Schulministerin Feller: „Eltern haben eine riesige Erwartungshaltung an Schule“

Frau Ministerin Feller, das Schulsystem steckt in der Krise. Was sind die größten Probleme in NRW? Dorothee Feller: Es gibt viele Herausforderungen, die ohne Frage angepackt werden müssen. Einzelne Aspekte hervorzuheben, fällt mir jedoch schwer, denn zu vielen Themen wurde über Jahre hinweg zu wenig Beachtung geschenkt. Das betrifft – um nur ein Beispiel zu nennen – die Lehrerfortbildung, die dringend neue Impulse braucht. Wir müssen das Schulsystem als Ganzes wieder zukunftsfest aufstellen. Das ist ein umfassender Prozess, der in einem so großen Land wie Nordrhein-Westfalen Zeit braucht. Trotzdem fallen Probleme im Alltag ja besonders auf. Der Lehrermangel zum Beispiel ... Natürlich ist die Gewinnung von mehr Personal eine unserer wichtigsten Aufgaben. Gleichzeitig liegt für mich ein ebenso großer Schwerpunkt auf den Basiskompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler. Wenn man sich die Leistungsstudien anschaut, wird klar, dass in NRW zu viele Kinder schon seit über einem Jahrzehnt die Mindeststandards in Lesen, Schreiben, Rechnen und auch im sozial-emotionalen Bereich nicht erreichen. Das hat Folgen – auch für das gesellschaftliche Miteinander. Wenn Schüler nicht ausreichend sprachlich oder emotional gestärkt sind, spiegelt sich das in ihrem Verhalten wider. Wir sehen doch, dass unsere Kinder unruhiger werden, die Aggressivität in der Gesellschaft zunimmt. Da sind schon unsere Kinder nicht gut aufgestellt. Da müssen wir ran. Was ist mit dem dreigliedrigen Schulsystem? Ich denke, diese Debatte können wir zu gegebener Zeit führen – aber nicht jetzt. Im Moment stehen ganz konkrete Herausforderungen im Vordergrund, die unsere volle Aufmerksamkeit brauchen. Trotzdem entsteht der Eindruck, dass Kinder nicht mehr die Bildung bekommen, die sie verdienen. Ich finde, solche Formulierungen greifen zu kurz und man stößt damit viele Lehrkräfte vor den Kopf. Das eine ist ja das System, das andere sind die Menschen, die Tag für Tag darin arbeiten. Wir haben viele hochengagierte Lehrkräfte und andere Fachkräfte, die heute in unseren Schulen arbeiten. Sie sind ein echter Gewinn für unsere Schulen. Aber viele dieser Menschen sind auch frustriert . . . Ich besuche ganz bewusst viele Schulen und versuche dabei, so gut es geht, in den Schulalltag einzutauchen. Und dabei spüre ich auch Frust – oft entsteht er, weil Menschen das Gefühl haben, dass ihre Leistung nicht gesehen wird oder keine Früchte trägt. Genau an diesem Punkt setzen wir an. Aber auch hier gilt: Veränderungen brauchen Zeit. Ich habe aber auch sehr viele ermutigende und erfreuliche Begegnungen mit Schulmitarbeitern, die mir sagen: Wir merken, das sich etwas bewegt, da ist eine Veränderung, es kommt etwas an, zum Beispiel bei der gezielten Unterstützung von Schulen in sozial benachteiligten Lagen. Aus den Schulen hier in OWL wird oft der Vorwurf laut, dass die Bezirksregierung als starrer Verwaltungsapparat weit entfernt ist vom Menschen und dass die Bürokratie schnelle Maßnahmen eher verhindert . . . Ich bin eine überzeugte Anhängerin der Bezirksregierungen. Ein großes Land wie NRW braucht eine Bündelungsbehörde, die in ihrer Region verwurzelt ist, als Mittlerin agiert und nah dran ist – auch an den Schulen. Entscheidend ist, das dies von den Behörden auch so gelebt wird. Wir führen mit allen Schulaufsichtsbehörden Gespräche, damit wir sie bei unseren Überlegungen gut mitnehmen und sie die Maßnahmen gut