Pfefferspray und Papierberge: Warum die Gerichtsvollzieher in NRW so sauer sind

Düsseldorf. Mal wieder Ärger bei der Arbeit? Für Frank Neuhaus ist das normal. Der 55-Jährige ist Gerichtsvollzieher. Sein Job ist es, Schulden einzutreiben – bei Bürgern, Unternehmen oder auch Clan-Chefs. Er wird beschimpft, bedroht, manchmal auch tätlich angegriffen. Daran hat er sich gewöhnt. Was ihn aktuell so richtig verärgert, ist etwas anderes: eine Vorgabe des Landes. Als Vorsitzender des Gerichtsvollzieherbundes Nordrhein-Westfalen ist Neuhaus in seiner Branche gut vernetzt. Er weiß um die Sorgen und Nöte seiner rund 1.000 Kolleginnen und Kollegen in NRW. Wie gefährlich ihre Tätigkeit mitunter sein kann, zeigt die Tatsache, dass die Beamten inzwischen mit Schutzwesten und nun auch mit Pfefferspray ausgerüstet werden. Doch man mag es kaum glauben: Was die Gerichtsvollzieher derzeit besonders umtreibt, ist vor allem eine Vorgabe des Landes, weiterhin &bdquo;Papierakten“ zu führen. Justizministerium in NRW weist auf zusätzliche Vergütung hin &bdquo;Wir könnten technisch längst den elektronischen Rechtsverkehr nutzen, doch eine justizinterne Vorschrift sieht vor, dass wir jedes Auftragsformular weiterhin ausdrucken müssen“, sagt Neuhaus im Gespräch. Das läppere sich. Pro Gerichtsvollzieher führe das zu monatlichen Bürokosten von bis zu 500 Euro – für Papier, Toner und weiteres Zubehör. &bdquo;Wir sind Förderer der Papierindustrie, obwohl wir eigentlich eine hochleistungsfähige Abteilung sind. Das kann nicht richtig sein.“ Im Jahr entstehen somit Kosten von bis zu 6.000 Euro. Hochgerechnet auf die rund 1.000 Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher im Land sind das 6 Millionen Euro. Heikel ist das für die Beamten deshalb, weil sie diese Kosten selber tragen müssen, wie Neuhaus sagt. &bdquo;Wir finanzieren unsere eigenen Büros – da fallen Kosten für Angestellte, Miete, Ausstattung und die Verbrauchsmaterialien an.“ Lesen Sie auch: &bdquo;Schlagen dir den Schädel ein“: Drei Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst berichten Das NRW-Justizministerium weist auf Anfrage darauf hin, dass die Gerichtsvollzieher zusätzlich zu ihrer Beamtenbesoldung eine &bdquo;besondere Vergütung“ erhalten, deren Höhe sich an den vereinnahmten Gebühren und Dokumentenpauschalen orientiert. Aus dieser Vergütung erwirtschafteten die Gerichtsvollzieher die Kosten für die Einrichtung und den Betrieb des Büros. &bdquo;Überschießende Beträge verbleiben ihnen als Leistungsanreiz. Die Auskömmlichkeit dieser Vergütung wird regelmäßig evaluiert.“ Neuhaus: Limbach bedient sich am Privatvermögen der Gerichtsvollzieher Das kommt einer Art Provision gleich. &bdquo;Wenn ich 1.000 Euro einnehme, kann ich rund 50 bis 70 Prozent behalten, muss das aber natürlich versteuern“, sagt Neuhaus. &bdquo;Es kann aber dennoch nicht sein, dass wir längst überholte Regelungen wie Papierakten mit unserem Privatvermögen bezahlen müssen.“ Das Thema habe er mehrfach bei der NRW-Landesregierung adressiert und Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) bei dessen Amtsbeginn im Sommer 2022 vorgetragen, sagt Neuhaus. &bdquo;Bis heute ist nichts passiert. Da sind wir wirklich sehr enttäuscht.“ Bei den anderen Fraktionen im Landtag ernte man Verständnis. &bdquo;Die sagen selber, dass die Regelung ein Witz ist.“ Auch Experten in einer Sachverständigenanhörung im Landtag und ein Oberlandesgericht hätten gefordert, dass die Justiz die Kosten übernehme, so Neuhaus. Lesen Sie auch: Öffentlicher Dienst: Beamtenbund fordert Führerschein-Entzug bei Angriffen auf Mitarbeiter Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Werner Pfeil, meint, dass die Gerichtsvollzieher bei der Digitalisierung ihrer Prozesse von Justizminister Limbach in der Vergangenheit einfach im Regen stehen gelassen wurden. &bdquo;Statt die harten Jobs der Gerichtsvollzieher endlich zu würdigen und die Digitalisierung der Justiz ordentlich zu managen, werden sie immer weiter belastet. Es ist völlig inakzeptabel, dass sie die Kosten für neue Aufgaben selbst tragen müssen, während ihre Vergütung stagniert.“ Die Landesregierung müsse umgehend handeln und die Vergütungsordnung anpassen. Das NRW-Justizministerium teilt auf Anfrage mit, dass die Gerichtsvollzieher in ihrem Bürobetrieb bereits &bdquo;umfassend moderne Informationstechnik“ und eigens für das Gerichtsvollzieherbüro angebotene Softwarelösungen nutzen. Auch seien sie bereits über das elektronische Behörden- und Organisationspostfach adressierbar. &bdquo;Viele Arbeitsschritte erfolgen daher bereits in digitalisierter Form“, sagt ein Sprecher. Ministerium betont, dass die Druckaufwände reduziert wurden Soweit derzeit die Akten der Gerichtsvollzieher noch in Papierform geführt würden, werde auch für den Gerichtsvollzieherdienst eine Umstellung auf eine führende elektronische Akte &bdquo;angestrebt“ – ebenso wie für die Verfahrensakten aller Gerichte und Staatsanwaltschaften. Man arbeite &bdquo;mit Hochdruck“ daran, hierfür die erforderlichen technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen so schnell wie möglich zu schaffen. Das betreffe unter anderem die sogenannte &bdquo;eAktenablage“, also ein von der Justizverwaltung betriebenes, zentrales Speichersystem, in dem die elektronischen Akten, Register, Verzeichnisse und Bücher automatisch in Kopie gespeichert werden sollen. Lesen Sie auch den Kommentar: Angriffe auf Beamte sollten härter bestraft werden In NRW sei den Gerichtsvollziehern durch landesspezifische Regelungen schon jetzt das Führen der Papierakte insoweit erleichtert, als nur noch bestimmte Aktenbestandteile und Dokumente für die Papierakte ausgedruckt werden müssten. &bdquo;Dadurch konnten die Druckaufwände für die Papierakte bereits reduziert werden.“ Neuhaus stellt diese Antwort nicht zufrieden. Die aktuellen Softwarelösungen würden ebenfalls von den Gerichtsvollziehern bezahlt – und die Entschädigung sei seit zehn Jahren nicht erhöht worden und deshalb nicht mehr auskömmlich. Und bis die elektronische Akte bei den Gerichtsvollziehern geführt werden könne, werde noch einige Zeit vergehen. &bdquo;Bis dahin müssen wir an verschiedenen Stellen entlastet werden.“ Minister Limbach wolle sich weiterhin &bdquo;einen schlanken Fuß machen“ und bediene sich weiterhin &bdquo;völlig hemmungslos“ am Privatvermögen der Gerichtsvollzieher, meint Neuhaus.

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