Persönlichkeiten aus NRW: Darum sind wir stolz auf das Grundgesetz

Die Bundesrepublik feiert den 75. Jahrestag der Verkündung des deutschen Grundgesetzes am 23. Mai 1949: Der Bundespräsident hat einen Staatsakt angeordnet, aus Frankreich kommt Präsident Emmanuel Macron zu Besuch, und alle Bürger und Bürgerinnen sind zu &bdquo;Demokratiefesten“ in Berlin und Bonn eingeladen. Lesen Sie auch unseren Kommentar: 75 Jahre Grundgesetz: Eine Verfassung der Würde Im Alltag aber ist den wenigsten Menschen die Bedeutung des Grundgesetzes bewusst. Deshalb haben wir Persönlichkeiten aus NRW gefragt, welchen Wert sie in einzelnen Artikeln sehen. Hier sind ihre Antworten: Mona Neubaur, stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Artikel 1: &bdquo;Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“ &bdquo;Die Würde des Menschen ist unantastbar - ließe sich ein besserer Satz wählen, um ihn unserem Grundgesetz voranzustellen? Ich finde: Nein! Es sind nur sechs simple Worte und doch steckt in ihnen all das, was Demokratie, was unsere Zivilisation im Kern ausmacht. Formuliert als direkte Lehre aus der nationalsozialistischen Barbarei, bringt es auf den Punkt, was uns jetzt und in Zukunft leiten muss: Nie wieder darf Entmenschlichung zum politischen Programm werden. Verteidigen wir also unser Grundgesetz gegen seine Feinde, damit es die Freiheit aller weiter schützen kann.“ Hale Hariri, arbeitet ehrenamtlich im Frauenhaus Artikel 2: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. &bdquo;Als ich vor 30 Jahren mit meiner Familie aus Afghanistan nach Deutschland geflohen bin, war es vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das ich auch schon als kleines Mädchen sofort wahrnahm im Alltag hier. In Afghanistan waren Schläge und Gewalt in der Schule an der Tagesordnung, hier traf ich Lehrer, die mich mit Respekt behandelten und niemals die Hand erhoben. Ich begann, mich auf die Schule zu freuen. Als ich älter wurde, begriff ich natürlich auch mehr, was es mit der seelischen Unversehrtheit und der Entfaltung der Persönlichkeit auf sich hatte. Lange Jahre haben meine Familie und ich uns hier in Deutschland sicher und willkommen gefühlt. Es ist unsere Heimat. Lesen Sie auch: Frieda Nadig – Die Herforderin, die das Grundgesetz entscheidend beeinflusste Seit ein paar Jahren ist das anders. Die Stimmung hier kippt, sie wird feindlich, aggressiv gegenüber Menschen, die als fremd oder ausländisch angesehen werden. Immer mehr gibt es diese gelebten Werte, die mich nach meiner Kindheit in Afghanistan so beeindruckt haben, nur noch auf dem Papier. Ich weiß, wie es ist, im Krieg zu sein. Ich sehe täglich an meiner Familie in Afghanistan, wie unwürdig ein Leben ohne diese Rechte und Werte ist. Und auch wir in Deutschland müssen uns darauf besinnen, sie zu leben und für sie zu kämpfen – gerade in dieser Zeit.“ Josefine Paul, NRW-Gleichstellungs- und Familienministerin Artikel 3: &bdquo;Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ &bdquo;Für den Artikel 3 des Grundgesetzes – die rechtliche Gleichheit der Geschlechter – haben vor 75 Jahren die vier weiblichen Mitglieder des Parlamentarischen Rates hart gekämpft: Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel trugen entscheidend dazu bei, dass wir heute mehr Gleichberechtigung in vielen Belangen unseres Lebens sehen. Aber es bleibt weiter viel zu tun. Wichtiger denn je ist heute der Aufruf zu mehr Einsatz gegen Diskriminierung in unserer Gesellschaft. Niemand darf aufgrund des Geschlechts, der Religion, Herkunft oder einer Beeinträchtigung ausgegrenzt oder benachteiligt werden. Gleichzeitig ist es auch an der Zeit, den Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz um LSBTIQ*-Menschen zu ergänzen, um auch sie vor Diskriminierung zu schützen.“ Irith Michelsohn, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld Artikel 4: &bdquo;Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (...)