Bethel in Bielefeld hilft Menschen in psychischen Krisen mit mobiler Psychiatrie

Bielefeld. Wie jeden Tag fährt Iris Maurer, Fachkrankenpflegerin für Psychiatrie, durch Bielefeld, um ihre Patienten zu besuchen. Auf ihrer Liste stehen drei Namen: Andreas Meier, der in Folge eines Schlaganfalls an Ängsten und Panikattacken leidet. Sebastian Schneider, der sich aufgrund einer wahnhaften Störung isoliert. Und Maria Fischer, die eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt hat. Maurers Klienten benötigen zur Bewältigung ihrer Krisen eigentlich eine vollstationäre Behandlung in der Psychiatrie, doch in Bielefeld kommt die Psychiatrie auch zu den Patienten. Möglich macht diese besondere Form der Behandlung das Angebot der stationsäquivalenten Behandlung in der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Evangelischen Klinikum Bethel. &bdquo;Anbieten dürfen Kliniken die aufsuchende Behandlung im Lebensumfeld psychisch kranker Menschen bereits seit 2018, doch aufgrund der strengen Vorgaben der Krankenkassen und des Fachkräftemangels gibt es nur wenige Angebote dieser Art“, erklärt Oberärztin Almut Hübenthal. Bielefelder ist dankbar für tägliche Besuche zu Hause Die Patienten Meier, Schneider und Fischer zählen damit zu den wenigen psychisch kranken Menschen in Deutschland, die – obwohl sie eigentlich eine stationäre Behandlung benötigen – zu Hause versorgt werden und dadurch eine Alternative zu einem Klinikaufenthalt haben. Ihre richtigen Namen möchten sie nicht öffentlich machen, doch sie gewähren bei einem Besuch von Maurer auch der fremden Journalistin Zutritt zu ihren Wohnungen und damit auch zu ihrer Gefühlswelt. Psychotherapie in OWL: So erhalten Sie Hilfe, wenn Sie keinen Platz finden &bdquo;Ich bin dankbar für das Angebot, weil mir die täglichen Besuche und Gespräche guttun und dazu führen, dass ich meine Wohnung wieder verlasse und mehr Vertrauen zu Menschen aufbauen kann“, sagt Schneider. &bdquo;Ich wünschte, dass das Angebot nicht enden würde, damit ich mich nicht mehr so einsam fühle.“ Schneider kennt auch die Behandlung in der Klinik. &bdquo;Wenn ich die Wahl habe, wähle ich die Behandlung in meinen eigenen vier Wänden, weil ich dadurch in meinem gewohnten Umfeld bleiben kann und so viel mehr Privatsphäre habe als in der Klinik.“ 21 Plätze in Bielefeld für psychisch kranke Menschen in Krisen In Bielefeld gibt es 21 Plätze für psychisch kranke Menschen in Krisen, um die sich ein multiprofessionelles Team von 24 Ärzten, Psychologen, Pflegekräften, Therapeuten, Sozialarbeitern und Genesungsbegleitern kümmert. Im Durchschnitt dauert die Behandlung nach Angaben des pflegerischen Leiters Bernd Niermann etwa fünf Wochen, in denen die Klienten jeden Tag zu Hause besucht werden. Angeboten werden den Klienten im Zuge der Behandlung auch Gruppentherapien in der Klinik sowie Gespräche mit Angehörigen oder Arbeitgebern. &bdquo;Ziel unserer Arbeit ist, akut psychisch kranken Menschen zu helfen, die nicht in der Klinik behandelt werden können oder möchten“, erklärt Maurer. Zum einen gebe es Patienten, deren Erkrankungen eine vollstationäre Behandlung nicht zulasse. Zum anderen Patienten, die zu Hause Kinder versorgen oder Angehörige pflegen müssen. &bdquo;Bei unserer Behandlung geht es in vielen Fällen nicht um Heilung, sondern um die Bewältigung der akuten Erkrankung. Wir versuchen, unseren Klienten immer Methoden mitzugeben, die sie nutzen können, um auch in Zukunft stabil zu bleiben und ein glückliches Leben zu führen.