscharen gestürmt werden, ist dahingegangen. Einerseits, weil sich trotz Impfstoff kein abruptes Corona-Ende abzeichnet. Doch auch, weil der Weg zum Normalen wohl wieder über teilgeöffnete Arenen und Abstandsregeln verlaufen wird. „Wir müssen nun besondere Formate finden, um die Bindung zu erhalten", sagt Arabi. Eine Idee seien Videokonferenzen mit den Spielern, eine andere, öffentliche Trainingseinheiten im Stadion auszutragen – letztere Überlegung musste aufgrund der neuen Maßnahmen im November vorerst verworfen werfen.

Fanforscher: "Manche Leute haben sich vom Fußball abgewendet"

Es gibt weitere Probleme. Etwa das Unverständnis, warum der Fußball wöchentlich tausende Corona-Tests an kerngesunden Spitzensportlern durchführt und damit eine Sonderstellung gegenüber vielen anderen Branchen erhält. Auch Landesbürgschaften an Vereine, so etwa für Schalke 04, stehen in der Kritik. Möglicherweise gibt es zudem Hemmschwellen beim Publikum, in Zukunft wieder eng gedrängt zu Tausenden in einem Stadion zu stehen und sitzen. Das alles erschwert eine Prognose, wie rasch sich der Sport erholen wird. „Ich halte es für möglich, dass sich manche Leute vom Fußball abgewendet haben", sagte etwa Fanforscher Jonas Gäbler dem RBB.

Ein erstes Warnsignal für die Klubs war die geringe Nachfrage nach Tickets an den ersten Spieltagen der neuen Saison. Teils schafften es Vereine nicht, 20 Prozent der ursprünglichen Stadionkapazität zu füllen. Gäbler erklärt: Fans fühlten sich in der Masse während der Pandemie nicht wohl, hätten ein Gespür dafür, „dass es einfach nicht das normale Stadionerlebnis ist". Umso sehnlicher erwarten die Klubs die Rückkehr zum Gewohnten. Doch auch sie wissen nicht, ob der Fußball nach Corona – wann auch immer das sein wird – dann noch den gleichen Status besitzt wie zuvor.