NRW hat zu wenig Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Egal, ob sie drogenabhängig sind, gewalttätig, psychisch krank, eine Gefahr für sich selbst oder gar andere. Es ist ein Problem, das die Landesregierung als „dauerhaft und flächendeckend“ bezeichnet. Und gegen das in sieben Jahren voller Krisen, Unsicherheiten und damit stetig steigenden Bedarfs nichts getan wurde. Stattdessen schieben sich Land und Kommunen gegenseitig den schwarzen Peter zu, wer überhaupt zuständig ist.
Diese Autorin erhält seit zwei Jahren immer tiefer reichende Einblicke in dieses System. Denn sie begleitet eine Mutter, die dabei zuschauen muss, wie ihre Tochter „Sarah“ sich selbst systematisch zerstört. Mit Drogen, mit Prostitution und mit einer unbehandelten HIV-Erkrankung.
Es macht betroffen und wütend, dass selbst in einer Großstadt mit einem gut ausgebauten Jugendhilfesystem niemand in der Lage ist, den Niedergang eines so jungen Menschen zu verhindern.
Kampf um Plätze in Einrichtungen ist knallhart
Fehlende Kapazitäten sind sicherlich eine Facette des Problems. Denn der Kampf um die Plätze, die es gibt, ist knallhart. Die wenigen Einrichtungen, die sie haben, suchen sich sehr genau aus, wen sie aufnehmen. Hochkomplizierte Fälle wie „Sarah“ will niemand haben. Auch die gewalttätige 13-Jährige, die im Sommer in einer Paderborner Klinik auf ihre Betreuerin einstach, war vorher von 50 Einrichtungen abgelehnt worden.
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Die besten Chancen haben jene, die mitmachen und kooperieren. Denn das wird immer verlangt – egal wie jung, unzurechnungsfähig, psychisch krank, kaputt oder drogenverwirrt jemand ist. Mitarbeiter von Jugendhilfeeinrichtungen berichten zudem davon, dass Jugendämter die Biografien von Problemfällen schönen, um sie endlich zu vermitteln und los zu sein.
Das führt dazu, dass auch im System Jugendhilfe irgendwann alle wegschauen. Resignieren. Und schließlich aufgeben. Taucht dann noch die 18 und damit die Volljährigkeit am Horizont auf, ist die Chance auf Rettung gleich null.
Nicht die Kinder und Jugendlichen sprengen das System
Natürlich können wir in dieser Gesellschaft nicht jeden retten. Erfahrene Suchttherapeuten betonen in Gespräch immer wieder, dass das Grundrecht eines jeden Menschen auf Freiheit eben auch die Freiheit beinhalte, sich selbst zu schädigen.
Es kann und darf aber nicht sein, dass dieser Grundsatz aufgrund von Untätigkeit und Sparzwang auch schon bei Kindern und Jugendlichen gelten muss. Was ist das für ein Armutszeugnis, wenn wir nicht mal die vor sich selbst schützen, die noch nicht erwachsen sind und es in vielen Fällen nicht besser wissen können? Völlig falsch gewählt ist dann in jedem Fall der Fachbegriff für herausfordernde Kinder und Jugendliche. Denn nicht sie sprengen das System. Das System sprengt sie.