OWL-Crime – mit Podcast

Der Podcast zu den Schüssen am Bielefelder Landgericht: Ein Augenzeuge berichtet

„NW“-Redakteur Jens Reichenbach hat die Bluttat vor dem Bielefelder Landgericht live miterlebt. Von Anfang an hat er den Fall Nimani begleitet. Im Podcast „OstwestFälle“ berichtet er von seinen Erlebnissen.

Zwei der vier schwerverletzten Männer schwebten in Lebensgefahr. Manche von ihnen wiesen gleich mehrere Schussverletzungen auf. Der 63-jährige Vater von Hüseyin A. (34), des wegen Mordes an Besar Nimani angeklagten Bielefelders, musste notoperiert werden. | © Oliver Krato

Jule Prietzel
16.03.2025 | 16.03.2025, 08:14

Bielefeld. Angst breitet sich am Mittwoch, 26. Februar 2025 in den Straßen der Bielefelder Innenstadt aus. Nach Ende der Gerichtsverhandlung zur Ermordung des Ex-Boxers Besar Nimani fallen plötzlich Schüsse an der Kreuzstraße. Zwei Männer werden dabei lebensgefährlich verletzt. Einer von ihnen ist der Vater des Angeklagten. Der 63-Jährige muss notoperiert werden. „NW“-Redakteur Jens Reichenbach besuchte als Prozessbeobachter die Verhandlung im Landgericht, nur wenige Minuten später steht er draußen vor dem Gerichtsgebäude, und in seiner unmittelbaren Nähe fallen Schüsse.

Seit dem 9. März 2024 begleitet Reichenbach den Fall Nimani und kennt viele Details. An jenem Märzabend vergangenen Jahres fielen das erste Mal Schüsse in der Innenstadt. Der ehemalige Profiboxer Besar Nimani wurde in der Altstadt an der Obernstraße mehrfach von Kugeln getroffen. Er starb noch am Tatort. Nimani wollte damals einen Freund vom Friseur abholen, als die ersten von insgesamt 16 Schüssen fielen.

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Polizei-Großeinsatz nach Schüssen vorm Bielefelder Landgericht

„Dass da nicht mehr passiert ist, ist ein Wunder“, sagt Birgitt Gottwald. In der neuesten Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der „Neuen Westfälischen“, spricht die Podcast-Moderatorin mit „NW“-Redakteur Jens Reichenbach über diesen brandaktuellen Fall, über seine eigene Wahrnehmung und über den aktuellen Recherche- und Ermittlungsstand.

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Bielefelder Mordermittler gehen von zwei Pistolenschützen aus

Zwei Männer sollen an der Hinrichtung im März 2024 beteiligt sein. Einer von ihnen, der tatverdächtige Hüseyin A., sitzt am 26. Februar 2025 im Landgericht auf der Anklagebank. Es ist der vierte Tag der Verhandlungen, die sich mit der Ermordung des Bielefelders Besar Nimani befasst.

„Die Verhandlung verlief fast zäh“, sagt Reichenbach, der selbst die Verhandlung im Landgericht verfolgte. Der Bruder des Getöteten, Berat Nimani, habe während der Verhandlung mehrfach den Saal verlassen, weil er eine Pause brauchte. „Er hat deutlich gemacht, dass ihn der Prozess sehr anstrengt“, sagt Reichenbach.

Ein Zwischenstand zu den Schüssen in der Innenstadt – die Fakten im Überblick:

  • „NW“-Redakteur Jens Reichenbach ist ganz in der Nähe, als unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung zur Ermordung des Ex-Boxers Besar Nimani die Schüsse fallen.
  • Die ersten Schüsse treffen den Vater des Angeklagten Hüseyin A., der lebensgefährlich verletzt wird. Auch ein Freund (23) der Familie bricht lebensgefährlich verletzt zusammen. Ein zweiter Freund (25) der Familie erleidet einen Schulterschuss.
  • Zwei Videos von der Tat tauchen wenig später im Internet auf. Eines zeigt, wie ein Mann mit einer Pistole in der Hand einen Mann verfolgt. Verfolgt wird mutmaßlich der 25-jährige Bruder des Angeklagten. Es ist unklar, ob er versucht hat, zu schießen. Am Anfang des Videos hört es sich so an, als würde die Pistole drei Mal klicken.
  • Kurz nach der Tat stellen sich Berat Nimani und eine seiner Schwestern (33) der Polizei.
  • Beide befinden sich seitdem wegen Verdachts auf vierfach versuchten Mordes in Untersuchungshaft.

Der NW-Redakteur verlässt nach der mehr als vierstündigen Verhandlung das Gericht. Er geht zu seinem Auto und fährt von der Detmolder Straße in Richtung Kreuzstraße. Plötzlich sieht er, wie Polizisten aus dem Gerichtsgebäude eilen und über die Kreuzung rennen.

Der Tatort: Auf diesem Gehweg an der Kreuzstraße fielen die Schüsse auf die Angehörigen von Hüseyin A. - © Christian Mathiesen
Der Tatort: Auf diesem Gehweg an der Kreuzstraße fielen die Schüsse auf die Angehörigen von Hüseyin A. | © Christian Mathiesen

News und Hintergründe: Alle Berichte über den Bielefelder Fall Besar Nimani

Dann sieht er einen Transporter und einen am Boden liegenden Mann. „Ich dachte als Erstes an einen Verkehrsunfall“, sagt Reichenbach. Er parkt in der Siekerstraße und steigt aus, um sich als Journalist ein Bild von der Situation zu machen.

