Kümmert sich die SPD zu wenig um die arbeitende Mitte, Frau Philipp?

Frau Philipp, die SPD streitet für das Bürgergeld, für Alleinerziehende und Menschen, die sich am Existenzminimum bewegen. Wo bleibt Ihr Angebot für die Mitte der Gesellschaft? Sarah Philipp: Es geht nicht um ein Entweder-oder. Wir haben die Mitte der Gesellschaft und vor allem berufstätige Familien fest im Blick. Denn es braucht eine funktionierende breite Mitte, damit wir uns um die kümmern können, die auf Solidarität angewiesen sind. Das eine kann nur durch das andere funktionieren. Starke Schultern können und sollen mehr tragen als schwache – aus diesem Grund bin ich in die SPD eingetreten. Können Sie das konkreter machen? Lassen Sie uns auf den Miet- und Wohnungsmarkt blicken. Unsere Aufgabe als SPD ist es, dafür zu sorgen, dass die Krankenpflegerin und der Polizist in boomenden Innenstadtlagen wieder eine bezahlbare Wohnung finden. Das ist derzeit oft nicht mehr der Fall. Aber natürlich kümmern wir uns auch um die alleinerziehende Mutter, die es mitunter noch schwieriger hat. Aber Sie können doch nicht jedem ein gleichwertiges Angebot machen. Wenn wir beim aktuellen Beispiel bleiben: Wenn die Wohnung an die Krankenpflegerin und den Polizisten vergeben wird, bleibt die Alleinerziehende vor der Tür. Wie wollen Sie das auflösen? Wir machen Politik für diejenigen, die den Laden jeden Tag am Laufen halten. Das sind vor allem berufstätige Familien – und dazu zählt auch die Alleinerziehende, um in dem Beispiel zu bleiben. Diese Familien spüren aktuell massive Einschnitte in ihrem Alltag, weil Kitas schließen, Unterricht ausfällt, weil die Bahn streikt, Brücken gesperrt sind – und es keine Heimplätze zur Pflege der Eltern oder Großeltern gibt. Um diese Menschen kümmern wir uns, weil die Landesregierung diese Menschen vernachlässigt. Wenn sie wieder in die Lage versetzt werden, ihr Leben selbstbestimmt zu meistern, dann haben wir auch die Kraft und die Mittel, um den Sozialstaat zu sichern. Interview: Landes-SPD: &bdquo;Wir bieten Wüst einen NRW-Pakt an“ Bloß wie? Dafür müssen wir als SPD wieder viel stärker und selbstbewusster die Verteilungsfrage stellen. Der Staat braucht mehr und neue Mittel, um den unzähligen Krisen begegnen zu können, das Land zu modernisieren und dafür zu sorgen, dass unsere Infrastruktur und der Alltag in Kita, Schule und im Gesundheitssystem funktionieren. Ich scheue mich nicht davor, diese Diskussion nächstes Jahr im Wahlkampf mit Christian Lindner und Friedrich Merz zu führen. Ihre Partei ist bei diesem Thema aber derzeit eher in der Verteidigungshaltung. Das Bürgergeld fliegt Ihnen in der öffentlichen Diskussion um die Ohren ... Wir müssen als SPD gar nicht so defensiv über das Bürgergeld sprechen. Der öffentliche Diskurs konzentriert sich viel zu sehr auf die Höhe der Leistung und auf den sehr kleinen Teil von Menschen, die es missbrauchen. Dabei geht es beim Bürgergeld um viel mehr. Es ist für diejenigen da, die trotz Arbeit nicht genug verdienen und aufstocken müssen. Und es sorgt dafür, dass durch Fort- und Weiterbildung Arbeitslose zu neuen Fachkräften werden. Es ist ein Erfolg unserer Partei und der Ampel, dass es diese Hilfe überhaupt gibt. Die SPD verharrt in NRW bei mickrigen Umfragewerten von unter 20 Prozent – Sie sind halb so stark wie die CDU. Mit welchen Themen können Sie denn aktuell überhaupt noch punkten? Uns geht es um funktionierende Kitas und Schulen, um gute Pflege, gerechte Löhne und bezahlbares Wohnen. Gerade letztgenanntes ist ein superwichtiges Thema. Wir erleben einen Wohnungsmarkt, der aus den Fugen geraten ist. Die Bauministerin versucht seit nun sieben Jahren, die offenen Wunden mit Pflastern zu kaschieren. Die große Antwort liefert sie aber nicht, stattdessen verharrt sie im Klein-Klein, während die Wohnungsnot immer größer wird. Als SPD wollen wir, dass das Land wieder selber baut – so wie in Niedersachsen, wo die Landesregierung eine eigene Wohnungsbaugesellschaft gegründet hat, um in einem ersten Schritt bis 2040 20.000 neue Wohnungen zu bauen. Hier wagt man den großen Wurf, um den Motor wieder ans Laufen zu bringen. Ein ähnliches Modell wollen wir für NRW auf den Weg bringen. Mit diesem konkreten Thema werden wir bei den Menschen punkten. Interview: Bauministerin: &bdquo;Die Wohnungswirtschaft ist in einem Schraubstock gefangen“ Die Landesregierung hat aber beispielsweise die Mittel für den sozialen Wohnungsbau kürzlich trotz klammer Kassen um eine Milliarde Euro aufgestockt – eigentlich ein klassisches SPD-Thema ... Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass auch diese nun 2,7 Milliarden Euro nicht reichen werden. Außerdem kam dieser Schritt der Regierung zu spät. Lesen Sie auch: Mit diesem Team will die NRW-SPD zu alter Stärke finden Sie führen die SPD in NRW gemeinsam mit Achim Post nun seit einem Jahr. Ein &bdquo;Kamala Harris-Effekt“ ist aber überhaupt nicht zu erkennen. Wie wollen Sie den größten Landesverband wieder in Schwung bringen? Die SPD ist geschlossen, weiß, wo sie steht und für wen sie Politik macht. Das haben wir im letzten Jahr gemeinsam erarbeitet. Dafür waren wir viel im Land unterwegs und haben viel aus der Fläche nach Düsseldorf und Berlin getragen. Wir konzentrieren uns jetzt vor allem auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr. Bis zur nächsten Landtagswahl in NRW sind es noch drei Jahre. Bis dahin wird noch viel passieren. Wäre eine Groko in NRW, also eine Koalition aus CDU und SPD denkbar? Mit Koalitionsfragen beschäftige ich mich drei Jahre vor einer Wahl nicht. Mein Fokus liegt darauf, die SPD in NRW wieder in eine Führungsrolle zu bringen – und damit haben wir alle Hände voll zu tun. Kommentar: Zwei Jahre NRW-Regierung: Mehr Schein als Sein?

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