“ &bdquo;75 Jahre Grundgesetz sind 75 Jahre, die wir in einem demokratisch geführten Land leben dürfen. Dafür sollten wir dankbar sein! Die Freiheit und die ungestörte Religionsausübung unserer jüdischen Religion ist in Artikel 4 des Grundgesetzes fest verankert und darauf wollen wir nicht verzichten und auch nicht von einzelnen Personengruppen eingeschränkt werden. Lesen Sie auch: Löhnes Vermächtnis für die Bundesrepublik: Wie Adolf Blomeyer das Grundgesetz prägte Daher müssen die Anstrengungen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verstärkt werden, damit jede Bürgerin und jeder Bürger sich frei fühlen und unbeschwert leben darf. Unser Ziel sollte es sein, ohne Polizeipräsenz vor den Synagogen zu leben.“ Dorothee Feller, NRW-Schulministerin Artikel 7: &bdquo;Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. (...)“ &bdquo;Viele Menschen beneiden uns um unser Grundgesetz, das vor 75 Jahren in Nordrhein-Westfalen das Licht der Welt erblickt hat. Seit einem Dreivierteljahrhundert sichert es neben Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand auch eine gute Schulbildung für junge Menschen in Deutschland. Artikel 7 stellt unsere Schulen unter den besonderen Schutz des Staates. Im Gegenzug haben unsere Schulen den Auftrag, Kinder und Jugendliche zu Demokratinnen und Demokraten zu erziehen. 75 Jahre nach seinem Inkrafttreten sind politische Bildung und Demokratieförderung wichtiger denn je zuvor, um unser Grundgesetz vor Angriffen zu schützen.“ Jörn Wahl-Schwentker, Präsident der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld Artikel 12: &bdquo;Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (...)“ &bdquo;Das Recht auf freie Berufswahl ist ein Eckpfeiler individueller Selbstbestimmung und wirtschaftlicher Freiheit, und somit von entscheidender Bedeutung für eine dynamische Wirtschaft und eine offene Gesellschaft insgesamt. Ich schätze dieses Recht sehr, da es Chancengleichheit und persönliche Entfaltung fördert. Jede und jeder kann seine individuellen Kompetenzen einbringen. Das Recht auf freie Berufswahl ist besonders schützenswert, da es die Basis für eine vielfältige Wirtschaftslandschaft bildet, die wesentlich für das Wohl und den Fortschritt einer Gesellschaft ist.“ Sarah Bohnke, Geschäftsführerin des Mieterbundes OWL Artikel 13: &bdquo;Die Wohnung ist unverletzlich.“ &bdquo;Der Artikel 13 des Grundgesetzes ist ein wichtiger Pfeiler unserer demokratischen Grundordnung, denn er schützt unsere Bevölkerung vor dem rechtswidrigen Eindringen staatlicher Behörden in unsere privaten Wohnräume. Ein geschütztes Zuhause bietet Menschen einen Rückzugsort und schafft die Basis, um erholt und gestärkt ihr Leben zu bewältigen und in unserer Gesellschaft bestehen zu können. Die älteren Mitbürger/innen unter uns mussten noch mit der ständigen Angst groß werden, polizeiliche Behörden könnten jederzeit vor der Tür stehen, willkürliche Kontrollen nach selbstgeschaffenen Maßstäben durchführen oder gar unbescholtene Personen mitnehmen. Gerade aus diesem Grund müssen wir unsere Demokratie mit Argumenten verteidigen, mit ihren Vorzügen werben und diejenigen zurück ins Boot holen, die sich in schwierigen Zeiten erneut Stimmen zuwenden, die marktschreierisch einfache Lösungen in einer komplexen Welt versprechen.“ Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW Artikel 16a: &bdquo;Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (...)“ &bdquo;Die Aufnahme des Asylgrundrechts in das Grundgesetz stellte eine wichtige Errungenschaft, insbesondere nach den Erfahrungen mit zwei Weltkriegen und dem Nationalsozialismus, dar. Es misst dem Schutz verfolgter Menschen eine grundlegende Bedeutung zu. Offenbar geschichtsvergessen wurde das Grundrecht 1993 weitgehend ausgehöhlt, aktuell steht sogar dessen Abschaffung zur Diskussion. Dies wäre eine schwere Niederlage für unsere Gesellschaft, unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie. Zu Recht heißt es in unserer Gründungserklärung von 1986: &bdquo;Das Grundrecht auf Asyl ist unser aller Menschenrecht. Seine Einschränkung bedroht nicht nur die Flüchtlinge, sondern stellt eine Vorstufe zur Einschränkung unserer bürgerlichen Freiheiten dar. Der Umgang mit Flüchtlingen ist einer der Prüfsteine für das Funktionieren der Demokratie.“

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