“ Der Blick in die Wohnung verrät viel über Menschen Wie schnell es dabei zu Fortschritten kommen kann, zeigt Patient Meier bei einem Besuch von Maurer. Seit einem Schlaganfall im vergangenen Jahr ist der Bielefelder halbseitig gelähmt und leidet an Schwindel. Infolgedessen erlebt er Panikattacken, wenn er die Wohnung über das Treppenhaus verlassen möchte. &bdquo;Vor zwei Wochen konnte ich nicht mal die Türschwelle überwinden, und heute stehe ich im Treppenhaus und kann die Treppe hinunterblicken“, erklärt Meier. Für Maurer ein Beispiel dafür, wie wichtig die Behandlung in den eigenen vier Wänden ist. &bdquo;Die Angst besteht vor dem Treppenhaus zu Hause, da hilft es nicht, wenn wir in der Klinik trainieren.“ Zudem lerne sie ihre Klienten in ihrem Zuhause besser kennen. &bdquo;Ich bin alleine mit dem Klienten und kann eine enge Beziehung zu ihm aufbauen. Außerdem weiß ich schon durch den Zugang zur Wohnung mehr über Klienten, als sie mir in der Klinik erzählen können.“ Das ermögliche dem Team Patienten anders kennenzulernen als in der Klinik, sagt die Psychologische Psychotherapeutin Sophia Mattheus. &bdquo;Wir sind näher am Alltag der Menschen, und das eröffnet uns oft bessere Behandlungsmöglichkeiten.“ Zudem herrschen nach Angaben von Ergotherapeutin Kerstin Ziehn andere Machtverhältnisse, wenn die Behandler zu ihren Klienten kommen und nicht umgekehrt. &bdquo;Die Klienten entscheiden, ob und wann sie uns hereinbitten, ob wir die Schuhe ausziehen sollen und wo wir uns hinsetzen sollen. Wir lassen uns auf die Klienten ein.“ So lernt das Team sehr unterschiedliche Lebensmodelle kennen. &bdquo;Unsere Klienten geben uns einen großen Vertrauensvorschuss, und damit müssen wir vorsichtig umgehen“, sagt Mattheus. Mobile Psychiatrie schließt Versorgungslücke Am wichtigsten ist dem Team, dass es Menschen erreicht, für die es bisher keine passenden Hilfsangebote gab. Das gilt auch für Patientin Fischer, die sich eine vollstationäre Behandlung in der Klinik nicht vorstellen kann. In einer Krise nach Jobverlust und dem Tod ihrer Hunde sucht sie Hilfe beim Team der stationsäquivalenten Behandlung, weil sie von der Trauer infolge der psychischen Erkrankungen überwältigt wird. Fischer leidet an den Folgen von Traumata. &bdquo;Stress erschwert ihren Kampf gegen die destruktiven Teile in ihr, weshalb das Ziel der Behandlung nicht nur die Reduzierung von Stress ist, sondern auch das Erarbeiten von Methoden, die den Umgang mit Stress verbessern“, erklärt Maurer. &bdquo;Ich übe mich dafür in Geduld und Ruhe, aber das ist schwer für mich und ich weiß, dass ich noch einen langen Weg vor mir habe“, sagt Fischer. Heiligabend mit Patienten am Familientisch Wer mit Maurer unterwegs ist, merkt schnell, wie vielseitig ihr Beruf ist. &bdquo;Vor einem Treffen gibt es Absprachen, aber wir erleben immer wieder Überraschungen.“ Dazu zählen auch unangenehme Begegnungen an Orten, die Maurer und ihre Kollegen sonst nicht aufsuchen würden. &bdquo;Das ist nicht immer angenehm, wenn es in der Wohnung schlecht riecht, die Klienten während der Treffen rauchen oder wir alarmierende Zustände mitbekommen. Doch es geht nicht um uns und unsere Lebensmodelle, sondern um unsere Klienten“, sagt Maurer. In den allermeisten Fällen erlebt das Team viel Wertschätzung. &bdquo;Wir sitzen auch mal Heiligabend mit am Familientisch“, sagt Maurer. &bdquo;Die Patientenzufriedenheit ist hoch, weil Patienten und Angehörige die Behandlung zu Hause als Bereicherung empfinden und weil wir in vielen Fällen den Anker für eine medizinische Versorgung setzen können“, erklärt Hübenthal.

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