Plötzlich fallen fünf Schüsse

Doch dann fallen plötzlich fünf Schüsse. Erst in dem Moment wird ihm klar, dass die Männer am Boden zuvor niedergeschossen wurden. Es müssen also vorher schon mehrere Schüsse gefallen sein. Einer der Verletzten, der auf dem Gehweg zusammenbricht, ist der Vater des wegen Mordes an Besar Nimani angeklagten Bielefelders Hüseyin A. Die Ärzte kämpfen später stundenlang im OP-Saal um das Leben des 63-Jährigen. Sie können seinen Zustand stabilisieren.

Als es wenig später das zweite Mal knallt, stürzt der Bruder (25) von Hüseyin A. in das Blickfeld von Jens Reichenbach, der völlig unvermutet mitten im Geschehen steht. Der 25-Jährige steht wieder auf, humpelt, sein Knie ist verletzt. Eine Schusswunde, wie sich später herausstellt. Doch anstatt zu rufen „Hilfe, ich wurde angeschossen“, ruft er den Polizisten zu: „Wie geht es meinem Vater?“ Aus Sorge um seinen Vater hatte er sich zurück zum Tatort begeben. Die Beamten reagieren sofort und beruhigen ihn: Sie rufen, dass der Vater ansprechbar sei und dass er in Deckung bleiben solle. Er sucht hinter einem geparkten Auto Schutz.

Nach Ende der Gerichtsverhandlung zum Fall Besar Nimani fallen an der Kreuzstraße Schüsse. Die Polizei sperrt die Kreuzung vor dem Landgericht für den restlichen Tag komplett ab. - © Jörg Dieckmann
Nach Ende der Gerichtsverhandlung zum Fall Besar Nimani fallen an der Kreuzstraße Schüsse. Die Polizei sperrt die Kreuzung vor dem Landgericht für den restlichen Tag komplett ab. | © Jörg Dieckmann

In diesem Moment steht auch Jens Reichenbach an der Wand eines Hauses und drückt sich in eine Nische an der Wand. Die Polizisten weisen ihn an, dort in Sicherheit zu bleiben. Kurz danach wird das ganze Areal abgesperrt. Denn einer der Täter wird noch in einem Haus an der Siekerstraße vermutet.

„Für viele besteht die Angst vor einem Amoklauf“

„Als ich den Bruder des Angeklagten erkannt habe, war mir klar, worum es hier geht“, sagt Reichenbach. Er spricht von einer möglichen Vergeltungstat als Antwort auf die Ermordung von Besar Nimani. Doch noch wissen das nicht alle in der Stadt: „Das hat sich alles mitten in der Innenstadt abgespielt. Wenn da plötzlich Schüsse fallen, besteht für viele sicherlich die Angst vor einem Amoklauf.“ Doch diese Schüsse galten ganz offensichtlich ausschließlich den Angehörigen des wegen Mordes angeklagten Hüseyin A. Trotzdem zeigen die Spuren später, dass die Kugeln hier jederzeit auch Unbeteiligte hätten treffen können.

Der Vater des Angeklagten und der ebenfalls schwerverletzte Freund (23) der Familie überleben. Die Polizeibeamtinnen und -beamten sowie ein Hausarzt, der zufällig in der Nähe ist, leisten sofort wichtige Erste Hilfe.

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Zwei Tatvideos tauchen als Beweismittel auf

Nach der Bluttat tauchen in den sozialen Netzwerken und Messengerdiensten zwei Videos auf. Eins zeigt ein schwarzes Auto, das langsam an dem bereits verletzten, humpelnden Bruder vorbeifährt. Jemand auf dem Beifahrersitz schießt offenbar fünf Mal, trifft den 25-Jährigen jedoch nicht.

Auf dem zweiten Video ist zu sehen, wie ein Mann eine Pistole in der Hand hält und hinter dem Bruder von Hüseyin A. herläuft, ihn vor sich hertreibt. In dem Video sind mehrere „Klick“-Geräusche zu hören. Es ist noch unklar, ob es sich dabei um eine Ladehemmung der Waffe gehandelt haben könnte. Sollte das der Fall sein, dann lebt der 25-Jährige möglicherweise nur noch, weil die Waffe des Täters versagt hat.

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Ob es sich bei dem Mann mit der Pistole tatsächlich um Berat Nimani handelt, ist aktuell noch Teil der Ermittlungen der „Mordkommission Kreuz“. Der Bruder des erschossenen Ex-Boxers hatte sich nur einen Tag nach der Tat der Polizei gestellt, einen Tag später erscheint auch eine seiner Schwestern (33) bei der Kripo. Nach ihr war nach der Tat ebenfalls gefahndet worden. Dass sie sich gestellt haben, bedeutet noch nicht, dass die Geschwister die Tat auch gestanden haben. Sie schweigen bisher zu den Vorwürfen der Ermittlungsbehörden. Beide befinden sich derzeit als Tatverdächtige wegen vierfach versuchten Mordes in Untersuchungshaft.