umsetzen. Kommen wir zum nächsten Problemthema: Social Media und Medienabhängigkeit. Sie haben mittlerweile ein Handyverbot in der Grundschule und Regeln für den Gebrauch in den weiterführenden Schulen empfohlen. Wird da noch mehr kommen? Ich bin der Meinung, dass die ständige Bilderflut und die permanente Erreichbarkeit Spuren hinterlassen – gerade bei jüngeren Menschen. Aber der richtige Umgang mit Medien ist nicht allein ein schulisches Thema. Was Schule leisten kann und leisten muss, ist, jungen Menschen Medienkompetenz zu vermitteln und klare Regeln aufzustellen für den Gebrauch digitaler Endgeräte im Schulalltag. Aber insgesamt geht das Thema weit darüber hinaus. Wir brauchen hier einen breit angelegten Ansatz. Sollten Social Media und digitale Medien ein eigenes Schulfach werden? Für die Zukunft will ich das nicht ausschließen – wer weiß, wie sich die Dinge entwickeln. Aber aktuell sehe ich keinen Bedarf. Medienkompetenz zu vermitteln, ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Fächern mitgedacht und mitgemacht werden muss. Außerdem haben wir ja auch noch das Fach Informatik. Gerade das Thema Soziale Medien erfordert auch viel Engagement und Erziehungsarbeit der Eltern. Immer mehr Lehrkräfte beklagen aber, dass Schule zunehmend die Aufgaben der Eltern übernehmen muss und dass Eltern nicht mehr mit Schule kooperieren. Das sehe ich genauso. Ich finde, diese Diskussion muss gesamtgesellschaftlich geführt werden. Vor allem aber müssen wir schauen, wie Schule da gegensteuern – und sich vor allem auch abgrenzen – kann. Ich bleibe dabei, dass Schule das Elternhaus nicht ersetzen kann. Es gibt mittlerweile, auch von Eltern, eine riesige Erwartungshaltung, was Schule alles leisten soll. Aber Schule kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Wenn wir das verlangen, überfordern wir unsere Schulen und die Menschen, die dort arbeiten und jeden Tag ihr Bestes geben. Wird Künstliche Intelligenz für Schule immer wichtiger oder eher eine Bedrohung? KI wird Schule tiefgreifend verändern, da machen wir uns nichts vor. Ich bleibe aber dabei, dass wir die grundlegenden Kompetenzen nicht aus der Hand geben dürfen. Lesen, Schreiben, Rechnen – das müssen wir weiter vermitteln. Aber natürlich gehört das Thema auch in unsere Schulen. Wir müssen unsere Schüler fit machen für eine Welt, in der KI zum Alltag gehört. Außerdem wird KI das Lernen selbst verändern. Irgendwann werden wir ganz grundlegend über Hausaufgaben und unsere gesamte Prüfungskultur nachdenken müssen. Wird KI Lehrer entlasten? Davon bin ich überzeugt. Mit KI können wir Unterrichtsmaterialien ganz anders aufarbeiten. Auch Schulleitungen können KI sinnvoll für Verwaltungsaufgaben nutzen. Wir werden in NRW ab dem kommenden Schuljahr eine Qualifizierungsoffensive starten und unseren Lehrkräften ein konkretes Angebot machen, sich fortzubilden. Was ist mit der Korrektur von Klassenarbeiten? Am Ende muss die Bewertung einer Klassenarbeit selbstverständlich von der Lehrkraft kommen. Aber eine Vorkorrektur bei bestimmten Konstellationen oder Fächern halte ich durchaus für denkbar. Stünden Sie für eine weitere Legislatur als Schulministerin zur Verfügung? Wenn ich schon einmal da bin und bleiben darf, bleibe ich gern – schließlich ist der Schulkompass ja auch auf das Jahr 2030 ausgerichtet. Ich bin jedoch sehr dankbar, dass wir in einer Demokratie leben, und da haben die Wählerinnen und Wähler das Wort. Und dann sehen wir weiter.

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