Düsseldorf/Münster. Die oppositionelle SPD-Fraktion hat die nordrhein-westfälische Landesregierung aufgefordert, Menschen gezielter zu helfen, die seelisch unter Krieg und Krisen leiden. „Die Menschen in unserem Land brauchen jetzt Halt“, sagte SPD-Vizefraktionschefin Lisa-Kristin Kapteinat dieser Redaktion. „Sie brauchen gerade in dieser Phase Unterstützung. Ihre Ängste müssen ernst genommen werden.“ Das Land stehe in der Verantwortung, auf die Sorgen vor allem junger Leute einzugehen.
Bestätigt sieht sich die SPD durch eine aktuelle Studie der Universität Münster. Den Ergebnissen zufolge schlägt die russische Aggression in der Ukraine auf die Psyche in Europa. Die kollektive psychische Beeinträchtigung sei größer als nach der Corona-Krise, heben die Psychologen Julian Scharbert und Mitja Back in ihrer Untersuchung hervor. Mentale Gesundheit gehöre in den Fokus, findet auch SPD-Politikerin Kapteinat: „Die Studie zeigt klar: Es braucht dringend mehr Maßnahmen für die seelische Gesundheit der Menschen in NRW.“
Dass sich der russische Angriffskrieg in dieser von Krisen geprägten Zeit am stärksten auf die seelische Gesundheit auswirkt, „überrascht uns nicht“, erklärte Kapteinat: „Die Folgen und das Ende des Krieges sind nicht absehbar, viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihre Lebenshaltungskosten bezahlen sollen, vor allem fürchten sich viele Menschen vor einem großen Krieg in Europa. Krieg in der eigenen Nachbarschaft, die Angst, dass das eigene Leben oder das Leben der Kinder gefährdet ist, kann die seelische Gesundheit massiv beeinträchtigen – das zeigt die Studie.“
„Spürbare psychische Belastungen“
Die FDP sieht ebenfalls Handlungsbedarf. „Die Forschungsergebnisse aus Münster werden uns durch Psychologen und Psychotherapeuten bestätigt“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Susanne Schneider. Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges seien vergleichbar und individuell sogar deutlich stärker als die Auswirkungen des Klimawandels auf die seelische Gesundheit. „Wir nehmen diese Ängste der Menschen sehr ernst. Deshalb muss der Fokus in der psychotherapeutischen Lehre, Versorgung und Weiterbildung zukünftig stärker auf den Umgang mit Kriegsängsten gerichtet sein.“
Aus Sicht der SPD vernachlässigt die schwarz-grüne Landesregierung das Gesundheitsangebot für Patientinnen und Patienten mit seelischen Erkrankungen, die auch durch Kriegsängste hervorgerufen werden könnten. In einem Antrag an den Landtag fordert sie einen „ganzheitlichen NRW-Plan für seelische Gesundheit“. Danach entwickelt fast jeder zweite Mensch in Deutschland in seinem Leben eine behandlungsbedürftige, seelische Erkrankung. „Fast 18 Millionen Menschen leiden im Laufe eines Jahres an einer seelischen Erkrankung in Deutschland. Nur jede/r fünfte davon nimmt professionelle Hilfe in Anspruch.“ Die Auswirkungen seien verheerend: „Menschen mit seelischen Erkrankungen haben eine bis zu zehn Jahre verkürzte Lebenserwartung.“
Das Landesgesundheitsministerium zeigt sich problembewusst. „Wir wissen spätestens seit der Corona-Pandemie, dass psychische Belastungen zugenommen haben – insbesondere auch bei Menschen, die ohnehin anfälliger für psychische Belastungen sind, zum Beispiel Kinder und Jugendliche“, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage. Der Krieg führe „spürbar zu zusätzlichen psychischen Belastungen“.
„Wichtig, dass wir das Gespräch suchen“
Nordrhein-Westfalens Europaminister Nathanael Liminski engagiert sich seit Kriegsbeginn in herausragendem Maße für die Ukraine. „Die Studie der Universität Münster bestätigt mich in meinem Eindruck aus vielen Gesprächen, die ich in den vergangenen Monaten im ganzen Land dazu geführt habe“, sagte der CDU-Politiker dieser Redaktion: „Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist für viele Menschen aus der abstrakten Angst vor einem Krieg eine im täglichen Leben spürbare Realität geworden.“
Liminski verwies zum einen auf die geografische Nähe des Krieges, zum anderen auf die Verbindungen vieler Menschen aus Nordrhein-Westfalen in die Region. Deshalb sei es ihm persönlich wichtig, „dass wir über den Krieg und seine schrecklichen Folgen aktiv das Gespräch suchen“, sagte er. Egal wo Liminski dieser Tage eingeladen sei, spreche er den Krieg in der Ukraine oder den Hamas-Angriff auf Israel konkret an. „Mögen sich die ersten inzwischen an die schrecklichen Bilder gewöhnen, die wir tagtäglich über die Medien ausgespielt bekommen, darf daraus niemals Gleichgültigkeit werden“, mahnte der Minister und Chef der Staatskanzlei. „Denn nur aus der bewussten Auseinandersetzung mit dem Krieg erwachsen Empathie, Mitgefühl und Solidarität und damit auch Hilfsbereitschaft.“